Vorsicht ist geboten, wenn einem Künstler erzählen, dass man als Zuschauer in den kommenden Stunden auf eine Reise – gerne mit dem Prädikat „außergewöhnlich“ versehen – „entführt“ werden soll. Oft heißt das übersetzt einfach, dass einem programmatisch nicht so recht viel eingefallen ist. Wenn also Carsten Gerhard, Intendant der Europäischen Wochen, vor dem Gastspiel der Festspiele in der Pockinger Stadthalle eine solche künstlerische Reise ankündigt, dann horcht man schon mal bang auf. Doch Entwarnung: Beim Auftritt der Sandkünstlerin Anna Kehden macht das Motiv der Reise tatsächlich Sinn – es entfaltet sogar eine faszinierende Wirkung.
Die junge Ukrainerin gehört zu den weltweit führenden Vertreterinnen einer besonderen Kunstform: Anna Kehden malt in Echtzeit Gesichter, Landschaften und viele andere Motive mit feinem Sand auf eine Glasscheibe. Dank einer Kamera wird das Bild auf eine Leinwand projiziert. Die 250 Zuschauer erleben, wie Kehden durch das Ausstreuen der Sandkörner, durch ein paar Striche mit der Fingerspitze oder einer Bewegung der Handkante immer neue Welten entstehen lässt – flüchtig fließen die Motive ineinander.
Das Programm hat Anna Kehden zusammen mit EW-Intendant Gerhard extra für den Pockinger Abend erarbeitet. Es beginnt mit der ersten römischen Siedlung auf dem heutigen Stadtgebiet und endet mit einem Bild der Pockinger Kirche. Dazwischen geht Kehden in ihrer Welt aus Sand tatsächlich auf eine Reise durch Europa und die Zeiten – mit Stopps etwa beim Eiffelturm, im Kolosseum oder in Kiew.
Für das restlos begeisterte Publikum ist es immer wieder ein verblüffender Spaß mitzuraten, welches Motiv sich aus einem Sandhaufen durch die atemberaubende Fingerfertigkeit der Künstlerin schält. Ein Mann mit Hut stellt sich etwa als der Maler Claude Monet heraus, dessen berühmte Seerosen Kehden gleich mit aus dem Sand erwachsen lässt.
Am Ende wird Anna Kehden umlagert von Zuschauern, die genau wissen wollen, wie das alles denn möglich sei. Und am Boden sitzen Kinder und malen hochkonzentriert Figuren in den feinen Sand.
Dominik Schweighofer
