„Emmie Arbel – Die Farbe der Erinnerung“
Ein Comic über Traumata und den Holocaust: Barbara Yelin machte auf ihrer Lesereise Halt in Passau

08.02.2024 | Stand 08.02.2024, 6:00 Uhr

Um die Lebensgeschichte einer heute 86-jährigen Holocaust-Überlebenden geht es in Barbara Yelins Graphic Novel „Emmie Arbel – Die Farbe der Erinnerung“. − Foto: Munzinger

Die Münchnerin Barbara Yelin (46) hat sich in den vergangenen 20 Jahren als eine der herausragendsten deutschen Comicbuch-Autorinnen etabliert. Am Mittwoch hat sie die Hans-Bayerlein-Schule besucht und dort eine Lesung abgehalten. Dort, in der Aula des Sonderpädagogischen Förderzentrums (SFZ), sprach die Autorin und Illustratorin über die Kunst, das Zeichnen und ihr neues Buch „Emmie Arbel – Die Farbe der Erinnerung“ – und damit auch über den Holocaust und Traumata. Mit der PNP hat sie über ihr neues Werk gesprochen.

Worum geht es in Ihrer neuen Graphic Novel „Emmie Arbel – Die Farbe der Erinnerung“?
Es sind die Lebenserinnerungen der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel, und es ist zugleich ein Porträt von ihr. Sie ist heute 86 Jahre alt. Als Kind hat sie drei Konzentrationslager überlebt. Wir haben uns in den vergangenen Jahren oft getroffen und miteinander gesprochen. Sie hat mir diese Zeit geschenkt und mir die traumatischen Erinnerungen an den Holocaust, die sie noch hat, anvertraut. Darüber hinaus haben wir über ihr Leben gesprochen und darüber, was diese Erfahrungen für Sie bedeuten. Das Buch erzählt auch die Geschichte einer Frau, die mit Mut, Stärke und eigenwillig ihr Leben trotz dieser schweren Erfahrungen gestaltet hat.

In Ihrem Buch gibt es viele beklemmende, traurige Szenen. Die Mutter, die beim Strammstehen im KZ kollabiert, die Prügel, die Emmie im Lager kassiert – aber auch, Jahrzehnte später, Emmies Katze, die selbst bei Regen nicht ins Haus darf.
Ja... Solche Bilder erzählen etwas, was man sonst gar nicht richtig in Worte fassen kann.

Sie haben rund 900 Zeichnungen für dieses Buch angefertigt...
Stimmt, das hat jemand tatsächlich abgezählt. Ich wusste das gar nicht (lacht).

Wie hält man es aus, sich so lange und so intensiv mit einem derartig schwierigen und dunklen Thema zu befassen?
Zuerst einmal finde ich, dass die Beschäftigung mit dieser Geschichte eine Verantwortung ist, die ich für mich als sehr wichtig empfinde. Mein Glück war, dass meine Gespräche mit Emmie in jede Richtung gehen durften, es war nicht reduziert auf diese für sie sehr schwere Aufgabe, sich an ihre KZ-Erfahrungen zu erinnern und darüber zu erzählen. Ich habe gelernt, was es in Leben bedeutet hat, eine Sprache zu finden, mit der sie überhaupt darüber reden kann. Allgemein ist das Zeichnen für mich ein Weg, der mir die Beschäftigung mit der Welt ermöglicht, es ist ein Weg des Fragens, Forschens und Hineinfühlens.

Über den Autor und Zeichner Max Gold hieß es mal, dass er mit seinen Zeichnungen die Welt bis zur Kenntlichkeit entstelle.
Das ist schön, ein super Satz. Zeichnen ist für mich wirklich eine Form des Denkens. Aber für mich waren auch Pausen wichtig. Ich habe viel mit Experten und Expertinnen gesprochen, die sich auskennen mit derart schwierigen Geschichten wie jener Emmies. Und man muss ganz klar sagen: Im Vergleich zu Emmies Belastung, die dieses Thema verursacht, zerfällt meine Belastung zu Staub. Ich erzähle ihre Geschichte so gut es geht mit ihr weiter. Das ist eine Aufgabe, die für mich sehr wichtig war.

Warum eignet sich das Medium Comic so gut, um diese Geschichten zu erzählen?
Comics kann man in jede Richtung ausformen. Es können Abenteuergeschichten für Kinder damit erzählt werden, aber auch nachdenkliche, schwierige Themen. Gerade über dieses Projekt habe ich wieder herausgefunden, was Graphic Novels alles können. Bilder können für Dinge stehen, die unaussprechlich geworden sind, auch für Leerstellen in der Erinnerung. Wir erzählen nicht nur, woran Emmie sich erinnert, sondern auch, woran sie sich nicht erinnert. Das hat natürlich Gründe. Erstens das Trauma, zweitens war sie ein kleines Kind. Dann werden die Bilder fast zu Puzzleteilen, und aus ihnen versucht man, die Erzählung zusammenzusetzen.

Aber dieses Puzzle setzt wohl jeder Leser in seinem Kopf anders zusammen, oder?
Genau! Comics bedeuten eine ziemlich große Leseleistung, weil wir beim Lesen alle diese Stücke, die Bilder und Texte, zusammensetzen. Das wird oft unterschätzt. Gleichzeitig läuft das ganze spielerisch und intuitiv. Deshalb liebe ich dieses Medium.

Sie sind derzeit auf großer Lesereise. Was hat Sie nach Passau ins SFZ verschlagen?
Ich mache viele Schullesungen, aber weil sie nicht öffentlich zugänglich sind, liste ich sie nicht auf meiner Webseite. Das Buch ist geeignet ab 15 oder 16, es ist ein schweres Thema und setzt ein gewisses Wissen voraus. Es war Emmies Wunsch, dass sich gerade die jüngere Generation in einer neuen Erzählform mit dieser Geschichte beschäftigt, die für 16-Jährige heute kaum mehr greifbar aber immer noch enorm wichtig ist. Und ich erfahre in Schulklassen oft sogar eine größere Konzentration als bei anderen Lesungen. „Und das Lernen über den Holocaust finde ich angesichts des wachsenden Antisemitismus und Rassismus furchtbar wichtig.“