Es war dieser eine Moment, da dachte er, Gysi, ganz kurz einmal: Vielleicht bin ich doch noch zu jung für diesen Beruf. Damals, als er, 23 Jahre alt, auf dem Anwaltsstuhl saß. Viel zu tun hatte er nicht. Allerdings waren seine Beine auch zu kurz, um sie posenhaft auf den Schreibtisch zu legen. Da klopfte es, eine Frau, 53 Jahre alt, kam herein. Sie brauchte anwaltliche Unterstützung. Ihr Anliegen: "Ich möchte mich scheiden lassen." Die Gegenfrage: "Warum?" Sie: "Weil die Intimbeziehung nicht mehr funktioniert." Und dann, so erinnert sich Gysi heute daran, sinnierte er kurz darüber, stützte den Kopf bedeutungsschwer auf seine Hand und dachte sich mit der Arroganz, wie sie nur ein 23-Jähriger hat: Na und, mit 35 ist das doch sowieso vorbei. "Heute weiß ich, dass das zum Glück nicht so ist." Pointe. Applaus. Nicht der erste und nicht der letzte an diesem Abend in Freyung.
Leger, in Chelseaboots, mit Kragenshirt und einem Glas Wein, sitzt der 74-jährige Politiker, Rechtsanwalt und vor allem Vater auf der Bühne und eröffnet damit die Freybühnen-Reihe "Auf ein Wort".