Mit Beidfüßigkeit und Gottvertrauen
Beten gehört dazu vorm Spiel: Edenstettenerin Franziska Kett (18) lebt beim FC Bayern ihren Profitraum

27.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:20 Uhr

Beidfüßig, dribbelstark, schnell – mit diesen Qualitäten überzeugt Franziska Kett beim Bundesliga-Spitzenteam FC Bayern. −Fotos: imago

Sie hält einen Moment inne, schließt die Augen und es beginnt. Ihr Gebet in der Kabine des FC Bayern München. Ihr Ritual vor jedem Spiel. Ihr Moment der Konzentration. Und wer ihre Karriere kennt, der weiß: Die meisten ihrer Gebete werden erhört. Franziska Kett (18) aus Edenstetten im Landkreis Deggendorf lebt ihren Profi-Traum bei den FCB-Frauen. Daran soll auch der neuerliche Rückschlag nichts ändern.

Es geschah Anfang April beim U19-Länderspiel gegen Norwegen. Kett fällt unglücklich auf die Schulter, der Schmerz ist sofort da. Schlüsselbein verschoben, Gelenk beschädigt, Bänder gerissen. Die Saison? Gelaufen. „Aber ich hatte noch Glück“, erzählt Kett am Telefon. „Ich musste nicht operiert werden.“

Seitdem steht die 18-Jährige zwar nicht mehr auf dem Rasen – die Arbeit ist allerdings nicht weniger geworden. Sechs Tage in der Woche schuftet sie fürs Comeback, die Abende füllen sich von alleine: Reha, Reha und nochmal Reha. Tagsüber das Pensum einer Gymnasiastin in der 11. Klasse, die in zwei Jahren Abitur schreibt. Und die Freizeit? „Man muss viel opfern, aber ich mach’ das gerne“, erzählt sie. „Immerhin darf ich meinen Traum leben.“ Er begann einst im beschaulichen Edenstetten, einer Teilgemeinde von Bernried (Lkr. Deggendorf).

Bruder Sebastian spielt in Deggendorf und der Landesliga



Beim FC Edenstetten geht die Tochter einer fußballverrückten Familie die ersten Schritte. Vater Uli ist Trainer bei der SpVgg GW Deggendorf, Bruder Sebastian spielt dort in der Landesliga. Auch Franziska lernt die Kugel lieben, ihr Talent wird früh entdeckt. Im Kindesalter wechselt sie zu Grün-Weiß, erlebt dort die prägendste Zeit ihrer Karriere, wie sie heute sagt. „Dass ich damals so lange mit Jungs gespielt habe, hilft mir bis heute.“ Kett lernt früh, wie sich harte Zweikämpfe anfühlen und was schnelles Spiel bedeutet. Sie wächst zu einer Nationalspielerin der Junioren-Teams heran – und dann klingelt im Jahr 2020 das Telefon.

„Als der Anruf der Bayern kam, musste ich nicht lange überlegen“, erzählt Kett. Erst Probetraining, dann Transfer. Sie wechselt zur Saison 2020/21 an die Isar, spielt zunächst für die U17. Die torgefährliche Flügelspielerin empfiehlt sich schnell für Höheres – und debütiert bereits Ende der Saison in der zweiten Mannschaft. Ein Jahr später wird sie dort zum Fixpunkt, erzielt in 15 Punktspielen sechs Treffer. Wenig später kreuzt sie in der Geschäftsstelle auf. Der erste Profivertrag. Mit gerade einmal 17 Jahren.

Startelf-Debüt im September mit einem Tor: „Kein schönes“



Kett teilt sich die FCB-Kabine mit Spielerinnen, die Millionen Fans bei der EM in England verfolgt haben. Beim Rekordmeister wird sie schnell unverzichtbar, hilft aus, als sich wichtige Spielerinnen verletzen. So feiert Kett bereits im September 2022 ihr Startelf-Debüt in der Bundesliga – und garniert es sogar mit einem Treffer. „Auch wenn‘s kein schönes Tor war, werde ich dieses Spiel nie vergessen“, ist Kett sicher. Ebenfalls denkwürdig: Die Reise ins legendäre Camp Nou des FC Barcelona. Kett steht in der Startelf vor rund 47000 Zuschauern. Zwar verlieren die Bayern mit 0:3, Kett wird nach 60 Minuten ausgewechselt. „Aber das sind die Erlebnisse, die ich mir immer gewünscht habe.“

Was die 18-Jährige auszeichnet? „Ich denke, meine größten Stärken sind meine Schnelligkeit und Beidfüßigkeit.“ Kett liebt das Eins-gegen-Eins, ihre Gegner eher weniger. Die Deggendorferin ist links wie rechts gleich begabt, kann über jede Seite vorbeiziehen und den Weg zum Tor suchen. In der laufenden Bundesliga-Saison stehen zwei Treffer und vier Vorlagen zu Buche. Selbst ohne ihre Qualitäten dürften die Bayern-Damen derweil am Wochenende Meister werden. Dafür braucht’s einen Sieg gegen das abgeschlagene Schlusslicht aus Potsdam. Kett winkt ihr erster großer Titel im rot-weißen Dress.

Ziel: Stammspielerin beim FC Bayern



Mittelfristig will die 18-Jährige wieder selbst mitwirken. „Natürlich ist es mein Ziel, Stammspielerin bei Bayern zu werden“, sagt sie selbstbewusst, wohlwissend um die Qualität im Team von Trainer Alexander Straus. Daher soll ihr persönlicher Reifeprozess schon bald weitergehen: Ab dem 18. Juli will Kett mit der U19-Nationalmannschaft die EM in Belgien spielen. Dann wird sie in der Kabine wieder zu sich finden. Und beten. Dabei ist der Traum ohnehin schon ein Stück weit Realität.