Angezeigt durch den Landrat
Verfahren gegen AfD-Kreisrat eingestellt, Vorwurf erneuert

Wolfgang Koch will in den Landtag und bleibt dabei: Landratsamt Berchtesgadener Land half bei Wahlfälschung

04.03.2023 | Stand 25.10.2023, 11:37 Uhr

AfD-Kreisrat Wolfgang Koch (im Bild bei einem Interview anlässlich seiner Landratskandidatur) kann heute befreit von der Strafanzeige zur Listenaufstellung nach München reisen. −Foto: Sabine Zehringer

Vor einem Jahr machte Wolfgang Koch Schlagzeilen, weil Landrat Bernhard Kern Strafanzeige gegen ihn unter anderem wegen Verleumdung und übler Nachrede erstattet hat. Am heutigen Samstag, 4. März 2023, hofft der AfD-Kreisrat aus dem Landkreis Berchtesgadener Land auf einen Platz unter den ersten zehn, wenn der Bezirksverband in München an diesem Wochenende seine Listen für die Landtags- und Bezirkstagswahlen aufstellt.

Das Verfahren gegen Koch wurde zwischenzeitlich eingestellt, unter anderem, weil die Staatsanwaltschaft Traunstein die Meinungsfreiheit hochhält. Sie geht in einer ausführlichen Stellungnahme auf Anfrage der Heimatzeitung aber auf weitere Gründe ein (siehe unten im Anhang); im Wesentlichen kam Koch zugute, dass er seine Vorwürfe sehr vage formuliert hat. Das Landratsamt beziehungsweise Landrat Bernhard Kern wollte auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben.

AfDler reichten zwei unterschiedliche Listen ein

Der Vorwurf, in der Behörde wurde Beihilfe zur Wahlfälschung geleistet, war aus dem Offenen Brief unmissverständlich herauszulesen. Er wird von Wolfgang Koch zudem erneuert. „Ohne das Landratsamt wäre die Einreichung einer zweiten illegalen Liste gar nicht möglich gewesen“, schreibt er gestern der Heimatzeitung.

Zum Hintergrund, kurz erzählt: Wie mehrfach berichtet, gab es im AfD-Kreisverband jede Menge Streit und Zoff im Vorfeld der Kommunalwahlen 2020. Ein Ergebnis war, dass im Landratsamt zwei verschiedene Vorschlagslisten landeten, eine eingereicht von Koch, eine zweite von Jens Schosnowski. Der Wahlausschuss Berchtesgadener Land hatte alle Mühen, daraus eine genehmigungsfähige Liste zu erstellen, sodass die AfD überhaupt zur Wahl antreten konnte.

Wolfgang Koch sah keinen Grund zur Dankbarkeit, im Gegenteil: Die Liste Schosnowski hätte überhaupt nicht berücksichtigt werden dürfen, meint er damals wie heute. Ex-Schatzmeister der Kreis-AfD, Karl Halbritter, zeigte Schosnowski auch wegen Wahlfälschung an. Die Staatsanwaltschaft Traunstein sah jedoch von einer Verfolgung ab – nicht wegen erwiesener Unschuld Schosnowskis, sondern weil eine Strafe wegen anderer Verurteilungen „nicht beträchtlich ins Gewicht fiele“.

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Für Koch ist nicht nur klar, dass Wahlfälschung begangen wurde, sondern sich der „Skandal“ über den zuständigen Geschäftsbereich Ordnung, Sicherheit und Kommunales in der Kreisverwaltung bis in Regierungskreise erstreckt. Nennt er am Telefon noch Ross und Reiter, bleibt er schriftlich kryptisch: „Strippenzieher befinden sich meist im Hintergrund und in höheren Ebenen“, erklärt er auf die Bitte um Bestätigung, dass er das Umfeld von CSU-Ministerpräsident Markus Söder oder sogar ihn selbst dahinter vermutet.

Koch vermied schon vor einem Jahr, seine Vorwürfe – gekleidet in Fragen oder Phrasen wie „sollten sich die Darstellungen von ... als richtig erweisen“ konkret mit Namen zu versehen. So war es für die Ermittlungsbehörden offenbar schwer, einen Nachweis für üble Nachrede zu führen: „Insbesondere kann den Äußerungen des Beschuldigten nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden, dass er eine bestimmte Person (...) verantwortlich macht“, erklärt der Sprecher der Traunsteiner Staatsanwaltschaft Dr. Rainer Vietze.

Kern informiert, Koch nicht

Koch wurde über die Einstellung des Verfahrens nicht informiert, da er erst gar nicht als Beschuldigter vernommen wurde. „In diesem speziellen Fall ist eine Mitteilung nicht vorgesehen“, erklärt Vietze. Landrat Bernhard Kern, der am 1. Februar 2022 die Strafanzeige unterzeichnet hatte, wurde drei Wochen später, am 22. Februar 2022 über die Einstellung informiert. „In meinem heutigen Telefonat mit der Büroleiterin des Landrats wurde mir bestätigt, dass die Verfügung auch beim Landratsamt eingegangen ist“, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Wolfgang Koch fühlt sich nicht nur bestätigt, sondern vermutet Einflussnahme auch bei der Staatsanwaltschaft und kündigt an: „Das ist noch nicht ausgestanden.“ Derweil hält er sich selbst bedeckt, etwa darüber, wie er zum Stimmkreiskandidaten der AfD Berchtesgadener Land gewählt wurde.

Nominiert für Wahlen schon im Oktober

Das ging seinen Worten nach im Oktober 2022 über die Bühne. Öffentlich mitgeteilt hat er dies bis zur Nachfrage der Heimatzeitung nicht, „weil ich einfach nicht dazu gekommen bin“. Bei der Versammlung in Saaldorf sei er mit etwa 85 Prozent gewählt worden, schreibt er, ignoriert dabei die Fragen nach der Zahl der anwesenden Stimmberechtigten und dem konkreten Stimmenverhältnis. Als Versammlungsleiter nennt er einen Herrn „Reuter, wissenschaftlicher Mitarbeiter der AfD Landtagsfraktion“.

Kandidieren will Wolfgang Koch nach eigenen Angaben an diesem Wochenende sowohl für die Bezirkstags- als auch für die Landtagsliste. Die Chancen, die er sich ausrechnet, umschreibt er lakonisch mit „Einstelliger Listenplatz“. Die Chancen auf innerparteiliche Auseinandersetzungen mit ähnlichen Vorwürfen könnten höher sein: Unter dem Titel „Verdacht auf Fahnenflucht, Verdacht der Verleumdung“ berichtete die Süddeutsche Zeitung gestern über Auseinandersetzungen im Vorfeld der AfD-Versammlung und dass es in der Bayern-Partei gerade „gewaltig kracht“.

Das sagt die Staatsanwaltschaft



Zur Frage der Heimatzeitung nach dem Stand des Verfahrens infolge der Anzeige des Landrats gegen Koch, teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag im Wesentlichen mit:

Die Strafanzeige:

Nach Vorlage der Strafanzeige über das Staatsschutzkommissariat der Kriminalpolizei Traunstein wurde bei der Staatsanwaltschaft Traunstein ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Danach lag dem Beschuldigten zur Last, sich durch das Verfassen und Versenden einer als „Offener Brief“ gekennzeichneten E-Mail am 31. Januar 2022 an das Vorzimmer des Landrats des Landkreises Berchtesgadener Land und an verschiedene Medienvertreter wegen falscher Verdächtigung und übler Nachrede oder Verleumdung strafbar gemacht zu haben.

Das Ermittlungsverfahren:

Es wurde mit Verfügung vom 18. Februar 2022 eingestellt, da dem Beschuldigten nicht mit der zur Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen ist, dass er mit dem Inhalt der verfassten E-Mail einen der vorgenannten Straftatbestände verwirklicht hat. Da er mit der E-Mail zumindest auch ein sachliches Anliegen verfolgt, sind seine Äußerungen nicht als bloße Schmähkritik zu bewerten, sondern fallen in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei mehrdeutigen Äußerungen eine strafbare Bedeutung nur dann zugrunde gelegt werden darf, wenn mögliche straflose Bedeutungen mit nachvollziehbarer und tragfähiger Begründung ausgeschlossen werden können.

Die Beweislage:

Bei Beachtung der vorgenannten Maßstäbe ist dem Beschuldigten insbesondere nicht mit der zur Strafverfolgung notwendigen Gewissheit nachzuweisen, dass er mit seinen Äußerungen „wider besseres Wissen“ und vorsätzlich einen der vorgenannten Straftatbestände verwirklich hat. In der E-Mail sind zahlreiche Fragen enthalten sowie Formulierungen wie „sollten sich die Darstellungen von ... als richtig erweisen“. Wie der Anzeigeerstatter selbst vorträgt, wird vom Beschuldigten eine „Vermutung“ zum Ausdruck gebracht und auch als solche gekennzeichnet („Frageform“, „Offenlegung, dass Behauptung von dritter Person stammt“).

Wer wird verleumdet, ist also direkt Betroffener?

Insbesondere kann den Äußerungen des Beschuldigten nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden, dass er eine bestimmte Person für eine – aus Sicht des Beschuldigten nicht rechtmäßige – Genehmigung einer im Rahmen der Kommunalwahl 2020 eingereichten Kreistagsliste verantwortlich macht. Denn die entsprechende Textpassage ist als Frage formuliert („Läßt sich hier...?“), die zudem relativiert wird („... eventuell ...“). Es wird in dieser Passage auch keine Person namentlich genannt.

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