Laufen
Ihre Hölle begann mit einem Schuss

Serie „Heimat und Geschichte“ – Am 6. Juni 1933 wird in Laufen Anschlag auf jüdische Familie Friedmann verübt

03.06.2023 | Stand 28.08.2023, 16:11 Uhr

Als der Marienplatz noch Adolf-Hitler-Platz hieß: Familie Friedmann wohnte ab 1908 in der Laufener Schloßstraße. Dort befand sich auch der Gemischtwarenladen, geführt erst von Gustav Friedmann, später von seinem Sohn Eduard. −Foto: Repro Standl

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 hatte der Druck auf jüdische Menschen in Deutschland immens zugenommen. Das sogenannte Judenpogrom sorgte dafür, dass diese Bevölkerungsgruppe diskriminiert, beraubt, enteignet, vertrieben und letztlich auch ermordet wurde. Vor genau 90 Jahren – am Samstag, 3. Juni, 1933 – wird im Wochenblatt der Stadt Laufen zum Boykott aufgerufen: „Deutsche! Kauft nur bei Deutschen!“, heißt es darin.

Drei Tage später fallen in der dortigen Schloßstraße mehrere Schüsse. Ein bis heute unbekannter Täter hatte auf das Haus der jüdischen Geschäftsfamilie Friedmann geschossen. Mit diesem Anschlag begann für die Familie ein Albtraum, aus dem sie nicht mehr erwachen sollten – und der im Konzentrationslager Auschwitz mit Ermordung endete. Das jüngste Mitglied der Familie, Hilda Friedmann, wurde nur acht Jahre alt. Stadtarchivar Dr. Thomas Döring hat diese Geschichte und die Schicksale anderer Juden in der Region aufgearbeitet.

Aus dem früheren Landkreis Laufen – bis 1939 hieß dieser Bezirksamt – sind keine jüdischen Siedlungen bekannt. Allerdings ist es zu massiven Judenverfolgungen in einzelnen Gemeinden gekommen. Döring recherchierte, dass sich der rasch entwickelnde Kurbetrieb, vor allem während der Saison, zunächst an jüdische Gepflogenheiten anpasste: In Restaurants wurde koscheres Essen angeboten, Hotels warben um jüdische Gäste und ein Betsaal war vorhanden. Der bekannteste jüdische Gast war wohl der Wiener Psychoanalytiker Sigmund Freud, der 1901 für mehrere Wochen Urlaub am Thumsee bei Reichenhall machte. Von all dem war aber in Laufen bis dahin nichts zu spüren.

Mit der Familie Friedmann ließen sich erstmals jüdisch gläubige Menschen in der Stadt nieder. Sie waren 1908 von Freilassing weggezogen und meldeten im folgenden Jahr ihr Haushaltswarengeschäft in der Schloßstraße an. Eine Beilage des „Laufener Wochenblattes“ vom Januar 1933 zeugt vom breiten Sortiment der Friedmanns: von Kleidung über Bürsten, Spielkarten bis zu Geldbörsen war alles im Angebot. Andere Annoncen der Firma in der Stadtzeitung warben mit Geschirr und Zahnpasta. Gustav und Paula Friedmann hatten vier Kinder: Camilla, Eduard, Robert und Irma. Die jüngste Tochter Irma kam 1910 in Laufen auf die Welt. Mit ihrem Mann, einem Nichtjuden, eröffnete sie in den 30er Jahren ein Geschäft in Freilassing – und nahm nach dem Krieg den Künstlernamen Rafaela Toledo an. Sie überlebte den Holocaust, weil sie sich mit ihren Kindern auf einer Berghütte auf dem Schlenken bei Hallein versteckte.

Im Haus in der Schloßstraße lebten ihren Aussagen zufolge und nach den Meldedateien der Stadt Laufen noch weitere Familienmitglieder: die Großmutter Therese Schwarz , Anna Schwarz, eine Schwester der Mutter, und Eduard Trenk, ein Neffe von Paula. Sie alle stammten aus Kosolup, dem heutigen tschechischen Kozolupy, westlich von Pilsen in Böhmen. Später kamen Eduard Friedmanns Frau Doris und ihre gemeinsamen Kinder hinzu.

Aus der Familie von Doris wohnten zeitweise ihre Mutter Lina Sommer und eine Schwester, Elisabeth Pazer, in der Salzachstadt. Döring fand heraus, dass die Familie in Laufen in den ersten Jahren gut integriert war: Die Tochter Irma besuchte zunächst die Mädchen-Volksschule in Laufen, später die Mittelschule in Salzburghofen. Das Geschäft florierte – trotz der schlechten wirtschaftlichen Situation in der Zwischenkriegszeit. Sohn Eduard half im Laden mit und heiratete die Straubinger Jüdin Doris Sommer. Die Töchter Margarethe, genannt Greta, und Hildegard, genannt Hilda, wurden in Laufen geboren.

Die Friedmanns galten als angesehene, an der Gemeinschaft interessierte Familie. Als die Stadt beispielsweise Geld sammelte, um den Fußgängersteg über die Salzach neu bauen zu lassen, verpflichtete sich Eduard Friedmann zu einer jährlichen Leistung von zehn Reichsmark. Der entsprechende Verpflichtungsschein ist am 30. Januar 1933 datiert – der Tag ist gemeinhin für ein anderes schicksalhaftes Ereignis bekannt: Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933 begann der Druck auch auf die Familie Friedmann stetig zu wachsen. In den Wirren der Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg hatte Vater Gustav, aus Böhmen stammend, die tschechische Staatsbürgerschaft angenommen. Das wurde ihm nun zum Verhängnis. Er wurde im Gefängnis neben dem heutigen Rathaus in sogenannte Schutzhaft genommen und gezwungen, in die Tschechoslowakei auszuwandern. Gustav und Paula verließen Laufen Richtung Prag, wo Gustav Friedmann im darauffolgenden Jahr starb. Paula Friedmann kam nach Laufen zu ihrem Sohn zurück, später erfolgte die erneute Ausweisung. Von Prag aus wurde sie am 9. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, am 15. Dezember 1943 nach Auschwitz verbracht – und dort ermordet.

Inzwischen hatte in Laufen Eduard das Geschäft des Vaters übernommen, jedoch machten die lokalen Nazigrößen ihm das Leben zunehmend schwerer, weiß Döring aus den Unterlagen: „Am 3. Juni rief der berüchtigte Sturmführer Ankirchner im Laufener Wochenblatt zum Boykott auf. In der Folge verübten am 6. Juni Unbekannte einen Anschlag mit einer Schusswaffe auf die Wohnung der Friedmanns, worüber es im Laufener Wochenblatt am 8. Juni einen kurzen Bericht gab“, so der Stadtarchivar.

Fünf Jahre hielt es die Familie noch in Laufen aus, im November 1938 aber verließen Eduard, Doris, Greta und Hilda die Salzachstadt. Im Protokollbuch des Stadtrats Laufen heißt es dazu am 16. August 1938: „Judengeschäft Friedmann, Laufen: Der Jud Eduard Friedmann hat sein Geschäft samt Anwesen Hs. Nr. 22a an Pg (Parteigenosse) Hermann aus Traunstein verkauft. Die Bedürfnisfrage wegen Arisierung und Weiterführung des Geschäfts wurde befürwortet, weil die Weiterführung des Geschäfts im Interesse der Einwohnerschaft ist und auch vom steuerlichen Standpunkt aus wünschenswert ist.“

Es ging zunächst ins vermeintlich sichere Prag. „Eduard Friedmann und seine Familie hatten jedoch keine Chance, der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie zu entgehen“, so Döring.
Von Prag aus wurden die Friedmanns im Dezember 1941 zunächst nach Theresienstadt deportiert. Zwei Jahre später erfolgte am 18. Dezember der Transport nach Auschwitz. Doris und die beiden Mädchen, zwölf und acht Jahre alt, wurden vermutlich unmittelbar nach der Ankunft in der Gaskammer ermordet. Eduard teilte man zur Zwangsarbeit ein, 1944 erfolgte eine Verlegung nach Schwarzheide, einem Außenlager des KZ Sachsenhausen. Bei einem Todesmarsch in Richtung des böhmischen Bahnhofs Warnsdorf starb Eduard Friedmann am 7. Mai 1945 vermutlich an Erschöpfung – einen Tag vor Ende des Krieges.


Weitere Recherchen von Dr. Thomas Döring zu jüdischem Leben in der Region finden sich in dem „Salzfass“-Magazin des Historischen Vereins Rupertiwinkel, Ausgabe 53, 2020/2021. Erhältlich ist es über Schriftführer Rudolf Pronold aus Laufen.