Prozess in Traunstein
Töginger Rentner (75) starb an Medikamentenmix: Tochter will nicht beteiligt gewesen sein

Widerspruch in Aussagen von 55-Jähriger – Psychische Störung der Enkelin (30)?

07.11.2022 | Stand 19.09.2023, 5:00 Uhr
Monika Kretzmer-Diepold

Wegen gemeinschaftlichen Mordes in Töging an einem 75-jährigen Rentner müssen sich zwei Frauen, seine Tochter (55) und seine Enkelin (33), nun vor dem Schwurgericht Traunstein verantworten. −Symbolbild: Arne Dedert/dpa

Details zu dem tödlichen Medikamentenmix lieferten gestern zwei Rechtsmedizinerinnen im Traunsteiner Schwurgerichtsprozess gegen eine 55-jährige Frau und ihre 30 Jahre alte Tochter. Die beiden sollen verantwortlich sein für den Gifttod des 75-jährigen Vaters beziehungsweise Großvaters am 4. August 2021 in Töging (Landkreis Altötting).



Der Rentner war am 5. August 2021 von den Angeklagten tot auf dem Sofa aufgefunden worden. Das erzählten sie zumindest dem Hausarzt. Nach Gerüchten im Familienkreis, der Mann sei vergiftet worden, und Strafanzeige einer Verwandten bei der Polizei veranlasste die Staatsanwaltschaft Traunstein, den Toten zu exhumieren. Anfang Oktober 2021 kam der Leichnam des Verstorbenen in das Rechtsmedizinische Institut an der Universität München. Toxikologische Untersuchungen bestätigten eine tödliche Mischintoxikation aus drei Medikamenten – einem starken Beruhigungsmittel und verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln aus dem Betäubungsmittelbereich.

Erhebliche Mengen an Seroquel, Diamorphin und Diazepam

Die rechtsmedizinische Sachverständige Gabriele Roider berichtete am gestrigen sechsten Verhandlungstag über die Schwierigkeiten, genaue Fakten im Fall eines exhumierten Leichnams zu ermitteln. Blut zum Beispiel sei nicht mehr vorhanden. Der postmortale Abbau einer Substanz im Körper eines zwei Monate vorher Verstorbenen sei nicht zu beziffern. Der 75-Jährige sei an die schweren Medikamente, deren Ersteinnahme stufenweise empfohlen werde, nicht gewöhnt gewesen. Festgestellt worden seien erhebliche Mengen an Seroquel, Diamorphin und Diazepam.

Gabriele Roider beschrieb die Wirkung der einzelnen Inhaltsstoffe und ihren Geschmack je nach Darreichungsform. Letztlich habe eine Mischvergiftung zum Tod des 75-Jährigen geführt. Aus einer Haarprobe ergebe sich eine sich steigernde Menge der Stoffe in den jüngsten Abschnitten des Haarwuchses. Die Befunde ließen an eine mehrmalige Aufnahme der Medikamente denken, könnten sie aber nicht ausschließen. Eine einmalige hochdosierte Aufnahme kurz vor dem Ableben könne die Befunde erklären. "Das Problem ist, dass wir keine genauen Zeitangaben haben. Wir können die Stadien der Intoxikation nicht festmachen", fügte Prof. Dr. Elisabeth Nützel vom selben Institut an. Deshalb sei keine Aussage zum "point of no return" möglich: "Wir können nicht sagen, wann der 75-Jährige noch gerettet hätte werden können." "Saures Lüngerl" habe sich tatsächlich im Magen des Toten befunden. Das deute auf Aufnahme am 4. August 2021 hin. Im Magen verbleibe aufgenommene Nahrung nur wenige Stunden.

Medikamente ins Lieblingsessen gemixt

Nach Anklage von Staatsanwalt Markus Andrä sollen die Frauen den Plan, den Opa zu töten, gemeinsam geschmiedet haben. Motiv der 55-Jährigen sollen finanzielle Gründe wegen eines Pflichtteilanspruchs an dem Haus des Verstorbenen gewesen sein. Die 30-Jährige, die im Anwesen des 75-Jährigen wohnte, wollte den Großvater angeblich nicht weiter versorgen und pflegen. Die Mutter soll die Medikamente am Tattag in "saures Lüngerl", das Lieblingsessen des Rentners, gegeben haben. Die 30-Jährige soll nichts unternommen haben, um den Opa zu retten. Zusätzlich soll ihm die 55-Jährige einen Lappen auf Mund und Nase gedrückt haben.

Verteidiger Dr. Georg Karl aus Regensburg gab gestern namens der 55-Jährigen eine Erklärung ab, die im Widerspruch zu früheren Äußerungen der Frau stand. Seine Mandantin habe dem Vater keine Medikamente zur Verfügung gestellt, damit er sich das Leben nehmen könne. Der 75-Jährige habe keinen Todeswunsch geäußert. Die 55-Jährige habe ihm weder Medikamente ins Essen gemischt noch ein Tuch auf das Gesicht gedrückt. Sie habe zudem kein Motiv, hob der Verteidiger heraus. Dr. Georg Karl verlas elf Beweisanträge, deren Verlesung 45 Minuten dauerte. Unter anderem zielte der Anwalt auf eine mögliche psychische Störung der Tochter ab, die die Mutter im Sinn der Anklage belastet hatte.

Die psychiatrische Sachverständige Dr. Susanne Lausch aus Straubing sah keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Aussagetüchtigkeit der 30-Jährigen. Die Hauptverhandlung wird am 14., 15., 28. und 29. November, jeweils um 9 Uhr, fortgesetzt.