Offener Brief
Altöttinger und Mühldorfer Landräte fordern Karl Lauterbach zur Hilfe auf

18.07.2023 | Stand 18.07.2023, 17:16 Uhr

Die in ihren Augen ungenügende Klinikfinanzierung gefährdet nicht nur das InnKlinikum, sondern auch die Zukunftsfähigkeit der Kommunen wegen des Millionendefizits, kritisieren die Landräte Erwin Schneider und Max Heimerl. −Fotos: Schwarz / Archiv

In einem Brandbrief fordern die Landräte Erwin Schneider (Landkreis Altötting) und Max Heimerl (Landkreis Mühldorf am Inn) Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zur Hilfe für das InnKlinikum auf.



„SOS – Verhindern Sie das Kliniksterben! – Zerstören Sie nicht unsere kommunale Handlungsfähigkeit!“ – Diesen Appell formulieren die beiden Landräte als Verantwortliche des InnKlinikum Altötting und Mühldorf an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. In einem Offenen Brief, der der PNP vorliegt, zeichnen sie ein Schreckensszenario für die Krankenhäuser und die Städte, Gemeinden und den Landkreis, wenn die Gesundheitspolitik in Deutschland nicht schnellstmöglich einlenkt, den „kalten Strukturwandel“ beendet, das absehbare Kliniksterben stoppt und die Kliniken auf standfeste finanzielle Beine stellt. Wir veröffentlichen den Brief in Auszügen:

„(...) Wir haben bis zuletzt auf ein klares Bekenntnis zu einer kurzfristigen Rettung der Existenz vieler Krankenhäuser im ländlichen Raum und damit auf eine dauerhafte flächendeckende Versorgungssicherheit gehofft. Umso fassungsloser lässt uns Ihre Aussage zurück, dass es bis zum Greifen der Krankenhausreform zu Insolvenzen und Krankenhausschließungen kommen wird, der Bund aber dafür keine finanziellen Mittel in Aussicht stellen kann. Neben Reformansätzen ist es aber genauso die Verantwortung der Politik, für einen geordneten Übergang in eine neue Krankenhauswelt zu sorgen, um Schaden für die Bevölkerung durch irreparable medizinische Versorgungslücken abzuwenden.

Als Krankenhausträger im Flächenland Bayern sind wir für die regionale Gesundheitsversorgung der Bevölkerung der Landkreise Altötting und Mühldorf mit knapp 235.000 Einwohnerinnen und Einwohner verantwortlich. Im Zentrum aller unserer Aktivitäten steht die Erfüllung unseres Versorgungsauftrags. (...) Dabei sind wir mit immer drastischeren finanziellen Engpässen konfrontiert, die nicht nur unsere Fähigkeit zur Bereitstellung einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung beeinträchtigen, sondern inzwischen auch die Existenz unserer Kliniken bedrohen. Zu dieser desaströsen Entwicklung kommt, dass unsere kommunale Handlungsfähigkeit durch das explodierende Klinikdefizit mittlerweile massiv eingeschränkt ist. Unsere kommunalen Haushalte werden systematisch erdrückt. Dringend notwendige Zukunftsaufgaben wie Klimaschutzmaßnahmen, der Ausbau des ÖPNV oder Investitionen in die Bildung können nicht mehr wie erforderlich realisiert werden.

Sehr geehrter Herr Bundesminister, bitte kommen Sie Ihrer politischen Verantwortung nach und handeln Sie unverzüglich, um zwei gesellschaftspolitische Brandherde zu entschärfen: Zum einen wird es zu einem wahllosen Kliniksterben kommen. (...) Das ist aber alles andere als eine durchdachte Klinikreform. So verursachen Sie irreversible Schäden in der Krankenhauslandschaft. Die medizinische Versorgung droht mittelfristig zu kollabieren. (...) Zum anderen nehmen Sie in Kauf, dass Kommunen selbst ihre Pflichtaufgaben nicht mehr adäquat erfüllen können. Denn eines ist vollkommen klar: Wir können und werden unsere Krankenhäuser nicht einfach schließen. Eine sinnvolle medizinische Versorgung ist unsere ureigene Aufgabe und die menschliche Gesundheit das höchste Gut. (...) Wir sind uns mit allen Experten darüber einig, dass Verbesserungen im Gesundheitswesen dringend nötig sind. Für die anstehende Transformation sind aber verlässliche Rahmenbedingungen und eine Überbrückung der Finanzierung erforderlich. (...) Die Marschrichtung muss sein: Erst stabilisieren, dann sinnvoll reformieren!

Dabei hat unser Klinikverbund seine ,Hausaufgaben‘ gemacht, Abteilungen sinnvoll zusammengeführt, Doppelvorhaltungen abgebaut und Zentren gebildet. Wir setzen im InnKlinikum konsequent um, was andere erst noch diskutieren. Trotzdem sind die Jahre 2022 und 2023 für unseren Klinikverbund ein wirtschaftliches Desaster aufgrund völlig unzureichender Finanzierungsinstrumente. (...) Den Inflationsraten von 8 Prozent im Jahr 2022 und erwarteten 7 Prozent im Jahr 2023 stehen gesetzlich gedeckelte Erlössteigerungen je Behandlungsfall bzw. Casemixpunkt von nur 2,3 Prozent im Jahr 2022 und 4,3 Prozent im Jahr 2023 über den Landesbasisfallwert gegenüber. Wir befinden uns in dem Dilemma, dass unsere Einnahmen durch planwirtschaftliche Mechanismen reguliert sind, während unsere Kosten marktwirtschaftlichen Prinzipien unterliegen. (...)

Auch unsere Kliniken haben – entsprechend dem bundesweiten Trend – mit 20 Prozent stationärem Fallzahlenverlust gegenüber dem Geschäftsjahr 2019 (vor Covid) zu kämpfen. Gleichzeitig werden die Kliniken jetzt zur notwendigen Ambulantisierung gedrängt und verlieren prospektiv weitere etwa 20 Prozent an stationären Fallzahlen. Auch schon vor der Pandemie haben die Kliniken die Gesundheitsversorgung der
Bevölkerung, gerade in Bereichen wie Notaufnahme oder Altersmedizin, sichergestellt, während sich ,Rosinenpicker‘ auf die wirtschaftlich attraktiven Bereiche konzentriert haben. Gerade im ländlichen Bereich benötigen wir aber diese wirtschaftlich weniger lukrativen Versorgungsangebote. Daher bitten wir Sie: Verbessern Sie schnellstmöglich die Finanzierung dieser wichtigen wohnortnahen Versorgung!

Wir als Landräte stehen als zuständige Kommunalpolitiker in regelmäßigen Abständen vor unseren Kreisgremien, um zum explodierenden Klinikdefizit eine Hiobsbotschaft nach der anderen zu verkünden. Wir dürfen Ihnen an dieser Stelle aus erster Hand mitgeben, dass niemand die verweigernde, achselzuckende Haltung des Bundes nachvollziehen kann. Auch die Verunsicherung und die Verständnislosigkeit in der Bevölkerung unserer beiden Landkreise steigt zunehmend. Dabei zweifeln die wenigsten Kommunalpolitiker oder Landkreisbürger die Notwendigkeit einer Reform an. Diese sollte aber durchdacht angegangen werden. Wir wünschen uns, dass auch die kommunalen Spitzenverbände stärker in Reformüberlegungen eingebunden werden. (...) Die weitere Ausgestaltung dieser Reform sollte gemeinsam, Hand in Hand durch Bund, Länder und Kommunen erfolgen.

(...) Unsere Kliniken sind in der Corona-Pandemie unserem Versorgungsauftrag gerecht geworden. Dafür mussten wir elektive Eingriffe weitgehend verschieben, wodurch wir Patientinnen und Patienten nahezu unwiderruflich an Fachkliniken verloren haben. Unsere Kliniken haben in der Pandemie bewusst in Personal investiert. Unsere Kliniken bluten seit den beendeten Covid-Ausgleichszahlungen ab der zweiten Jahreshälfte 2022 wirtschaftlich aus. Unsere Kliniken wurden um die Möglichkeit gebracht, den Leistungsrückgang in den stationären Erlösen zumindest um die Fixkosten durch den Landesbasisfallwert aufzufangen. Unsere Kliniken sind wirtschaftlich gefährdet und bekommen keine kurzfristige Perspektive. Unsere Kliniken haben trotz aller Widrigkeiten wichtige Reformen auf den Weg gebracht.

Darum unser Appell: SOS – Verhindern Sie ein Kliniksterben und stoppen Sie den kalten Strukturwandel. Unterstützen Sie uns im Umbau der Krankenhauslandschaft vor Ort. Bitte finden Sie kurzfristig Möglichkeiten in der Krankenhausfinanzierung bzw. der Liquiditätssicherung, so dass wir wieder ordentlich planen und wirtschaften können. Das sind wir den Mitarbeitern, aber auch den Patienten gerade wegen der sehr herausfordernden letzten Jahre schuldig!“

− red/ecs