Burghausen
Heißer Kaffee, roter Lippenstift

Bewegte Lebensgeschichte der Salzachstädterin Maria Schröger endet mit 98 Jahren in San Antonio, Texas

23.12.2022 | Stand 17.09.2023, 6:54 Uhr

Die Familie war immer ihr größter Schatz: Maria „Mitzi“ Rowland (†, v.l.) mit Tochter Diana Krauskopf, Enkelin Sherry Barrera, Urenkelin Ashley Barrera und dem jüngsten Mitglied, Ururenkel Douglas Barrera.

Als Maria Schröger am 19. November 1924 in dem kleinen Haus in der Liebigstraße 6 am Rande von Burghausen geboren wird, steckt die Wacker-Chemie noch in den Anfangsjahren. Lenin ist gerade mal ein paar Monate tot, die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs sind immer noch spürbar. Dass bald schon der zweite folgen soll, ahnt keiner. Dass das Neugeborene die Protagonisten öfter treffen wird, obwohl sie jüdischer Abstammung ist, auch nicht. Am 29. November, kurz nach ihrem 98. Geburtstag, ist mit Maria Rowland, geb. Schröger, eine Burghauserin von Welt gegangen.

Es waren die harten Nachkriegsjahre, in denen Maria „Mitzi“ Schröger das Licht der Welt erblickte. Ihr Vater Ludwig Mannheimer war Jude – ein Umstand, der mit der Zeit große Probleme mit sich bringen sollte. Auch deshalb übernahm der Großvater mütterlicherseits, Johann Schröger, mit seiner Frau Berta die Erziehung. Maria bekam den Nachnamen des Großvaters, der sie auch fast sicher durch den gesamten Zweiten Weltkrieg brachte.

Der Opa war ein Kriegsheld: Als Mitglied des 18. Bayerischen Infanterie Regiments kämpfte er in Rumänien. Dort rettete er das Leben von Rudolf Hess, später Stellvertreter in der NSDAP-Parteileitung unter Adolf Hitler. Jenem Hitler, der im Regiment von Feldwebel Schröger Unteroffizier war. Zum Kriegsheldenstatus trug auch das Töten einer Gruppe russischer Soldaten mit Granaten bei. Johann Schröger fuhr gut damit: Durch das Ansehen kamen er und seine Familie sicher durch die erste Zeit des Nazi-Regimes.

Eine wichtige Rolle in der Jugend von Maria Rowland spielten ihre Paten, Johann und Amalie Stadler vom Schacherbauerhof in Mehring. „Davon hat sie immer wieder erzählt. Die Momente dort gehörten zu ihren liebsten Kindheitserinnerungen“, weiß Diana Krauskopf, Rowlands Tochter. Umso mehr sei es ihrer Mutter ein Bedürfnis gewesen, immer wieder an den Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Zuletzt war sie 2018 da, mit einem großen Teil ihrer amerikanischen Familie.

Nach dem Abschluss der Wirtschaftsschule fand Maria Schröger Anstellung bei einem Bauunternehmen und kam nach Berchtesgaden. Doch mit den Wirren des Krieges musste sie umplanen: Als Stenografin arbeitete sie im Platterhof Hotel, später als „General Walker“ und heute als „Pension Moritz“ bekannt. Dort traf sie oft auf Adolf Hitler und seine Führungsriege, die aus dem Gebäude eine Rehastätte für Nazioffiziere machen wollte, aber auch auf Eva Braun, die Geliebte des Führers. Einmal seien die beiden Frauen zusammen spazierengegangen, hätten sich ausgetauscht, weiß die Tochter. „Sie waren aber auf keinen Fall Freunde.“ Maria Rowland fand dort aber auch ihre große Liebe: den SS-Mann Joachim Dienst. „Sie wollte ihn heiraten, doch dann entdeckten die Nazis ihren jüdischen Hintergrund. Sie musste fliehen“, erzählt Krauskopf. Die Frau eines Generals bot ihr an, sich bei ihr zu verstecken. „Meine Mutter hat das aber abgelehnt, weil die Nazis die Familie der Frau sonst auch erschossen hätten.“ Auf der Flucht kam ihr Sohn zur Welt.

Später, im Alter, schaute sich Maria Rowland immer wieder Dokumentationen über den Krieg an. „Wenn sie dann Leute gesehen hat, kamen die Erinnerungen hoch: ,Den kenne ich, der war oft bei uns im Hotel‘“, erinnert sich die Tochter.

Maria Rowlands Flucht war erfolgreich: Sie heiratete nach dem Krieg den amerikanischen Soldaten Roy Rowland und kam mit dem Schiff „SS Alexander“ 1947 über Ellis Island, New York, in die USA. Ihre drei Kinder zogen sie in Mississippi, Arkansas, Deutschland, Texas, Louisiana, Guam und Okinawa groß, bevor sie sich in San Antonio im US-Bundesstaat Texas niederließen. „Sie vermisste ihr Zuhause sehr, aber sie genoss auch die Zeit mit Roy.“ Kontakt wurde mit der Familie per Brief gehalten.

In den USA baute sie sich ein neues Leben auf. Peter, Algie und Diana kamen auf die Welt, zuletzt zählten auch acht Enkelkinder, 18 Urenkel und ein Ururenkel zur Familie. „Ihre Familie ging ihr immer über alles“, sagt Tochter Diana. Deshalb habe es ihr sehr weh getan, dass sie ihren Vater nie getroffen hat. „Erst in ihrem letzten Lebensjahr hat sie herausgefunden, dass er den Holocaust überlebt und es nach Mailand geschafft hatte.“ Mit 97 Jahren traf Maria Rowland im April 2022 noch ihren Halbbruder.

Auch im hohen Alter zog es die begeisterte Künstlerin immer wieder in die Heimat, aber auch zu Destinationen in den Staaten. „Immer, wenn man sie gefragt hat, hat es geheißen: ,Natürlich bin ich dabei.‘ Sie war eine Frau, die viel von der Welt sehen wollte und dies auch geschafft hat.“ Eine Weltenbummlerin mit Vorliebe für die Alpen, Bayern, Edelweiß, heißen Kaffee und roten Lippenstift. „So war sie bei uns als ,Oma‘ bekannt – nicht nur in der Familie, sondern auch bei vielen Freunden“, erzählt Diana Krauskopf. Und so wird sie auch bei allen in Erinnerung bleiben.