Der Duft von Safran bleibt

Homa Yarzadeh floh aus Afghanistan – Zehn Jahre später erfüllt sie sich einen Traum

11.03.2024 | Stand 11.03.2024, 5:00 Uhr
Gaby Mayer

Es sind die kleinen Details, die zeigen: Mit dem neu eröffneten Restaurant „Safran“ zieht ein Hauch Orient ein ins Lokal an der Burghauser Straße. Mit Kräutern und Blüten etwa wird für die Gäste Tee aufgebrüht. Homa Yarzadeh hat die Zutaten aus dem Iran bekommen. − Foto: Mayer

Es waren die immergleichen Gedanken, die Homa Yarzadeh am Abend, auf dem Weg nach Hause, durch den Kopf gingen: „Morgen höre ich auf.“ In der Berufsschule hatte sie wieder unzählige Male nachfragen müssen, was dieses oder jenes Wort bedeutete, weil ihr Deutsch noch nicht ausreichte, um in Fächern wie Buchführung nicht den Faden zu verlieren. Und dann war da noch das Heimweh, das die junge Frau quälte, die Sehnsucht nach dem Zuhause, der Familie – und nach Afghanistan. „Am nächsten Morgen war ich aber wieder mutig“, sagt Homa Yarzadeh. Sie stand auf, ging zur Schule und zur Ausbildung – und kämpfte sich durch. Mit diesem Mut und Kampfgeist schaffte es die heute 34-Jährige nicht nur, im fremden Deutschland mit seiner fremden Kultur und der fremden Sprache eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation bei Wacker zu absolvieren. Sondern auch, sich einen Traum zu erfüllen.

Drinnen Musik, draußen Tabus



Wenn Homa Yarzadeh, geboren in Kabul, an ihre Kinderjahre in Afghanistan denkt, dann fällt ihr sogleich das kleine Mädchen in der Küche ein. Gebratene Auberginen sind das erste Gericht, das sie als Achtjährige zubereitet. Damals, als sie von ihrer älteren Schwester in die Geheimnisse der Speisen und Gewürze eingeweiht wird, habe sie sich ins Kochen verliebt, sagt Homa Yarzadeh mit strahlendem Lächeln. „Ich wollte immer ein Café haben, in dem ich Kuchen backe und den Gästen serviere.“ Doch irgendwann wird ihr klar: „Das wird nicht funktionieren in Afghanistan.“ Zwar sei sie in einer sehr aufgeschlossenen Familie groß geworden, es habe Partys und Musik zuhause gegeben. „Doch sobald wir durch die Türe nach draußen gegangen sind, waren da nur noch Tabus, Verbote und das ständige ,Das wird nicht gerne gesehen‘.“ Vor allem die Mädchen bekommen die Restriktionen zu spüren. „Ich hatte kein Problem damit, ein Kopftuch zu tragen und Regeln zu beachten“, sagt die 34-Jährige. Doch es sei schwer gewesen, für alles verurteilt zu werden. „Egal, was man als Frau gemacht hat – es wurde kritisiert.“ Die junge Homa beißt sich trotzdem durch, studiert Literaturwissenschaft, arbeitet als Dozentin und freie Journalistin. Damit stößt sie auf Widerstände. Der Job als Journalistin ist gefährlich, an der Universität wird ihr vorgeworfen, männliche Studenten belehren zu wollen – ein gesellschaftliches Unding. „Ich habe mich gefragt, ob ich so weiterleben kann“, erzählt sie. Die Antwort: ein klares Nein. „Da habe ich beschlossen zu gehen.“

Deutschland ist das Ziel ihrer Flucht, weil dort bereits zwei ihrer Brüder leben. Homa, zu diesem Zeitpunkt 24, kommt nach ihrer Ankunft in München bei einem von ihnen unter. Doch von dort schickt sie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Neuötting. Ein Schlag für die junge Frau. „Mir war nicht klar gewesen, dass ich ganz alleine leben würde.“ Beladen mit zwei Koffern und einer Tasche strandet sie an einem schneereichen Tag im Winter 2014 am Bahnhof Eisenfelden. Alleine, des Deutschen nicht mächtig und völlig planlos schleppt sie sich und ihr Gepäck Richtung Stadt, bis sie sich irgendwann vor einer Werkstatt auf den Boden setzt und in Tränen ausbricht. Ein Junge habe sich ihrer angenommen, ein Taxi gerufen und bezahlt. „Den werde ich nie vergessen“, sagt Homa.

„Steh auf, kämpfe!“



Er soll nicht der einzige Neuöttinger bleiben, der ihr mit Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit den Start in der Fremde erleichtert. Ihre erste Bleibe in einer Flüchtlingsunterkunft entpuppt sich als Kellerzimmer ohne Bad und Toilette, Deutsch versucht sie mit Hilfe von Kinderbüchern zu lernen. Als sie schon aufgeben und nach Afghanistan zurückkehren will, wendet sich das Blatt. Nicht nur ihr Bruder und ihre Schwägerin verlegen ihren Wohnsitz nach Neuötting – „Plötzlich war ich nicht mehr alleine!“ –, sie lernt auch eine Familie kennen. „Die haben sich unglaublich um mich gekümmert.“ Homa zieht in eine eigene Wohnung im Haus der Neuöttinger, gräbt sich mit ihrer Hilfe aus einem depressiven Heimweh-Tief heraus. „Das war das größte Glück, das jemand haben kann“, blickt sie dankbar zurück. „Ohne sie hätte ich es nicht geschafft.“

Doch Homa Yarzadeh schafft noch mehr. „Ich bin mit Null nach Deutschland gekommen“, mittlerweile hat sie viel erreicht. „Steh auf, kämpfe!“, schimpft sie sich selbst, wenn die Selbstzweifel am Abend, auf dem Nachhauseweg, im Kopf laut werden. Sie schließt ihre Ausbildung ab, jobbt nebenbei und hat heute eine unbefristete Stelle bei der Wacker Academy. Sie heiratet, träumt vom eigenen Haus. Doch den alten Traum vom eigenen Café vergisst sie darüber nicht. Dass es nun sogar ein Restaurant geworden ist, überrascht sie selbst ein wenig. Ihr Mann und ihre Schwägerin, gelernte Köchin, führen das am Freitag eröffnete Lokal in der Burghauser Straße, das von der Einrichtung bis zur Speisekarte ihre Handschrift trägt. Auch Homas eigene Kreationen werden serviert und bringen Erinnerungen zurück an die Zeit in der Küche der Mutter, durch die der Duft von Safran zog – so wie jetzt durch ihr eigenes Restaurant.

− gm