Burgkirchen
Burgkirchen und die Gretchenfrage

Die Industrie braucht zunehmend mehr Energie – nur woher soll diese kommen?

15.12.2022 | Stand 17.09.2023, 8:21 Uhr

Einen großen Energiehunger hat die Industrie auch in Burgkirchen – und dieser wird in den kommenden Jahren noch extrem steigen. Daher stellt sich die Frage, wie man diesen Hunger stillen kann. −Foto: Nöbauer

Im Staatsforst im Chemiedreieck soll eine Windkraftanlage entstehen mit 30 bis 40 Windrädern. So hat es der bayerische Ministerpräsident Markus Söder am Dienstagmittag verkündet. Betroffen sein wird davon freilich auch die Gemeinde Burgkirchen. Bürgermeister Johann Krichenbauer nutzte am Dienstagabend die Möglichkeit und bezog im Gemeinderat ausführlich Stellung zu dem Vorhaben.

Unter dem Tagesordnungspunkt „Bekanntgaben“ schickte das Gemeindeoberhaupt gleich voraus, dass man sich in einer der nächsten Sitzungen genau mit dem Thema beschäftigen werde. „Wir müssen Stellung dazu beziehen, ob wir das wollen und unter welchen Bedingungen wir das wollen.“ Das Projekt selbst bezeichnete Krichenbauer als „sehr ambitioniert“, sei doch der Landkreis Altötting nicht unbedingt für sehr viel Wind bekannt. Der Windatlas Bayern würde das auch bestätigen. So gelte es zunächst einmal Messungen durchzuführen, um zu sehen, ob es wirtschaftlich auch rentabel ist. „Eine Messung dauert ein Jahr“, wusste der Bürgermeister.„Da nützt es nichts, gleich in Aktionismus zu verfallen und einfach Windräder aufzustellen. Dafür ist der Staatsforst und das Geld zu schade.“ Schließlich dürfe man für ein Windrad, das etwa eine Leistung von sechs Megawatt hat, mit Kosten in Höhe von etwa sechs Millionen Euro rechnen – „eine Million für ein Megawatt“, meinte Krichenbauer. Kommen wirklich 40 Exemplare davon, liegt man bei 240Millionen Euro, anders: eine Viertelmilliarde Euro. „So viel Geld wird niemand in die Hand nehmen ohne einen absehbaren wirtschaftlichen Ertrag.“

Auch eine andere Zahl wirkt imposant: „Ein Windrad hat eine Nabenhöhe von etwa 200 Metern. Unser Kamin im Werk Gendorf ist 188 Meter hoch.“ Es handle sich also um einen beachtlichen Einschnitt in die Landschaft. Betroffen sein werden davon viele Gemeinden die an den rund 5000 Hektar großen Staatsforst angrenzen. Allerdings sei es noch viel zu früh, meinte Krichenbauer, um über Dichte, Menge oder Größe zu spekulieren. Das sei jetzt noch nicht genau absehbar, zumal die meteorologischen Verhältnisse auch noch nicht bestätigt haben, dass man das Projekt umsetzen soll.

Auf Nachfrage von Gemeinderätin Lisa Sage (FW) informierte der Rathauschef, dass die durch den Windpark gewonnene Energie lediglich der Industrie im Chemiedreieck zugute kommen wird. Diese ins öffentliche Netz einzuspeisen sei nicht angedacht.

Auch hier hatte Krichenbauer eine imposante Zahl: Fünf Terawattstunden Strom werden im Chemiedreieck pro Jahr verbraucht – das entspricht etwa einem Prozent der in ganz Deutschland benötigten Strommenge. „Wir wissen heute, dass die 380-kV-Leitung, die sich momentan in der Planung befindet, den Status Quo, was wir jetzt an Energie verbrauchen, sicherstellen kann. Aber auch nicht mehr.“ Jedoch werde der Energiebedarf bis 2030 um das Zwei-, wenn nicht sogar Dreifache steigen, so Krichenbauer. „Wir haben keine Leitung, die das bewerkstelligen kann.“ Möglich sei es nur, wenn eine zweite 380-kV-Leitung kommt. Problem an der Sache: Die erste wird bereits seit fünf Jahren geplant und wird erst in acht Jahren fertiggestellt sein. So lange habe man bis 2030 aber nicht mehr Zeit. „Ich weiß nicht, wie das gehen soll.“

Der große Energiehunger der Industrie könne durch die bestehende Infrastruktur voraussichtlich nicht gedeckt werden. Deshalb würden die Unternehmen selbst auch versuchen, eigenen Strom vor Ort zu produzieren, um weiterhin überlebensfähig zu sein. Dies könne noch zu einem großen Problem werden, denn der Wohlstand des Landkreises hänge von der Industrie ab. „Wenn aber die Industrie keine Energie mehr hat, wird die Industrie auch nicht mehr bei uns sein. Der Wohlstand dann auch nicht mehr.“ Dementsprechend werde man eine Pille schlucken müssen: weniger Wohlstand oder neu zu errichtende Infrastruktur für Energie dulden. „Sämtliche Ideologien dürfen da keine Rolle mehr spielen. Da geht es wirklich um Standortsicherung“, sagte Krichenbauer. „Da geht es darum, zu sagen: Wir wollen die Industrie bei uns haben oder wir wollen sie nicht. Das wird die Gretchenfrage werden.“ In einer der nächsten Sitzungen müssen die Gemeinderäte dazu Farbe bekennen.