Ultralauf
"Zu normal ist auch langweilig": Neuöttinger Marco Sturm wird bei Salzburger "Mozart 100" Zweiter – 9:43 Stunden

29.06.2016 | Stand 18.09.2023, 20:14 Uhr

Die Einsamkeit des Langstreckenläufers: Zweimal von Salzburg zum Fuschlsee und zurück kämpfte sich Marco Sturm durch. 104 Kilometer und 3000 Höhenmeter. Auf der ersten Streckenhälfte plagten den Neuöttinger Achillessehnenprobleme und er dachte ans Aussteigen. Auf dem Schlusskilometer übersprintete er dann gar noch den Zweitplatzierten. − Foto: Sportograf

Wie verrückt muss man sein, um 100 Kilometer am Stück zu laufen? Einer, der jedenfalls weiß, wie sich das anfühlt, ist Marco Sturm. Der Ausdauersportler aus Neuötting, mittlerweile überzeugter "Wiederholungstäter", startete unlängst zum zweiten Mal beim Salzburger Ultralauf "Mozart 100". Fast Neundreiviertelstunden – weitgehend eine reine Schinderei – war er unterwegs. Und am Ende als Gesamtzweiter überglücklich.

Gefragt nach dem Warum und Weshalb, antwortet Sturm mit einem Augenzwinkern: "Wenn’s zu normal ist, ist’s auch langweilig." Der 38-Jährige, lange in die Schublade "Berglauf-Spezialist" gesteckt (und 2009 sogar mal Fünfter bei einer WM), sieht seine Leidenschaft Ultralaufen "schon extrem". Doch keineswegs als Hexenwerk.

Beim Mozart100 geht es von Salzburg bis zum Fuschlsee und wieder zurück, rund 47 km. Danach das Ganze gleich noch ein zweites Mal, diesmal aber mit kompletter Umrundung des Sees, etwa 57 km. Macht insgesamt 104. Sturm – im richtigen Leben Leitender Angestellter in flexibler Teilzeit bei seinem Sponsor, einem Polstermöbelhaus in Eisenfelden – wurde voriges Jahr auf leicht veränderter Kursführung Dritter in 9:15 Stunden. Seit November bereitete er sich auf den Neustart vor. Mit jeden Tag zwei Stunden Ausdauertraining, meist in den Hügeln des Holzlandes, als Basis.

Als um 5 Uhr in der Früh auf dem Salzburger Mozartplatz der Startschuss fällt, fühlt sich Sturm eigentlich gut in Form. Wären da nur nicht die Beschwerden in der Achillessehne, die ihm von Beginn an zu schaffen machen. "Enorme Probleme" habe er gehabt, gibt der gebürtige Altöttinger später zu. Ja, er sei richtig "gegen den Schmerz angelaufen". Sturms Bewegungsablauf schaut dermaßen unrund aus, dass ihm nach 25 Kilometern einer der Organisatoren vom Streckenrand aus prophezeit, so würde er es nicht bis ins Ziel schaffen.

Sturms Gedanken kreisen dann auch irgendwann darum, das Handtuch zu werfen. Nach der ersten Runde – immerhin schon mehr als ein Marathon – muss er durch den Start-Ziel-Bereich. Und ringt mit dem inneren Schweinehund: aufgeben oder weiterquälen? Vom Streckensprecher vernimmt er etwas von "30 Minuten Rückstand bis zur Spitze". Ernüchternd, für einen ambitionierten Topathleten wie Sturm. Fast zeitgleich denkt er sich: Bis zum Hotel wäre es von hier gerade mal ein Kilometer ... Verlockende Vorstellung – angesichts der Alternative, nun die zweite, längere Runde in Angriff zu nehmen. Die mit den 57km. Hin- und hergerissen verharrt Sturm eine geschlagene Minute lang am Verpflegungsstand. Dann läuft er doch weiter. Der Sportler-Ehrgeiz siegt.

Man dürfe nie daran denken, welch irre Distanz noch vor einem liegt. "Stück für Stück" müsse man sie sich vornehmen, gibt Sturm einen Einblick in seine mentalen Kniffe: erstmal etwas die Salzach entlang, später die Glasenbachklamm hoch, und immer so weiter. Auch mit ganz banalen Gedanken versucht er sich zu motivieren, etwa: "Erfreu’ dich an der Landschaft! Genieße das schöne Wetter!" Und siehe da, plötzlich geht es besser, beinahe von Minute zu Minute. Ein technisch anspruchsvolles Stück etwa nach Hälfte der Strecke klappt wunderbar. Und "ab Kilometer 60, 70 lief’s richtig gut", erzählt Sturm. Ihm kommt’s vor – und das klingt nach mehrstündiger Laufzeit etwas kurios – wie die "zweite Luft". Fakt ist: Er beginnt jetzt Plätze gutzumachen. Sammelt mehrere Mitkonkurrenten ein, denen es sichtbar schlechter geht als ihm; etwa 20 km vor dem Ziel sogar den Drittplatzierten. Nach all den Qualen nun unverhofft einen Stockerlplatz im Visier – das gibt Sturm einen Extrakick. "Ich fliege", schießt es ihm durch den Kopf.

An einer Verpflegungsstelle schüttet er eine Dose Red-Bull-Cola in sich hinein, saugt das letzte von neun Tütchen mit Energie-Gel aus. Bereits zurück in Salzburg, spürt Sturm Wadenkrämpfe aufkommen. Ignorieren! Das Tempo hochhalten, nur weiter! Am Kapuzinerberg lässt er es nochmal "richtig krachen", wie er sagt. Und erblickt auf den Stufen hinab zur Steinernen Gasse Daniel Oralek, den Vorjahressieger aus Tschechien. Kurz darauf zieht er an ihm vorbei – im Vollsprint. 2. Platz! Seine Zeit im Ziel: neun Stunden, 43 Minuten, 40 Sekunden. Oralek braucht fast 9:45, einzig Gewinner Gabor Muhari aus Ungarn (9:14:33) ist längst da. 5:39 Minuten hat Sturm im Schnitt für jeden Kilometer gebraucht. Seine Gefühle kann er kaum in Worte fassen. "Super happy", formuliert er.

Und jetzt? Erstmal Regeneration, klar, doch groß Ausruhen ist nicht sein Ding. Am Sonntag will Sturm beim Reischacher Holzlandlauf bereits seinen nächsten Wettkampf machen. Sind ja nur etwas mehr als 11km. Und dann geht’s für drei Monate in die USA. Höhentraining in Colorado, 3000m über dem Meeresspiegel. Vorbereitung auf den "Run Rabbit Run", seinen nächsten Ultra am 16.September. Der ist 100 Meilen lang. In Kilometern: gut 160. Verrückt? Marco Sturm schüttelt den Kopf: "Man kann’s vorbereiten."