"Schauen, was die Menschen wollen"
Rainer Koch im Interview: Das entgegnet der BFV-Boss den Kritikern von E-Fußball

23.03.2020 | Stand 19.09.2023, 1:32 Uhr

E-Fußball – mittlerweile gibt es zwei Bayernligen mit 36 Teams. −Foto: dpa

Er streckt den Ultras die Hand entgegen, verteidigt aber das Vorgehen des Verbands gegen Auswüchse in den Stadien: Im Interview mit der Heimatzeitung spricht der bayerische Fußballchef und DFB-Vizepräsident Dr. Rainer Koch über das schwierige Verhältnis zwischen Verband und Ultras, warum Futsal eine Verbands-Aufgabe ist und was für ihn E-Sports mit Carrera-Rennbahn zu tun hat. Das Gespräch mit Rainer Koch wurde vor der Aussetzung des Spielbetriebs in Folge der Corona-Krise geführt.

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Der Bayerische Fußball-Verband kümmert sich jetzt auch um E-Sport. Was ist denn dabei das Anliegen des Verbands?
Koch: Der BFV möchte alle Sparten des Fußballs, die die FIFA in ihrem Angebot hat, auch bei sich abbilden. Ich sage aber gleich dazu: Das Herzstück des Fußball-Verbandes ist der Fußball, das "Elf gegen Elf". Aber wenn wir einen allgemeinen Anspruch erheben, dann sind wir eben auch aufgerufen, Futsal, Beachsoccer, demnächst Geh-Fußball, oder meinetwegen auch Fußball-Golf mit aufzugreifen. Wir müssen unseren Vereinen Angebote an die Hand geben, dass sie auch weiterhin attraktiv bleiben.

Das sehen nicht alle so...
Koch:
Schauen Sie: Unsere Gesellschaft ist dadurch geprägt, dass sie immer fragmentierter wird. Das hat mir übrigens schon mein Doktorvater vor 35 Jahren so gesagt. Diese zunehmende Fragmentierung ist natürlich ein riesengroßes Problem für unsere Vereine, für Mannschaftssportarten insgesamt. Das sehen wir doch alles jeden Tag. Und wir wissen auch: Es hat sich noch nie ein junger Mensch darum gekümmert, was ein Rainer Koch oder irgendein anderer Funktionär ihm vorgibt. Das hab’ nicht mal ich früher gemacht, und ich war brav. Zu glauben, man könnte in der heutigen digitalisierten Welt massiv beeinflussen, was junge Menschen machen, ist ausgesprochen mutig. Also: Wenn ich einen Fußballverein führe oder einen Verband, dann muss ich doch, wenn ich auf Dauer die Vereine nicht abschaffen will, die Angebote danach ausrichten, was die Menschen wollen.

Fußballvereine drohen sich quasi selbst abzuschaffen?
Koch: Nehmen Sie das Beispiel Feldhandball. Ich habe neulich einen Beitrag im Fernsehen gesehen über das Finale der deutschen Feldhandball-Meisterschaft vor 50 Jahren. Da waren 40 000 Zuschauer im Stadion. Da gibt es eine Sequenz, in der ein älterer Funktionär über die aufkommende Konkurrenz zum Hallenhandball spricht. Der sagte damals, dass der neue Sport überhaupt keine Bedrohung sei, Feldhandball sei nach dem Fußball die beliebteste Sportart und werde niemals untergehen. Zehn Jahre später war Feldhandball weg. Also nochmal: Wenn ich überhaupt nicht bereit bin, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren, dann ist ein Verein immer am Ende. Und in Zeiten der Digitalisierung müssen sich Vereine noch mehr anpassen. Und E-Sport hat nun einmal erheblichen Einfluss auf die Betätigung junger Menschen. Sie machen das, ob das ein Verband will oder nicht. Das ist die Realität. Einem Bericht in der PNP habe ich entnommen, dass da E-Sportler am Sonntagabend im Vereinsheim zusammenkommen. Das finde ich jetzt auch unter dem integrativen Aspekt nicht so schlecht.

Was sagen Sie auf besorgte Fragen nach der pädagogischen Wertigkeit?

Koch:
Alles immer mit Maßen! Zu meiner Zeit haben wir Schafkopf gespielt, Tipkick oder mit der Carrera-Rennbahn. Der Unterschied in der Gefährlichkeit von Carrera-Rennbahn und E-Sports leuchtet mir, ehrlich gesagt, noch nicht so recht ein. Wobei mir meine Eltern die Carrera-Rennbahn verboten haben. Da hieß es: Das ist ja blöd, wenn du auf einen Regler drückst und stundenlang im Kreis fährst. Was war das Ergebnis? Ich hab’s trotzdem gemacht! Stundenlang. Was ich damit sagen will: Die jungen Menschen legen selbst fest, was sie tun wollen. Aber E-Sport ist ja nur ein kleines von ganz vielen Angeboten im Gesamtangebot des BFV. Das läuft übrigens über die BFV-Service GmbH, muss dort aufgestellt und finanziert werden. Wir machen das nicht aus Geldgründen, sonst würden wir das ganz anders aufziehen. Wir haben die Plattform geschaffen und stellen sie den Vereinen zur Verfügung. Noch einmal: Es geht dem BFV ausschließlich darum, die Vereine in die Lage zu versetzen, sich zukunftsorientiert aufzustellen. Und E-Fußball – Gewaltverherrlichende Games lehne ich übrigens grundsätzlich ab – ist ja auch gut angelaufen. Es wurden auf Anhieb zwei Bayernligen auf die Beine gestellt mit 36 Teams.

Im dritten Teil lesen Sie am Dienstag, was der BFV-Boss zum Thema Futsal und den allgemeinen Nachwuchsproblemen sagt.