Parallelwelt mit Suchtfaktor
Medienexperte Dr. Frederik Weinert gibt Einblick in unsere Psyche

29.05.2022 | Stand 19.09.2023, 2:25 Uhr
Sebastian Daiminger

Warum sind wir alle von Social Media so abhängig? Es geht um Aufmerksamkeit... (Foto: avs)

Bereits 2018 veröffentlichte die Fachzeitschrift "Cyberpsychology, Behaviour and Social Networking" eine Studie von zwei Österreichischen Forschern, die Erstaunliches berichten: Demnach kann der Verzicht auf Handys und soziale Plattformen bei Betroffenen zu Entzugserscheinungen führen, wie sie auch Drogen auslösen.



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Es zeigt, wie abhängig wir alle mittlerweile von digitalen Kontakten sind. Besonders soziale Netzwerke haben für immer mehr Menschen einen potenziellen Sucht-faktor. Was macht das mit uns und unserer Psyche? Im AS-Interview begibt sich der Passauer Medienexperte Dr. Frederik Weinert auf Spurensuche.

Instagram, Facebook, TikTok… Viele Social-Media-Kanäle sind aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Was fasziniert uns an diesem digitalen Voyeurismus so, dass wir nicht mehr davon lassen können?

Dr. Frederik Weinert: Voyeurismus trifft es haargenau, denn es ist erheiternd, wenn andere Menschen auf Instagram, Facebook und TikTok heftige Videos und kuriosen Content online stellen. Dazu kommen dann freche Kommentare, bissige Emojis und viele Likes. Das voyeuristische Verhalten ist wissenschaftlich leicht erklärt und durchschaubar: Die Bedürfnispyramide nach Maslow zeigt knallhart, dass wir soziale Bedürfnisse haben, auch online. Deshalb wird in den sozialen Medien miteinander agiert, mal liebevoll, mal voller Hass. Dazu kommen weitere Bedürfnisse wie Anerkennung, Geltung und Selbstverwirklichung. Man sammelt Herzchen auf Instagram und schmeichelt sich. Das macht abhängig.

Manche Menschen verbringen mehrere Stunden am Tag mit Social-Media-Kanälen. Laufen wir Gefahr, durch diese Parallelwelt den Bezug zum realen Leben zu verlieren? Wo ist die Grenze?

Weinert: Das reale Leben besteht aus Job, einkaufen, putzen. Nicht aber, wenn man ins Social Media schaut. Urlaub, Sonne und Protz-karren wie bei Capital Bra. Das kann schnell eine Mini-Depression auslösen, wenn man das nicht hat. Es entsteht das Phänomen der kognitiven Dissonanz, wenn Wünsche wie Reichtum und Glück nicht eigenständig erfüllt werden. Die kognitive Dissonanz wird reduziert, wenn eine Bindung zu erfolgreichen, glücklichen Influencern entsteht, denn dann werden die positiven Gefühle des Internetstars als die eigenen wahrgenommen. Auf diese Weise entsteht Identifikation. Die Grenze ist dann überschritten, wenn das eigene Leben plötzlich als etwas dargestellt wird, das es gar nicht ist. Da liegt die Grenze, irgendwann fliegt der Schwindel auf.

Was macht das mit der eigenen Psyche?

Weinert: Der soziale Druck im Social Media macht uns gaga im Kopf, wenn Neid und Missgunst empfunden werden. Innere Zufriedenheit ist der Schlüssel. Mein Tipp ist, immer ein bisschen an sich zu arbeiten, ohne dass es in einen sozialen Druck ausartet. Dann darf man auch ruhig was posten!

Vor allem junge Leute scheinen die Parallelwelt bei Instagram und Co. als erstrebenswertes Ideal anzusehen – und sie wollen dem möglichst nahe kommen. Motto: "Ich will alles und zwar sofort!" Welche Gefahren drohen, wenn dieser Anspruch mit dem realen Leben kollidiert?

Weinert: Ich könnte jetzt mit Ikarus anfangen, der der Sonne zu nahekam und ins Meer stürzte. Aber mit Philosophie gewinnt man keinen Blumentopf, schon gar nicht in den sozialen Medien. Da musst du heftigen Content anbieten, nackte Haut zeigen, einen Kredit aufnehmen, um ein Auto zu kaufen oder noch besser ein Boot. Geld regiert die Welt. Man will keinem Typen auf Instagram folgen, der in Jogginghose beim Aldi einkaufen geht, sondern mit 300 PS den Gangster macht. Auffallen ist alles, um im Internet zum Star zu werden. Das kann in die Hose gehen, wenn ständig Nacktbilder gepostet werden, denn das kann zu Erpressungen führen oder den nächsten Job ruinieren. Das Internet vergisst nicht. Und wer Schulden macht, kommt aus dieser Falle vielleicht auch nicht mehr raus. Dann sind die Online-Freunde, Fans und Follower schnell wieder weg: Danke für nichts!

Influencer sind augenscheinlich mega-erfolgreich und haben ein vermeintlich perfektes Leben. Doch sieht es hinter den Kulissen manchmal ganz anders aus?

Weinert: Ich weiß von erfolgreichen Influencern, die hinter den Kulissen extrem schüchtern sind. Dann ist Social Media ein Ventil. Es gibt auch Influencer, die es mit ihren Späßen übertreiben und dann Ärger mit dem Gesetz bekommen. Dann gibt es Gamer, die sich auf Twitch viele Stunden am Stück beim Zocken filmen und dann kollabieren. Dieses höher und weiter ist allerdings nichts Neues. Man denke nur an Bergsteiger, die abstürzen, oder Weltumsegler, die nicht mehr heil ankommen.

Gibt es Alarmzeichen, wenn die digitale Welt zu sehr Besitz von einem ergreifet – ab wann ist man reif für Social Media-Detox?

Weinert: Ein Alarmzeichen ist, wenn man nur sich nur noch mit anderen in den Sozialen Medien vergleicht. Auch wenn man plötzlich keine eigene Meinung mehr hat und nur noch das postet, was zieht, dann ist das eigene Verhalten fremdgesteuert. Dann wird morgens erstmal nachgeschaut, wie viele neue Likes da sind oder wer sich den Status auf Instagram oder Facebook angeschaut hat. Wichtig sind Zeiten ohne Handy, zum Beispiel am Lagerfeuer oder in der Natur. Digital Detox, also die digitale Entgiftung, schafft jeder. Dazu muss man keine Bäume umarmen!