BFV-Präsident im PNP-Interview
Fußball-Boss Koch: Digitalisierung ist "größte Chance der vergangenen Jahrzehnte" für Amateurfußball

22.02.2018 | Stand 19.09.2023, 0:19 Uhr

"Es darf in Bayern keine fußballlosen Orte geben", betont BFV-Präsident Rainer Koch im PNP-Interview. − Foto: Andreas Lakota

Während im Hintergrund die Kreisreform im niederbayerischen Fußball umgesetzt wird, werden ab Freitag in ganz Bayern die Spitzenfunktionäre des Bayerischen Fußballverbandes (BFV) gewählt. Den Auftakt machen die niederbayerischen Vereinsvertreter, die beim Bezirkstag am Freitag, 18.30 Uhr in Straubing (Magnobonus-Markmiller Saal, Äußere Passauer Straße 60) den Zwieseler Harald Haase (45) als Nachfolger von Christian Engl, der aus privaten Gründen nicht mehr antritt, bestimmen werden. Zur Versammlung erwartet wird ferner BFV-Präsident Dr. Rainer Koch erwartet. Der 59-Jährige, seit 2004 Bayerns Fußball-Boss, wird in seiner Rede an die Vereinsvertreter die Digitalisierung und Modernisierung des Amateurfußballs in den Fokus rücken. Die PNP hat sich vorab mit dem BFV-Chef und DFB-Vizepräsidenten unterhalten.

Im Interview wirbt der BFV-Präsident für eine Ausweitung der Relegationsspiele und erklärt die Vorteile der Digitalisierung im Amateurfußball. Für den bayerischen Amateurfußball sei eine Onlinewelt geschaffen worden, die deutschlandweit führend und akzeptiert ist. Koch bezeichnet diese Entwicklung als "wohl größte Chance der vergangenen Jahrzehnte" für den Amateurfußball.

Herr Koch, der Fußball in Niederbayern steht im Wandel. Die Kreisreform im Bezirk wird heuer durchgeführt. Welche Herausforderungen kommen in Zukunft auf die Vereine zu?Rainer Koch: Zunächst möchte ich mich bei allen Vereinsvertretern bedanken – der komplette Prozess der Kreisreform war vorbildlich. Uns, der Verbandsspitze, wird ja gerne vorgeworfen, über den Kopf der Vereine hinweg zu entscheiden. Dass wir es in Niederbayern geschafft haben, gemeinsam – sprich Vereine und Verband – diesen keinesfalls einfachen Weg der Reform zu gehen, unterstreicht das Miteinander auf beeindruckende Weise. Wir haben uns die nötige Zeit genommen, die Grundlagen wurden bereits 2014 geschaffen. Alle Vereine waren aufgerufen, ihre Sicht der Dinge kund zu tun – am Ende waren weit über 90 Prozent der Klubs aktiv an diesem Prozess beteiligt, und sie haben sich auch klar für einen Weg mit fortan zwei Kreisen entschieden. So stelle ich mir Basiseinbindung vor. Die Herausforderungen werden nicht weniger. Gerade in Niederbayern, da genügt alleine der Blick auf die prognostizierte problematische Bevölkerungsentwicklung im Bayerischen Wald. Ich bleibe trotzdem dabei: Es darf in Bayern keine fußballlosen Orte geben! Der Fußball ist und bleibt ein gesellschaftlicher Anker einer jeden Gemeinde. Für eine gute Zukunft werden wir uns gemeinsam anstrengen müssen. Vor allem aber müssen wir bereit für Veränderungen sein. Es ist vielleicht eine Binsenweisheit, aber wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. Ein Vorgehen nach dem Prinzip ’Immer weiter so‘ wäre grundverkehrt. Wir müssen uns weiter öffnen, Vereine über Ortsgrenzen hinaus denken und der BFV und alle Vereine müssen deutlich und klar sagen, welche gesellschaftspolitische Aufgaben wir übernehmen.

Oft fehlt es gerade in ländlichen Regionen nicht nur an Spielern, sondern auch an ehrenamtlichen Helfern. Die, die Ämter übernehmen, müssen mehrere Aufgaben übernehmen und kommen schneller an den Punkt, wo sie nicht mehr können oder wollen. Wie kann der BFV Vereine in diesem Bereich unterstützen?Rainer Koch: Wir müssen nicht immer mehr machen, sondern wir werden manches anders machen müssen. Wir wissen, dass die Ansprüche an die Ehrenamtlichen wachsen. Mitglieder sehen sich zunehmend als Kunden. Vereine sind aber keine Dienstleistungsunternehmen, die aus einem Zehnjährigen einen Bundesligaprofi machen und dessen Trainer und Betreuer sämtliche häusliche Erziehungsdefizite ausgleichen. Und das Ganze am besten auch noch für höchstens drei Euro im Monat. So kann Vereinsarbeit im Jahr 2018 nicht mehr funktionieren! Wir kommen nicht umhin, in jedem einzelnen Verein zu diskutieren und zu definieren, wie, also mit welchen Mitteln, Personen und Strukturen, der Amateurfußball ins nächste Jahrzehnt geführt werden kann. Der BFV hilft natürlich, wenn es darum geht, Vereinsmitarbeiter optimal auf die Aufgaben vorzubereiten oder sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Dafür, also für Fortbildungs-, Service- und Dienstleistungen für die Arbeit in den Vereinen an der Basis geben wir beispielsweise im Rahmen der Kampagne "Pro Amateurfußball" seit 2011 jedes Jahr eine Million Euro aus. Der BFV ist in der Fläche vertreten, die Anlaufstellen für Vereine sind vorhanden, das Angebot wächst weiter, weil wir wissen, dass es Unterstützung an der Basis braucht.

Stichwort Digitalisierung: Liveticker von den Spielen werden flächendeckend angeboten. Im vergangenen Jahr ist der BFV eine bis 2027 vereinbarte Kooperation mit Sporttotal.tv eingegangen, um den Amateurfußball – wie Sie sagen – sichtbar zu machen. Gehen dadurch nicht Zuschauer auf dem Platz verloren?Rainer Koch: Nein, ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte, dass die Bindung durch die fortschreitende Digitalisierung noch enger wird. Wir müssen aufhören zu jammern und dürfen uns nicht darauf versteifen, mehr Zuschauer auf die Amateurfußballplätze zu bekommen. Es wäre schon ein Riesenfortschritt, die aktuellen Zahlen zu halten. Und noch wichtiger: Wir müssen die Buben und Mädchen für Fußball im Verein begeistern, trotz E-Sport, trotz digitaler Lebenswelt. Die Gesellschaft befindet sich im Wandel, und diesem Wandel müssen wir Rechnung tragen. Da spielt Digitalisierung eine tragende Rolle. Denn sie kann die emotionale Bindung weiter fördern. Nehmen wir ein Vereinsmitglied, das es aus beruflichen Gründen an einen anderen Ort verschlagen hat. Ich kann ihm über Online-Kanäle aber weiterhin alle Infos bieten. Im Idealfall über das 1:0 hinaus. Nämlich auch im Bewegtbild – angefangen von einem Trainerstatement vor und nach einem Spiel bis hin zur Übertragung ganzer Spiele im Internet-Stream. So halte ich Kontakt zu dem, der sich nach wie vor und auch aus der Ferne für seinen Heimatverein interessiert. Auf den Sportplatz wäre er wohl nicht gekommen, aber dank moderner Technik, die der BFV zur Verfügung stellt, erlebt er hautnah mit, was daheim passiert. Das ist nur eines von ganz vielen Beispielen. Die unaufhaltsam fortschreitende Digitalisierung bietet die wohl größte Chance der vergangenen Jahrzehnte, den Amateurfußball und die Vereine in ganzer Breite abzubilden – und das nicht in Abhängigkeit von Dritten. Denn: Wir selbst haben es in der Hand, das, was tagtäglich in den Klubs geleistet wird, auch nach außen zu tragen – etwa über die Vereinshomepage, die Klub-Facebook-Seite oder WhatsApp. Wir haben in den letzten zehn Jahren eine Onlinewelt für den bayerischen Amateurfußball geschaffen, die heute deutschlandweit führend ist und auch akzeptiert wird.

Was können oder müssen Vereine, insbesondere die kleineren bzw. niedrigklassigeren, tun, um Fans an den Platz zu locken?Rainer Koch: Die Zuschauerzahlen im Breitenfußball werden im Durchschnitt nicht mehr zunehmen. Die Veränderungen in unserem täglichen Leben stehen dem entgegen und – auch da sollten wir uns nichts vormachen – das hat am allerwenigsten mit den Fußballübertragungen im Fernsehen zu tun. Es bieten sich aber gleichwohl Chancen, wenn wir sie aufgreifen: In einer Eventgesellschaft ist es durchaus möglich, ein- oder zweimal im Jahr 500 oder gar 1000 Menschen auf den Sportplatz zu locken, auch wenn sonst regelmäßig nur 50 oder 100 kommen. Wir müssen für Highlights im Jahreskalender neben Training und regelmäßigen Punktspielen sorgen und deswegen plädiere ich dafür, einzelne Spiele, z. B. Derbys gemeinsam besonders zu bewerben. Deshalb bin ich auch für einen weiteren Ausbau der Relegationsspiele. Die finden Ende Mai, Anfang Juni und damit außerhalb der Bundesligazeit statt. In dieser Zeit sind die Scheinwerfer nur auf uns Amateure gerichtet! Im letzten Jahr waren es fast eine Viertelmillion Menschen, die bayernweit bei diesen Entscheidungsspielen als Zuschauer mit dabei waren. Ich will vermeiden, dass die Leute in Zukunft am Fußballplatz vorbeilaufen und sagen: Alter Hut, Amateurfußball brauche ich nicht mehr! Deshalb mein Ansatz: Wir müssen mehr bieten als unseren Klassiker, bestehend aus zweimal Training und einem Spiel pro Woche. Vor allem unsere Kids wollen das nicht mehr: Jeden Samstag dasselbe machen, das entspricht nicht mehr der modernen Jugendkultur. Aber: Wir haben die attraktivste Sportart, das ist unser Plus! Die meisten Jungen und Mädchen lieben Fußball! Machen wir ihnen Zusatzangebote, die Spaß bereiten. Ein Beachsoccer-Turnier zum Beispiel, eine BFV-Ferienfußballschule im Verein oder ein anderes Event.

Eine Ankündigung zum BFV-Bezirkstag am Freitag in Straubing lesen Sie am Freitag, 23. Februar, in der Heimatzeitung (Online-Kiosk) – oder hier als registrierter Abonnent.