Er kann auch ganz anders: Guardiola trägt im Literaturhaus München Gedichte vor

01.07.2015 | Stand 01.07.2015, 15:36 Uhr

Mal nicht gestikulierend am Spielfeldrand, sonder mit Poesie in den Händen: Pep Guadiola ließ am Dienstagabend die katalanische Seele baumeln und trug im Literaturhaus München Gedichte von Miquel Martí i Pol vor. −Screenshot Youtube: Witte

Literaturhaus statt Allianz Arena: Mit Pep Guardiola tritt erstmals ein Fußballtrainer im Literaturhaus München auf. Der Katalane erzählt über seine Heimat, gibt Einblicke in die Werke seines Lieblingslyrikers – und räumt mit einem Gerücht auf.

"No." Pep Guardiola schüttelt energisch den Kopf. Auch wenn er Lyrikfan sei – Gedichte habe er seinen Spielern in der Kabine noch nie vorgelesen. "No." Weder in München noch in Barcelona. Seine Spieler seien motiviert genug, da braucht es keine Poesie in der Halbzeitpause. Und überhaupt: Fußball und Lyrik passen nicht zusammen – Gedichte lese man schließlich am besten allein zuhause. Er schenke seinen Spielern aber gern mal einen Gedichtband. Das ist alles. Ein Gerücht also weniger um Guardiola seit Dienstagabend.

Als vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass der katalanische Trainer des FC Bayern als erster Fußballcoach überhaupt im Literaturhaus München auftritt und Gedichte seines Lieblingspoeten und Freundes Miquel Martí i Pol (1929-2003) vorträgt, ist wieder viel gesprochen worden von Peps angeblicher Kabinen-Lyrik. Dementsprechend gespannt waren die Münchner auf den Auftritt des Katalanen, der abseits des Fußballplatzes öffentliche Auftritte meidet. Die Veranstaltung mit dem Titel "Der Poet und der Spielmacher", eine Hommage an einen der bedeutendsten katalanischen Lyriker des 20. Jahrhunderts, ist jedenfalls restlos ausverkauft.



Das Publikum ist an diesem Sommerabend auffallend jung, auch viele Katalanen sind gekommen. Die meisten dürften die Allianz Arena oder das Camp Nou in Barcelona besser kennen als das Literaturhaus. Um kurz nach 20 Uhr betritt Guardiola, leger gekleidet mit schwarzem T-Shirt und heller Hose, die Bühne. Blitzlichtgewitter setzt ein, der Katalane wirkt kurz erstaunt über so viel Interesse und lässt gern den sichtlich aufgeregten Gastgebern vom Literaturhaus, dem Goethe-Institut und dem katalanischen Institut Ramon Llull den Vortritt. Die lassen durchblicken, dass es offenbar einige Mühen gekostet hat, den öffentlichkeitsscheuen Guardiola davon zu überzeugen, bei einem Lyrik-Auftritt seine "katalanische Seele schwingen zu lassen".

So zurückhaltend und ruhig er bei Pressekonferenzen und auf dem Fußballfeld wirkt, so gibt sich Guardiola auch im Literaturhaus. "Entschuldigung" sagt er fast demütig gleich am Anfang auf Deutsch, den Abend werde er diesmal auf katalanisch bestreiten müssen. Gedichte seien etwas Persönliches, fast schon Musikalisches – das gehe nunmal nur in der Muttersprache. Dafür liest der Schauspieler Thomas Loibl, bekannt als Hippie-Guru aus dem Rosenmüller-Film "Sommer in Orange", die Gedicht nach Guardiola auf Deutsch.

Dass Guardiola tatsächlich ein Lyrik-Liebhaber ist, merkt man sofort. Ruhig, aber akzentuiert trägt er die Gedichte vor, Teile von "Elionor" über eine 14-jährige Fabrikarbeiterin kann er fast auswendig. Er habe bereits früh begonnen, Miquel Martí i Pol zu lesen, erzählt er. Den 2003 verstorbenen Dichter gekannt zu haben, sei ein Privileg für ihn. Martí i Pol sei ein Künstler gewesen, der mit einfachen Worten, Dinge beschreiben konnte, die jeden Menschen bewegen – Arbeit, Liebe oder Sterben.

Martí i Pol arbeitete jahrzehntelang in einer Textilfabrik in seinem Heimatdorf Roda de Ter. Als er mit 19 an Tuberkulose erkrankte und die meiste Zeit im Bett lag, begann er zu schreiben: über den Fabrikalltag und die Unterdrückung der Arbeiterklasse, später auch über Liebe und Tod, vor allem als er in den 70er Jahren an Multipler Sklerose erkrankte und 1984 seine Frau starb. Poesie sei die Kunst der Armen, das habe Martí i Pol verkörpert, sagt Guardiola.

Das letzte Gedicht ist vorgetragen. Guardiola klatscht für seinen Übersetzer Applaus und sagt den Zuhörern leise "Auf Wiedersehen". Doch die machen erstmal keine Anstalten sich zu erheben, bis Guardiola aufmunternd seine Hände nach dem Motto "Hopp, aufstehen" hebt. Schnell noch ein paar Autogramme schreiben, Fans dürfen noch ein paar Fotos schießen und weg ist der scheue Katalane. Auf dem Weg nach draußen sagt ein junger Fan zu seinem Freund zufrieden: "Schau, jetzt haben wir auch mal das Literaturhaus gesehen."

− epd