"Desaster": Passauer Medienwissenschaftler kritisiert DFB – und sieht Zukunft des Fußballs im Pay-TV

26.03.2019 | Stand 19.09.2023, 0:56 Uhr

Seit 2008 Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Passauer Uni: Prof. Dr. Ralf Hohlfeld. −Foto: Universität Passau

Er ist Leiter des Lehrstuhls für Kommunikations-
wissenschaft an der Uni Passau und Fußballfachmann. Im Interview spricht Prof. Dr. Ralf Hohlfeld (53) über die Zukunft des Fußballs im Bezahlfernsehen, Fan-Journalisten und das Chaos beim DFB.


Herr Hohlfeld, die Champions League findet seit dieser Saison völlig hinter der Bezahlschranke statt, die Bundesliga ja schon länger und die Europa League auch fast komplett. Hat diese Strategie Zukunft?

Hohlfeld: Das folgt ja einer Entwicklung, die im internationalen Fußball schon in anderen Ländern vorgegeben wurde. Ich kann jeden Fußballfan sehr gut verstehen, der sich daran stört. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass der durchschnittliche Fan in England 100 bis 120 Pfund im Monat für Fußball-Übertragungen ausgibt. In Deutschland ist das Angebot dagegen ja noch günstig. Sky kostet 30 Euro, wenn ich Champions League und Bundesliga sehen will, dazu DAZN für 10 Euro und den Eurosport Player (4,99 monatlich, Anm. d. Red.). Dann bin ich nicht mal bei der Hälfte dessen, was in England von einem Fußball monatlich bezahlt wird.

Dennoch gilt der deutsche Pay-TV-Markt als schwierig. Wieso?

Hohlfeld: Wir haben in Deutschland eine ganz andere Tradition des Fernsehens, einen sehr großen Free-TV-Markt. Viele Menschen sind sozialisiert worden mit dem öffentlich-rechtlichen System und später dann mit Privatfernsehen und einer unglaublich hohen Sendervielfalt. Die Engländer zum Beispiel haben eben einen viel kleineren Free-TV-Markt, sodass dort ganz früh Akteure auf den Markt getreten sind, die gemerkt haben, dass man nicht nur über die Werbung, sondern auch über Abos viel Geld erlösen kann.

Sky hat fünf Millionen Kunden im deutschsprachigen Raum, signifikante Zugewinne gibt es nicht mehr. Ist die Grenze der Menschen erreicht, die bereit sind für Live-Sport zu zahlen?

Hohlfeld: Gemessen an der Kaufkraft ist die Zahlungsbereitschaft in Deutschland geradezu miserabel, nicht nur für Fußball, sondern auch für andere Medieninhalte. Der Streaming- und Pay-TV-Markt ist deshalb nicht beliebig erweiterbar. Was Champions League angeht, sind wir wohl bei einer Sättigung angekommen.

Dabei wäre Deutschland ein fußballbegeistertes Land.

Hohlfeld: Ich habe das Gefühl, dass die Menschen in Deutschland allmählich vom medialisierten Spitzensport abrücken. Sie merken, der Mediensport ist zum Geschäft geworden. Klar: Das war Fußball schon immer. Aber inzwischen sind die Klubs Unternehmen, die mit Summen kalkulieren, die wir nicht gewohnt sind. Viele Leute, die ein romantisches Verhältnis zum Fußball haben, sagen: Das ist nicht mehr meine Welt. Die gehen dann wieder zum Amateurfußball.

"Grundrecht" auf Fußball? "Nicht durchsetzbar"

Welche Folgen hat das?

Hohlfeld: Da ist die Gefahr, dass ein Riss in der Gesellschaft entsteht. Zwischen denen, die sich abwenden und denen, die sich den Spitzenfußball leisten können und wollen. Letztere wollen das dann natürlich in der Qualität des Fußballs widergespiegelt sehen. Dass damit auch so gewirtschaftet wird, dass erfolgreich Fußball gespielt wird. Und da steht die Bundesliga momentan an einem Scheideweg. England zeigt ja, dass zwar Geld keine Tore schießt, aber gut angelegtes Geld. In dieser Champions-League-Saison ist das offensichtlicher denn je. Um mitzuhalten, muss der deutsche Fußball entweder mehr Geld erlösen – und das geht nur über Pay-TV – oder 50+1 abschaffen.

Im Umkehrschluss: Bleibt der Erfolg aus, könnten sich auch die zahlenden Fans abwenden und die Pay-TV-Sender Probleme bekommen.

Hohlfeld: Ich glaube, dass sich das auf jeden Fall auf die Kostenstruktur auswirken wird. Dass die Sender dann neu rechnen müssen und überlegen: Reichen uns vielleicht die Abonnenten, die so fußballverrückt sind, dass sie auch bereit sind 120 Euro monatlich zu zahlen, wie die Engländer das tun. Ich bin mir aber relativ sicher, dass das Prinzip des Pay-TVs überleben wird. Ob es, wie gerade, drei große Anbieter geben wird, da habe ich Zweifel. Aber das ist im Medienbereich ja überall so: In Zukunft wird es auch nur noch ein Drittel der Tageszeitungen geben, nämlich die, die sich unentbehrlich machen, auf Qualität und Exklusivität setzen. Das ist im Fußball nicht anders.

Sollte es eine Art Grundrecht auf Live-Fußball im frei empfangbaren Fernsehen geben?

Hohlfeld: Ich persönlich hätte nichts dagegen, wenn die Öffentlich-Rechtlichen diese Aufgabe hätten. Aber gleichzeitig muss man überlegen, wer ein solches Grundrecht dann gewährleisten muss: der Staat. Dann sind wir schnell wieder bei ‚Zwangsgebühren‘. Der Rundfunkbeitrag würde so stark steigen, dass er mit dem heutigen nichts mehr zu tun hätte. Das ist gesellschaftspolitisch nicht durchsetzbar.

Der Online-Anbieter DAZN drängt mit einem großen Angebot an weltweitem Live-Sport auf den Markt. Liegt die Zukunft der Sport-Übertragung im Multinationalen?

Hohlfeld: Vor zwei oder drei Jahren hätte ich diese Frage anders beantwortet als heute. Es zeigt sich, dass es funktioniert. Sicherlich ist der Markt kleiner, weil Fußball immer noch mit nationaler Identität und Fantum zu tun hat. Aber es gibt sehr viele Menschen in Deutschland, die am Sport interessiert sind und ihre Lieblingsvereine in England oder Spanien haben. In der jüngeren Generation der 10- bis 16-Jährigen, die also noch kein Abo abschließen können, merkt man: Sie interessieren sich zwar weiterhin sehr für Fußball, aber durch Videospiele wie "Fifa" ohne die nationale Brille. Mein Sohn wird 12, der hat sich bei "Fifa" eine Mannschaft mit Belgiern zusammengestellt, da spielen viele bei Tottenham – seither ist er Tottenham-Fan. Durch das Gaming hat ein Globalisierungseffekt eingesetzt und das wiederum ist die Perspektive für Anbieter wie DAZN.

Vereine setzen vermehrt auch auf eigene Kanäle. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Hohlfeld: Für mich als Journalismus-Forscher ist das ebenso bemerkenswert wie grauenhaft. So viel Verständnis wie ich dafür habe, dass ein Verein Kommunikationskontrolle haben möchte, so schlimm schlimmer finde ich das gesellschaftlich. Das bringt nicht nur den Sport-Journalismus in Bedrängnis, sondern schadet auch den Rezipienten. Es ist in der Gesellschaft kein Bewusstsein dafür da, dass Club-TV keine unabhängige Berichterstattung ist. Und auch wenn es nur um Fußball als Unterhaltungselement geht, ist das eine Entwicklung, die ich gesellschaftlich sehr kritisch sehe.

Will der Fußballfan überhaupt kritischen Sportjournalismus?

Hohlfeld: Immer weniger. Wenn man vor 20 Jahren darüber diskutiert hat, ob ein Kommentator objektiv kommentieren sollte, war da eine große Sensibilität da. Heute fragt sich die Jugend bei älteren Reportern, warum sie so sachlich berichten – auch weil sie es aus dem spanischen, englischen oder italienischen Fußball an ders kennt. Da sind die Reporter Fan-Journalisten, wie es Carlo Wild vom ‚Kicker‘ mal genannt hat. Da hat sich auch hierzulande etwas gewandelt in den letzten Jahren, was ich sehr kritisch sehe.

DFB-Kommunikation: "Chaos, ein Desaster"

Stark kritisiert wurde zuletzt die Kommunikation des DFB.

Hohlfeld: Das ist pures Chaos, ein Desaster. Zwischen der DFB-Führung und dem Trainerstab – das hat sich ja bereits nach der WM gezeigt – ist nichts abgestimmt. Da wird nur mit wechselseitigen Beschuldigungen gearbeitet. Die Fehler wurden auf beiden Seiten gemacht, aber ich sehe gerade keinen, der das irgendwie in Ordnung bringen könnte. Jeder versucht den anderen mit Schmutz zu bewerfen und am Ende selbst sauber dazustehen. Die deutsche Nationalmannschaft und der DFB geben gerade kein gutes Bild ab.

Wie lässt sich das Ansehen wiedergewinnen?

Hohlfeld: Indem man anfängt, Fehler einzugestehen. Das kommunikative Management des DFB ist eine Katastrophe. Der deutsche Fußball ist allgemein in einer schwierigen Situation. Man hat sich nach der WM 2014 ausgeruht und nicht gemerkt, dass alles bereits in der Degeneration war und man wieder antizyklisch hätte arbeiten müssen. Das hat man nicht getan, sondern alles mit Feigenblättern bedeckt.

DFB-Präsident Reinhard Grindel hat kürzlich ein Interview mit der "Deutschen Welle" abgebrochen – ohne erkennbaren Grund. Was sagen Sie dazu?

Hohlfeld: Das geht überhaupt nicht. Ich kann nicht verstehen, wie jemand, der Journalist und Politiker war, sich so unprofessionell verhalten kann. Selbst wenn ein Journalist eine Gesprächsführung wählt, die einem nicht so gefällt, gibt es andere Möglichkeiten nicht das zu sagen, was man sagen soll. Dann aber mit Erpressungstaktiken zu arbeiten, ist nie zielführend. Damit hat sich Herr Grindel blamiert und
sein Standing im DFB sicher nicht verbessert. Er wird in der
Öffentlichkeit als jemand wahrgenommen, der seinem Amt nicht gewachsen ist.