900 Betriebe in 13 Innungen
Heimisches Handwerk steht vor vielen Herausforderungen

27.04.2024 | Stand 27.04.2024, 19:00 Uhr
Andreas Wittenzellner

Handwerk und Politik im Dialog: Kreishandwerksmeister Gerhard Kotter (Mitte) mit den Landtagsabgeordneten Martin Brunnhuber (FW, links) und Konrad Baur (CSU). − Foto: Wittenzellner

Bilanz gezogen hat die Kreishandwerkerschaft Traunstein-BGL in der Jahresversammlung in Traunstein. Kreishandwerksmeister Gerhard Kotter machte den Zwiespalt deutlich: Das Handwerk zeige sich als Garant, was örtliche Präsenz, stabile Beschäftigungsverhältnisse und die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen angehe. Andererseits kämpfe man neben wirtschaftlichen Problemen mit ausufernder Bürokratie und gesetzlichen Verordnungen.

Zum Jahresende 2023 waren 900 Handwerksbetriebe (Vorjahr 910) Mitglied in 13 Innungen in den beiden Landkreisen. Es bestanden 1649 Ausbildungsverhältnisse (2022: 1729). Mit Anton Reichbrandstätter (Elektro-Innung), Klaus Lapper (Friseur), Reinhard Bender, Manfred Brückner, Willibald Kalcher (alle Metall), Anton Eisl (Schreiner BGL), Josef Schreckenbauer, Konrad Steinberger, Hans Ritzer und Andreas Pürner (Schreiner Traunstein) sind schmerzlich viele Handwerksmeister verstorben. Ihnen galt eine Schweigeminute.

Gefahr eines „Bürokratie-Burnouts“

Kotter sagte, das Handwerk stehe vor großen Herausforderungen und nannte hohe Energiekosten, abflauende Konjunktur, steigende Lohnzusatzkosten und die Gemengelage aus anhaltender Inflation und hohen Zinsen. Politisch gesehen hoffe man nach dem Wahlausgang in Bayern auf Rückenwind, den man aus Berlin vermisse. „Etliche Entscheidungen der Ampelregierung sind gegen das Handwerk gerichtet“, so Kotter. Er sprach von der Gefahr eines „Bürokratie-Burnouts “ und nannte exemplarisch die Auflagen für die Baubranche. Erfreut zeigte er sich über die anhaltend hohen Investitionen in die berufliche Bildung, etwa in die Berufsschulen in Traunstein und Freilassing und den Campus Chiemgau. Mit dem Stellwerk 18 habe sich eine gute Möglichkeit für Startup-Firmen aufgetan.

Friseur- und Kosmetiker-Innung hat sich von Landesverband getrennt

Der Kreishandwerksmeister lobte den Landesverbandstag der Metaller in Berchtesgaden im Mai und die Berufsinformationsmesse in der Handwerkskammer. Die Friseur- und Kosmetiker-Innung habe sich von ihrem Landesverband getrennt und zusammen mit Rosenheim und Miesbach einen Friseurverband gegründet.

Breiten Raum nahm der Dialog mit den Landtagsabgeordneten Konrad Baur (CSU) und Martin Brunnhuber (Freie Wähler) ein. Überbordende Bürokratie, Offenlegung betrieblich sensibler Daten bei öffentlichen Ausschreibungen, Rentenabsicherung und Steuererleichterungen standen unter anderem auf der Agenda. Die heimischen Politiker machten deutlich, dass ihnen die Förderung der beruflichen Bildung und des Handwerks ein Herzensanliegen sei. „Wir brauchen ein stabiles Umfeld für unsere Betriebe“, sagte Baur und beklagte das Misstrauen, das dem Handwerk durch Verordnungen und Gesetze entgegengebracht werde. Er unterstütze eine „mittelstandsfreundliche Ausschreibung“ durch die Kommunen.

„Wir brauchen den Mut für einfache Lösungen“

„Wir brauchen den Mut für einfache und pragmatische Lösungen, es braucht einen Prüfstand für neue Gesetze“, sagte Brunnhuber Letztlich wolle keiner mehr Verantwortung übernehmen. „Das macht nur der Mittelstand und das Handwerk.“ Eine zu hohe Steuerlast sei investitionshemmend, es brauche zur Stützung kriselnder Branchen mehr öffentliche Aufträge. In Baufragen monierte er bei öffentlichen Aufträgen in der Kommunalpolitik „ideologische Präferierung bei der Auswahl der Baustoffe“.

Obermeister Josef Pflügl (Sanitär- und Heizung) kritisierte, dass die Bundesregierung die Mittel für die beruflichen Bildungszentren deutlich reduziert und die akademische Bildung deutlich erhöht habe. Die Politik habe das Vertrauen der Immobilienbesitzer und Investoren zerstört. „Wir haben fast keine Arbeit mehr“, sagte Pflügl mit Blick auf die Folgen des Heizungsgesetzes. Bürokratische und administrative Aufzeichnungen behinderten die Arbeiten zum Gelingen der Energiewende.

Bernhard Daxenberger: „Ich will, dass sich Arbeiten wieder rentiert“

Werner Scharf (Schreiner-Innung BGL) forderte, dass alle Behörden auf einer einheitlichen Plattform Aufträge ausschreiben. Obermeister Thomas Maier (Bau-Innung) hinterfragte eine Subventionierung des Holzbaus gegenüber dem Massivbau und kritisierte eine fehlende politische Neutralität in der Frage der Auswahl der Baustoffe. Obermeister Martin Kollmeier (Zimmerer) wollte das nicht so stehen lassen und warb für die zeitlose Langlebigkeit des nachwachsenden Baustoffes Holz. „Ich will, dass sich Arbeiten wieder rentiert“, sagte Bernhard Daxenberger, Präsident des Fachverbands Schreinerhandwerk Bayern, und forderte die Steuerfreiheit von Überstunden.

Die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Berufsschulen im Rahmen der dualen Ausbildung beschrieb Oberstudiendirektor Ludwig Grill, der neue Schulleiter des Staatlichen Beruflichen Schulzentrum Berchtesgadener Land.

Dagmar Sinzinger legte die Jahresrechnung 2023 vor, die mit einem gegenüber dem Vorjahr reduzierten positiven Ergebnis abschloss. Dem Votum der Rechnungsprüfer Hermann Stadler und Franz Pfeffer folgend, wurden Vorstand und Geschäftsführung entlastet. Der Haushaltsplan wurde bei weiter zurückgehenden Überschüssen und in etwa gleichbleibendem Gesamtvolumen mit einigen Gegenstimmen genehmigt. Die beiden Rechnungsprüfer wurden für ein weiteres Jahr in ihrem Ehrenamt bestätigt.

Viel Applaus gab es für die kürzlich erfolgte Verleihung des Bundesehrenpreises durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft an die Bäckerei/Konditorei Kotter, die höchsten Qualitätsauszeichnung der deutschen Ernährungswirtschaft.

Bernhard Daxenberger beschwor zum Schluss den Zusammenhalt der Handwerkergemeinschaft über die ein oder andere fachliche Differenz hinaus. „Das Handwerk muss zusammenstehen, was es gerade auch bei den Kundgebungen rund um die Bauernproteste gezeigt hat“, schoben einige Handwerksmeister nach.

Große Berufsinfomesse vom 30. September bis 2. Oktober

Auch heuer wird das heimische Handwerk zentral mit einer Berufsinformationsmesse (BIM) im Bildungszentrum Traunstein Werbung für eine Handwerksausbildung machen, wie Geschäftsstellenleiterin Manuela Deneri ausführte. Die BIM findet vom 30. September bis 2. Oktober statt. Im Gegensatz zu den Vorjahren, als man teilweise weit über 1000 Schüler und Interessierte durch die Werkstätten schleuste, will man sich in diesem Jahr für die Schüler mehr Zeit in den Werkstätten nehmen, in denen die jungen Leute „Handwerk live“ in Ruhe kennenlernen können und so vielleicht ihren künftigen Traumberuf finden. In ganz Oberbayern veranstalte man damit die größte Handwerks-Ausbildungsmesse.