Von Weltkrieg bis Nobelpreis
Wissenschaft um jeden Preis: Stück über Marie Curie in Burghausen

30.10.2022 | Stand 19.09.2023, 4:59 Uhr

Blind und abhängig: In diesem für sie schlimmsten Zustand durchlebt Marie Curie vor einer Augen-Operation im Schauspiel der Theaterlust prägende Szenen ihres Lebens. −Foto: Christina Schönstetter

Die erste Nobelpreisträgerin, glühende Naturwissenschaftlerin, Idol aufstrebender Frauen ihrer Generation: Es wäre ein Leichtes, Marie Curie aus heutiger Perspektive als Feministin misszuverstehen. Dass sie das nicht war, stellt die Hauptfigur im Schauspiel des Haager Tourneetheaters Theaterlust selbst klar: "Ich bin keine Feministin", sagt sie, entschieden, "ich bin ein Mensch, der Leistung erbringt". Und zwar mit aller Härte, die eine patriarchalische Welt abverlangt.

Wer war diese Frau, die zwei chemische Elemente und die Radioaktivität entdeckte? Im biografischen Stück "Marie Curie" zeichnete das Theaterlust-Ensemble im Burghauser Stadtsaal das Leben der brillanten Wissenschaftlerin nach. Große Überraschungen erlebten die Zuschauer zwar nicht, doch sahen sie eine unterhaltsame, hervorragend gespielte Biografie.

Dass sich Marie Curie selbst schwer damit tat, weibliches Idol zu sein, wird im Schauspiel von Susanne Felicitas Wolf schnell klar: Ausgangspunkt ist eine Szene im Krankenhaus, Curie steht vor einer Augenoperation und ist unangenehm berührt von der Krankenschwester Elsie, die sie anhimmelt. "Schonen!", fährt sie die junge Frau an, "Ich habe mich nie geschont!"

Anstatt in gleichförmiger Chronologie zu dümpeln, springt die Inszenierung von diesem Krankenzimmer aus immer wieder in prägende Szenen im Leben der berühmten Chemikerin und Physikern: Beginnend mit der Kindheit im russisch besetzten Polen über die Studienjahre in Paris, die Zeit langwieriger Experimente, bis Marie und ihr Ehemann Pierre Curie endlich erste Erfolge hatten, dann der tragische Tod des Mannes, Curies Einsatz an der Front im Ersten Weltkrieg mit ihren mobilen Röntgenwägen, schließlich auch die folgenschwere Affäre mit einem Kollegen.

Vor einer farbig angestrahlten Leinwand lässt Regisseur Thomas Luft seine sechs Schauspieler immer alle zugleich auf der Bühne sein, im Vordergrund auf schiefen Podesten die jeweiligen Protagonisten, im Hintergrund atmosphärisch verdichtend die anderen, mal stumme Zeugen, mal pöbelndes Volk, das "die Polin" aus dem Land haben will. Gerade in der Reduktion entfaltet das Stück seine Kraft, besonders, wenn die Darstellung und nicht nur die Dialoge Raum bekommen.

So wenn Johannes Schön als toter Pierre wie ein stiller Begleiter um Marie Curie schleicht; oder Reinhold Behling als Pierres Vater sein Sakko behutsam in den Armen wiegt, ein Baby, das erste Kind der Curies, und ihm leise erzählt, wie sehr es seine Eltern lieben, auch wenn sie ihre ganze Zeit im Laboratorium verbringen.

Eine junge Frau voller Begeisterung für das Lernen, eine Idealistin in der Wissenschaft, eine bedingungslose Frau: Anja Klawun spielt Marie Curie überzeugend in allen Lebensphasen, sie ist das fesselnde Zentrum des Schauspiels.

In Burghausen musste sie die Aufmerksamkeit des Publikums allerdings teilen: mit der Musik. Denn Anno Kesting, Musikschullehrer in der Salzachstadt, zeichnet für die Theatermusik verantwortlich. Vielfältig stützen die reinen Schlagwerk-Klänge die Handlung, von bedrohlichen Schlägen im Krieg bis hin zu einem unangenehm hohen Pfeifen, Curies Tinnitus, den die Zuschauer mitfühlen müssen – gerade so, wie Theater eben sein soll.

Christina Schönstetter

Die nächsten Theatergastspiele in Burghausen: 23.11. Don Quijote, New Globe Theater Potsdam. 24.1. Antigone, Württembergische Landesbühne Esslingen