Sachbuch porträtiert Schurken
Tyrannen im Aufwind: Despoten von Caligula bis Putin

13.01.2023 | Stand 17.09.2023, 5:40 Uhr

Tyrannen galten vielen als aussterbende Art. Doch die Geschichte zeigt ein anderes Bild. −F.: C.H.Beck

Eine Zeit lang schienen sie ein bisschen aus der Mode gekommen und an den Rand der Geschichte gedrängt zu sein. Tyrannen, Despoten, Diktatoren – waren das nicht Auswüchse einer längst vergangenen Welt? Leider nein. Im neuen Jahrtausend feierten Autokraten eine atemberaubende Wiederauferstehung. Ob Kim Jong Un, Assad, Erdogan oder Putin, an vielen Ecken dieser Welt erhoben sich Politiker zu Alleinherrschern, schafften die Demokratie ab, unterdrückten ihre Völker und entfesselten Kriege.

Mit der Renaissance der Diktatoren wurde auch der etwas angestaubt wirkende Begriff des Tyrannen wiederbelebt. Das zeigt sich auch an der Zahl der Bücher, die seit Neuestem zum Thema erscheinen. Die jüngste Publikation ist ein Sammelband von André Krischer und Barbara Stollberg-Rilinger, in dem sie 20 Tyrannen aus 2000 Jahren vorstellen – von Caligula bis Putin.

Die recht knapp gehaltenen und allgemeinverständlich geschriebenen Porträts sind von renommierten Wissenschaftlern verfasst, darunter einige aus den Medien bekannte Namen wie der Osteuropa-Spezialist Karl Schlögel, der das Porträt des russischen Präsidenten Wladimir Putin beisteuerte, oder der Islamwissenschaftler Guido Steinberg mit einem Beitrag über den syrischen Machthaber Baschar al-Assad.

Wie erwartet wird auch Mao porträtiert, jedoch nicht Xi Jinping, der neue unumschränkte Herrscher Chinas, wahrscheinlich der Mann mit der größten Machtfülle derzeit überhaupt. Vor allem aber, und das fällt natürlich sofort auf, fehlen die beiden Tyrannen schlechthin, nämlich Hitler und Stalin. Sie wurden nach Aussagen der Herausgeber gerade wegen ihrer unvergleichbaren Monstrosität ausgeklammert.

Nach dem griechischen Gelehrten Aristoteles ist ein Tyrann ein Machthaber, der durch Willkür statt nach Gesetzen herrscht. Typische Kennzeichen eines Tyrannen wären demnach Ungerechtigkeit, Grausamkeit, Habgier, Skrupellosigkeit, Manipulation. Aber – und das wird in den einzelnen Beiträgen auch deutlich – der Tyrann war auch immer Spiegelbild seiner Zeit und konnte sogar Opfer nachträglicher Propaganda werden.

Das gilt etwa für Richard III., der erst nach seinem Tod zum Fiesling geformt wurde, aber auch für Caligula und Nero, die jahrtausendelang als blutrünstige und wollüstige Tyrannen galten und in dieser wüsten Form in Romanen und Filmen überlebt haben. Der Historiker Aloys Winterling liefert in seinem faszinierenden Caligula-Porträt eine gänzlich andere Interpretation manch scheinbar irrer Handlungen des Kaisers.

Die Porträts der heutigen Despoten leiden hingegen ein bisschen darunter, dass ihr Bild in der Geschichte noch nicht abgeschlossen ist. Entsprechend nennt Schlögel seine Putin-Skizze auch „unvollendetes Porträt eines Großverbrechers des 21. Jahrhunderts“. Allerdings ist wohl kaum anzunehmen, dass sich das Urteil hier noch grundlegend ändern wird. Dasselbe gilt für den ebenfalls hier porträtierten Donald Trump, der gerade einen zweiten Anlauf als „Möchtegerndespot“ unternimmt.

Sibylle Peine


André Krischer und Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.): Tyrannen. Eine Geschichte von Caligula bis Putin, C.H. Beck Verlag, München, 352 Seiten, 29,95 Euro