Ausstellung im Münchner Lenbachhaus
Ohne jede Sicherheit: Das Schicksal häufig vergessener Künstler

15.12.2022 | Stand 17.09.2023, 21:12 Uhr
Joachim Goetz

Das Ausstellungsprojekt „Kunst und Leben 1918 bis 1955“ beschäftigt sich mit Künstlern und Künstlerinnen in dieser Zeit. Zu sehen sind Werke von Anita Rée, unter anderem dieses mit dem Titel „Tiroler Bäuerin“ (1921). −Foto: Estate of George Grosz, Princeton, N.J.

Selbst dem Münchner Lenbachhaus fehlen - so scheint es jedenfalls - die passenden Worte. Mit „der Vielgestaltigkeit der Lebensläufe und Schicksale von Künstler und Künstlerinnen während der Weimarer Republik, der Zeit des Nationalsozialismus bis zur ersten documenta im Jahr 1955 in der noch jungen Bundesrepublik“ beschäftigt sich die Ausstellung - laut Pressetext. Ihr lapidarer Titel lautet: „Kunst und Leben 1918 bis 1955“.

Politik spielt eine wichtige Rolle

Es geht um überzeugte Anhänger des Faschismus, um Mitläufer, um Künstler der „Inneren Emigration“, um die Vergessenen, die Verfemten, Vernichteten, Umgebrachten. Dazu etwas Weimarer Republik und junge BRD.

Auf der Verlorenen Generation liegt das Hauptaugenmerk der gezeigten Werke, die Künstler der Blut- und Boden-Ideologie samt der Nazi-Kunst-Organisationen sind seltener vertreten. Wobei der NS-Ideologie nahestehende Positionen - etwa von Emilie von Hallavanya, Fridel Edelmann - nicht ausgeklammert werden. Peter Kálmán, von dem Hitler vier und die Stadt München drei Bilder erwarb, ist mit „Atelierpause“ vertreten. Er propagierte in solchen Werken, dass Kultur aus dem Bauernstand kommt. Der Mitläufer Carl Theodor Protzen war mit der Malerin Henny Protzen-Kundmüller verheiratet, die 1937 von der Aktion »Entartete Kunst« betroffen war. Er aber war auf jeder »Großen Deutschen Kunstausstellung« präsent - mit Gemälden der Reichsautobahn oder dem Zyklus „Deutscher Osten“ zu den eroberten Gebieten.

Künstler, deren Werke zerstört wurden, berühren besonders

Betroffener machen freilich die Künstler, deren Werk zerstört wurde, die in KZs umkamen, ausgebürgert wurden, emigrierten. Käte Hoch war etwa mit Oskar Maria Graf befreundet und illustrierte seine „Kalendergeschichten“. Das rief die SA auf den Plan. Der Trupp stürmte 1933 Wohnung und Atelier, zerstörte große Teile des Werks. Einige Wochen danach starb Hoch. Erhalten wurde einiges nur, weil sich der Schriftsteller Erich Müller-Kamp um den heute im Lenbachhaus aufbewahrten Nachlass kümmerte.

Maria Luiko (Marie Luise Kohn) wurde aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus dem Reichsverband bildender Künstler ausgeschlossen, durfte ab 1936 ihren Künstlernamen nicht mehr führen. Gemeinsam mit Kollegen etablierte sie das Münchner Marionettentheater Jüdischer Künstler, das sowohl biblische Stücke wie auch unterhaltsames Kasperltheater spielte. 1939 folgte die Zwangsenteigung, 1941 zusammen mit Mutter und Schwester die Deportation ins litauische Kaunas, wo alle drei ermordet wurden. Seit kurzem erinnert immerhin ein Münchner Straßenname an Luiko. Auch die mit Arbeiten präsentierten Otto Freundlich, Marie Heilbronner, Moissey Kogan, Rudolf Levy und Charlotte Salomon wurden deportiert, ermordet.

Materielle Unsicherheit und veränderte Motive

Die Innere Emigration – Beispiele sind etwa Karl Hubbuch, Fritz Winter, Karl Caspar – ging oft mit einem Rückzug aus dem öffentlichen Kunstleben, materieller Unsicherheit und einer Veränderung von Motiven und Malstilen einher. Hubbuch, der ab 1928 eine Professur in Karlsruhe hatte, wurde 1933 fristlos entlassen, sein Buch „La France“ öffentlich verbrannt. Im Anschluss arbeitete er in der Majolika Manufaktur und als Uhrenschildmaler.

Man fragt: Warum macht das Museum so etwas? Warum sieht man Profiteure und Mitläufer des NS-Regimes neben Widerständlern und Ermordeten in ein- und derselben Schau? Die Erklärung ist einfacher als man denkt: Das Haus, das ja als Institution – zwangsweise freilich – auch zu den Mitläufern zählte, feiert im Jahr 2029 hundertsten Geburtstag und will seine Geschichte schonungslos aufarbeiten und der Öffentlichkeit präsentieren.

Den Anfang machte die documenta-Ausstellung, die den Einfluss der Kasseler Kunstschau auf die Sammlungstätigkeit des Hauses bebildert (bis 21.5.2023). Nun folgt die Zeit davor. Sie war von gewaltigen Umwälzungen in rascher Folge gekennzeichnet. Der fokussierte Blick auf konkrete Lebenswege verdeutlicht, wie manchem durch Verfolgung jede individuelle Handlungsmöglichkeit genommen wurde. Und dass es selten eine Zeit gab, in der Künstler ein sicheres Leben führen konnten.

Joachim Goetz


Münchner Lenbachhaus, bis 16. April 2023, Dienstag bis Sonntag und feiertags: 10–18 Uhr, Donnerstag: 10–20 Uhr, Katalog, Deutscher Kunstverlag, 45 Euro