„A Memory Of Our Future“
Neues Album von Leslie Mandoki und Soulmates: Ein Liebesbrief gegen das „Labyrinth der Krisen“

09.05.2024 | Stand 09.05.2024, 5:00 Uhr

Hat das neue Album seiner Soulmates komplett analog aufgenommen – Leslie Mandoki. − F.: Red Rock Studios

Leslie Mandoki bezeichnet sich selbst als „renitenten Rebellen“, der nicht müde wird, gesellschaftspolitische Probleme anzusprechen. Angesichts der Themen, die dem Musikproduzenten in der Idylle seines Wohnortes am Starnberger See durch den Kopf schießen, kann man ihm das durchaus glauben: Kriege, Fake News, vergiftete Debatten, Wirtschaftskrisen, Klimawandel. All das bewegt den 71-Jährigen vor dieser Kulisse, in der man auch auf unbeschwertere Gedanken kommen könnte und in der er sich mit Blick auf sein Lebenswerk eigentlich zufrieden zurücklehnen könnte. Macht er aber nicht. „Wir befinden uns in einem Labyrinth der Krisen“, sagt Mandoki im Interview der Deutschen Presse-Agentur, während draußen die Vögel zwitschern. „Die radikal veränderte Welt hat unsere Konstanten ins Wanken gebracht. Wir müssen aufrütteln und Wege aufzeigen.“

Dafür holte der 71-Jährige, der Musik für Stars wie Lionel Richie und Phil Collins produzierte, aber auch für Disney, VW und den FC Bayern München, vor einigen Monaten seine Mandoki Soulmates in seine Red Rock Studios nach Tutzing am Starnberger See. Mit der Formation um Weltmusiker wie etwa Gitarrenvirtuose Al Di Meola, Jethro-Tull-Chef Ian Anderson, Startrompeter Till Brönner, Gitarrist Mike Stern und Supertramp-Mitglied John Helliwell hat er für das Album „A Memory Of Our Future“ („Eine Erinnerung an unsere Zukunft“) zwölf fast ausnahmslos bedeutungsschwere Titel eingespielt. Mandoki und seine Mitstreiter, darunter auch seine Tochter Julia, wollen mit ihrer Musik klare Botschaften senden. Nicht weniger als ein „Woodstock 4.0“, wie er es nennt, ist der Anspruch des 71-Jährigen.

„Inkompetenz wird zu oft schöngeredet“

Dafür nimmt er die Menschen in die Verantwortung. In vielen Bereichen der Gesellschaft scheine die Luft raus zu sein, sagt Mandoki. „Als ich 1975 nach Deutschland kam, waren die Deutschen verliebt in das Gelingen, in Funktionalität, in Gestaltung. Jetzt wird Inkompetenz zu oft schöngeredet und hingenommen.“ Im Refrain von „The Big Quit“ heißt das dann ins Deutsche übersetzt so: „Harte Zeiten schaffen harte Menschen. Harte Menschen schaffen leichte Zeiten. Leichte Zeiten schaffen bequeme Menschen. Und bequeme Menschen bringen uns die harten Zeiten zurück.“ Wir leben über unsere Verhältnisse, setzen in dieser Spirale die einst hart erarbeiteten leichten Zeiten aufs Spiel, sagt Mandoki. „Die Idee des anstrengungslosen Wohlstands verlangsamt Veränderungen, die so notwendig sind.“

In „Devil’s Encyclopedia“ geht es auch um Fake News und vergiftete Debatten in aufgeheizten sozialen Medien. „Weil sich die Wahrheit schlafen legt, verbreiten sich Lügen leichter“, heißt es. Die Folge: Empörung statt Information im Netz. Argumentative Diskussionen seien kaum mehr möglich. Alle senden, keiner empfängt.

Mandokis Wunsch: Komfortzone verlassen und laut werden

Jeder Einzelne sei gefragt, in diesen Krisenzeiten seinen Beitrag zu leisten und aufzustehen für das, was er für richtig hält. Und sich aufzulehnen gegen das, was falsch ist. „Es ist so wichtig, zusammenzustehen und sich nicht spalten zu lassen“, sagt Mandoki. Und zeigt das auch im Begleitbooklet, wo er ans Publikum gerichtet schreibt: „Ich hoffe, dass ihr dieses neue Album nicht nur auf eurer Couch genießen könnt, sondern dass es euch auch dazu inspiriert, eure Komfortzone zu verlassen, Brücken der Einheit zu bauen - und laut zu werden.“

Laut werden, Grenzen überwinden, die Welt besser machen natürlich gibt es auf dem Album da auch einige biografische Bezüge. Der gebürtige Budapester selbst floh 1975 als Anhänger der studentischen Opposition aus Ungarn nach Deutschland. Kurz zuvor rief ihn sein Vater am Sterbebett dazu auf, seine Träume zu leben, was der Musiker auch im Song „Matchbox Racing“ beschreibt.

Der Rest ist bekannt: Mandoki arbeitete sich in Deutschland nach oben, wurde ein international erfolgreicher Musikproduzent und gilt heute zudem als exzellenter Netzwerker, der sich regelmäßig mit Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft austauscht. Wegen seiner gelungenen Integrationsgeschichte wird er in seinem Umfeld auch als europäische Version des „American Dream“ bezeichnet. „Ich schulde diesem Land was für all die Chancen, die ich erhalten habe“, sagt Mandoki. Auch das sei ein Antrieb.

Stilistisch ist das Konzeptalbum so vielseitig, wie es die Soulmates als Formation auch seit über 30 Jahren sind: Die Musiker bewegen sich zwischen amerikanischem Fusion-Jazz und englischem Progressive Rock, setzen in den vielschichtigen Arrangements auch immer wieder zu spielfreudigen Soli an.

Für die Audioproduktion wählte Mandoki ein besonderes Format. „In einer digitalen Welt passiert die Magie in der Postproduktion, in einer analogen Welt während der Aufnahme“, sagt Mandoki. Das Album sei vom ersten Ton ins Mikrofon bis zur fertigen Vinylpressung komplett analog aufgenommen worden. „Wie ein mit Füller handgeschriebener Liebesbrief.“

Wohlgemerkt: Ein Liebesbrief, wie ihn eben ein renitenter Rebell so schreibt, während draußen die Vögel zwitschern.

Meyel Löning