"Stimme gibt der Wahrheit eine Chance"
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ukrainischen Autor Serhij Zhadan

23.10.2022 | Stand 19.09.2023, 3:58 Uhr
Norbert Demuth

Er ist Schriftsteller, Musiker und freiwilliger Helfer im Krieg. Für sein kreatives Werk und seinen humanitären Einsatz ist Serhij Zhadan am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. −Foto: Gollnow/dpa

Der ukrainische Schriftsteller und Musiker Serhij Zhadan hat in einer bewegenden Zeremonie in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Die Auszeichnung ist mit 25000 Euro dotiert. In der vom Ukraine-Krieg überschatteten Veranstaltung betonte Zhadan den Wert der Sprache in Kriegszeiten. "Die Stimme gibt der Wahrheit eine Chance", sagte der 48-jährige Ukrainer am Sonntag in seiner auf Deutsch gehaltenen Dankesrede.

Zhadan werde für sein herausragendes künstlerisches Werk geehrt sowie für seine "humanitäre Haltung, mit der er sich den Menschen im Krieg zuwendet und ihnen unter Einsatz seines Lebens hilft", sagte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs. Seine Romane, Essays, Gedichte und Songtexte erzählten davon, wie Krieg und Zerstörung die Menschen in der Ukraine erschüttern. "Nachdenklich und zuhörend, in poetischem und radikalem Ton erkundet Serhij Zhadan, wie die Menschen in der Ukraine trotz aller Gewalt versuchen, ein unabhängiges, von Frieden und Freiheit bestimmtes Leben zu führen." In der Laudatio sagte Sasha Marianna Salzmann: "In einer Zeit, in der Worte, Positionen, Urteile uns wundreiben bis aufs Fleisch, schafft dieser Dichter Momente des Aufatmens durch radikale Menschlichkeit."

Serhij Zhadan sagte in seiner Dankesrede, der Krieg ändere das Gefühl für Zeit und Raum. Es sei ein "Gefühl der gebrochenen Zeit, des Fehlens von Dauer, das Gefühl der zusammengepressten Luft, du kannst kaum atmen". Die wichtigste Aufgabe sei es, unversehrt zu bleiben und sich durch den nächsten halben Tag zu kämpfen. Zugleich betonte er: "Doch sprechen muss man. Selbst in Zeiten des Krieges."

Dabei müsse man die Dinge klar benennen: "Ein Verbrecher ist ein Verbrecher. Freiheit ist Freiheit. Niedertracht ist Niedertracht", sagte Zhadan. "Solange wir unsere Sprache haben, so lange haben wir immerhin die vage Chance, uns erklären, unsere Wahrheit sagen." Zugleich warb Zhadan um Verständnis für den militärischen Kampf der Ukrainer. Eine "sanfte und diskrete Form der Kapitulation" wäre nicht der geeignete Weg zu einem friedlichen Leben.

"Vielleicht müssten die Europäer weniger Geld für Energieträger ausgeben, wenn die Ukrainer kapitulierten, aber wie würden sich die Menschen in Europa fühlen, wenn sie sich bewusst machten, dass sie ihr warmes Zuhause mit vernichteten Existenzen und zerstörten Häusern von Menschen erkauft haben, die auch in einem friedlichen und ruhigen Land leben wollten?", fragte der ukrainische Autor.

Das Publikum in der vollbesetzten Paulskirche reagierte mit minutenlangem stehendem Applaus auf die Rede Zhadans. Der Popliterat gilt als eine der wichtigsten Stimmen der ukrainischen Gegenwartsliteratur.

Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben. Geehrt werden Persönlichkeiten, die in Literatur, Wissenschaft oder Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen haben.

Norbert Demuth