Kino-Kritik
Die halbierten Coen-Brüder: Kritik zum lesbischen Roadmovie „Drive-Away Dolls“

05.03.2024 | Stand 05.03.2024, 11:27 Uhr

Hoppla, was liegt denn da im Kofferraum? Mit einem Koffer voller Dildos machen sich die Margaret Qualley (l.) als Jamie und Geraldine Viswanathan als Marian auf einen Roadtrip – zwei äußerst gegensätzliche junge Frauen. − Foto: Wilson Webb, Universal Pictures, dpa

Ohne eine andere Hälfte geht es für Ethan Coen offenbar nicht. Warum auch? Über Jahrzehnte seiner Karriere schrieb sich der Regisseur und Drehbuchautor schließlich im gefeierten Duett mit seinem Bruder Joel in die Kinogeschichte ein – mit etlichen skurrilen Meisterwerken wie dem Thriller „No Country For Old Men“ oder der Singer-Songwriter-Dramödie „Inside Llewyn Davis“.



Seit die beiden ihre Zusammenarbeit 2018 auf Eis gelegt haben, beschäftigen sich die Brüder zwar mit eigenen Projekten, doch auch diesmal ist Ethan nicht solo unterwegs: Nun hat er zusammen mit seiner Frau und Cutterin Tricia Cooke das Drehbuch für seine Regiearbeit „Drive-Away Dolls“ verfasst – und die will ganz wild vieles auf einmal sein: Roadmovie, Actionkomödie, Gangsterthriller mit cartoonartig übertriebenen Gewalteruptionen und Liebesgeschichte zwischen zwei lesbischen jungen Frauen.

Wie die blasse Kopie eines Coen-Films

Dass Jamie (Margaret Qualley) und Marian (Geraldine Viswanathan) lesbisch sind, ist letztlich aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Während Marian eher introvertiert ist, recht verklemmt und zugeknöpft durchs Leben geht, ist Jamie forsch, vernascht mit ihrer aufgeheizten Libido Mädels am Fließband und sieht die Dinge locker – manchmal zu locker, weshalb ihre Beziehung gerade in die Brüche ging.

Um ihren Leben etwas zu entkommen, starten diese beiden sehr gegensätzlichen Freundinnen einen Roadtrip von New York nach Florida. Womit sie nicht gerechnet haben: Plötzlich sind ihnen auch ein paar Gangster auf den Fersen, die einem Koffer voller Dildos in ihrem Kofferraum nachjagen.

Dass jetzt diese queere Seite in Coens Arbeit einfließt, liegt sicher vor allem an seiner Frau Cooke. Als sie sich Ende der 80er Jahre begegneten, hatte Cooke zwar bereits ihr lesbisches Coming-out gehabt, spürte dann aber doch eine tiefe Verbindung zu Coen. Die beiden heirateten, bekamen zwei Kinder – und leben in einer offenen Ehe, die sich deutlich außerhalb üblicher Bahnen bewegt.

So unkonventionell wie diese Ehe ist es auch heute noch, ein lesbisches Paar zu den Heldinnen einer schrägen Genrestory zu machen. Doch trotz dieser frischen Grundidee, der beiden tollen Darstellerinnen und einer gewissen Grundunterhaltsamkeit hebt „Drive-Away Dolls“ doch nicht so ab, wie man es sich erhofft hätte.

Sicher versuchen Coen und Cooke, die Geschehnisse grotesk zu überdrehen: der Sex, die Gewalt, die inkompetenten Gangster und all die anderen seltsamen Figuren, die nicht das Einzige sind, was einen beim Zuschauen an die Filme der Coen-Brüder erinnert. Anders aber als bei den meisten ihrer gemeinsamen Werke erzeugt dieser Film als Screwball-Komödie oft kaum mehr als ein gelegentliches Schmunzeln, während die Thrillermomente recht spannungsarm bleiben und die Skurrilität mitunter zu forciert wirkt. Am köstlichsten sind noch die Augenblicke mit Matt Damon als republikanischem Politiker, die sich über die Doppelmoral von erzkonservativen Politikern mokiert – und der Showdown mit ihm.

„Drive-Away Dolls“ spielt nicht nur in den 90ern, sondern scheint auch selbst wie ein Film aus den 90ern und wirkt dadurch eben nicht so originell, wie es damals womöglich der Fall gewesen wäre. Heute wirkt vieles wie schon einmal gesehen und wie die etwas blasse Kopie eines echten Coen-Films – nur eben mit zwei überaus coolen, lesbischen Frauen auf dem Weg zum Happy End.

Sascha Rettig


•USA 2023, von Ethan Coen, mit Margaret Qualley, Geraldine Viswanathan, 84 Minuten, frei ab 16 Jahren

•Den Trailer sehen Sie im digitalen Feuilleton auf pnp.de/kultur