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Sea-Eye steckt in Spendennot: Es fehlt noch Geld für neue Rettungsmissionen

04.01.2024 | Stand 07.01.2024, 6:21 Uhr

Gorden Isler kritisiert italienische Behörden, aber auch das Bundesverkehrsministerium. Foto: Miguel Ferraz

Die Seenotrettungsorganisation „Sea-Eye“ muss für die nächsten neun Missionen im Mittelmeer 3,6 Millionen Euro einsammeln. Noch ist erst die Finanzierung von zwei Einsätzen gesichert. Vorsitzender Gorden Isler wappnet sich zudem für wachsenden politischen Druck im Wahljahr 2024.



Neun Missionen plant die in Regensburg verwurzelte Seenotrettungsorganisation „Sea-Eye“ in diesem Jahr im zentralen Mittelmeer – doch nur die ersten zwei Einsätze im ersten Quartal sind bisher sicher finanziert. Vorsitzender Gorden Isler lässt derzeit trotz Erkältung nicht locker, Spendengelder einzuwerben. 3,6 Millionen Euro sind das Ziel, um möglichst viele Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Wie dringend nötig das ist, zeigt für ihn 2023, dass das „tödlichste Jahr für schutzsuchende Menschen an den EU-Außengrenzen in den vergangenen fünf Jahren“ gewesen sei. Nach offiziellen Zahlen starben mindestens 2756 Menschen. „Die genauen Zahlen weiß niemand. Es wird ja nicht jedes Todesopfer gefunden.“

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Sea Eye war 2015 von einer Gruppe um den Regensburger Unternehmer Michael Buschheuer gegründet worden. Seitdem wurden mehr als 17000 Menschen in Seenot an Bord genommen. Zuletzt waren am zweiten Weihnachtsfeiertag 106 Geflüchtete vor Lampedusa aus zwei überfüllten Booten gerettet worden, unter ihnen 45 Minderjährige – die Jüngsten fünf und sechs Jahre alt. Die meisten stammten aus Eritrea, Guinea, Kamerun, Mali, Gambia und dem Senegal.

2023 kamen 155.000 Geflüchtete über das Mittelmeer nach Italien



Isler verweist auf rund 155.000 Geflüchtete, die 2023 über die Route „Zentrales Mittelmeer“ Italien erreichten. Ein deutlicher Anstieg gegenüber 2022 als die Zahl bei rund 103.000 lag und gegenüber 2021 mit 67.000. „Die Kriege nehmen zu. Die Armut nimmt zu. Die Konflikte nehmen zu. Solange sich daran nichts ändert, ändert sich auch an den hohen Zahlen nichts.“ Er verwahrt sich gegen den Dauervorwurf, Rettungsorganisationen spielten kriminellen Schlepperorganisationen in die Hände. Zu Ende gedacht würde das bedeuten, Menschen zur Abschreckung vor einer Flucht nach Europa ertrinken zu lassen. Wie viele Tote „wären denn abschreckend genug?“, fragt er provokant. Das Geschäft der Schlepper floriere tatsächlich nicht wegen Hilfsorganisationen, sondern der verschärften Migrationspolitik der EU. „Das ist das größte Konjunkturprogramm. Je mehr Abgrenzung, je mehr Stacheldraht und Zäune, desto größer die Nachfrage nach Menschen, die versprechen, Geflüchtete über die Grenze zu bringen.“

Isler macht sich keine Illusionen, dass der Gegenwind für seine Organisation dieses Jahr stärker werden dürfte. Er rechnet mit einem Rechtsruck bei der Europawahl und den Landtagswahlen – und Konsequenzen schon im Wahlkampf: „Steigende Umfragewerte für rechtsnationale Parteien in ganz Europa führen natürlich dazu, dass der Diskurs anders geführt wird.“

Isler: Ampel-Regierung trägt schwerwiegenden Asylrechts-Verschärfungen mit



Deutlich spürbar war das nach Islers Worten bereits 2023: Die Ampel-Regierung in Berlin trage die schwerwiegenden Asylrechts-Verschärfungen in der EU mit. Das Bundesverkehrsministerium habe wiederum Repressionen Italiens gegen Sea-Eye keinen Einhalt geboten. „Das ist ein Schulterschluss mit Italien.“

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Er spielt damit darauf an, dass das Rettungsschiff „SEA EYE 4“ mit deutscher Flagge und Heimathafen in Regensburg von Italien drei Mal wegen vermeintlicher Verstöße für je 20 Tage festgesetzt worden ist. Eine von zunächst sechs geplanten Missionen sei deshalb im Vorjahr entfallen. Italien zwinge nach jeder Rettung Schiffbrüchiger in internationalen Gewässern auch widerrechtlich dazu, sofort weit entfernte norditalienische Häfen anzusteuern, auch wenn das Schiff noch mehr Geflüchtete retten könnte. „Das Ziel ist klar: Es geht darum, die Ankünfte in der EU zu reduzieren – aber um welchen Preis?“ 2022 habe die Sea-Eye noch 900 Menschen in Sicherheit bringen können, 2023 seien es wegen des Agierens italienischer Behörden nur gut 500 gewesen.

Spendenmöglichkeiten finden sich unter www.sea-eye.org