Emmerting
Als die Oma einen Juden versteckte

25.01.2019 | Stand 20.09.2023, 3:00 Uhr

Im Heustadl (linke Seite) des Karrer-Anwesens – heute ist hier der Jugendtreff – wurde der Jude Leo Leczycki zwei Wochen lang versteckt und aufgepäppelt. Die SS suchte nach dem Flüchtigen, doch die Dorfgemeinschaft hielt still und verriet ihn nicht. −Foto: privat

So knapp war es. So schnell hätte es gehen können, und Leo Leczycki wäre einer derjenigen Millionen Menschen geworden, derer man an diesem Wochenende gedenkt: beim Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Denn der Jude Leo war auf der Flucht, die er nur überlebte, weil sich eine Emmertingerin ein Herz nahm.

"Plötzlich stand Leo bei uns im Hof. Dass er so hieß, erfuhren wir erst später. Er war Skelett und Haut. Mit einem Sträflingsanzug bekleidet und mit dem Davidsstern und einer Nummer drauf. In den Anzug hätte dieses Häuflein Elend dreimal gepasst. In Emmerting hatte sich herumgesprochen, die SS suche entflohene Juden. Als unsere Mutter, Xenia und wir Buben diese Gestalt sahen, wussten wir, was los war."

Michael Kammergruber, der Onkel des Emmertinger Bürgermeisters Stefan Kammergruber, hat diese Erinnerung vor seinem Tod in einem Buch verewigt. Der Vater war im Krieg, seine Mutter war es, die damals die Entscheidung treffen musste: Was tut man mit diesem gesuchten Juden, diesem "Häuflein Elend", wenn es plötzlich auf dem Hof steht? Maria Kammergruber entschied sich, dem Mann das Leben zu retten.

"Ich weiß nicht, ob es aus ihrem christlichen Selbstverständnis – die Oma war sehr christlich − heraus war oder einfach nur eine schnelle Reaktion auf diese Situation", sagt Stefan Kammergruber. Leo Leczycki – so hieß er mit vollem Namen – war mit zwei anderen jüdischen Häftlingen aus dem Lager in Wald bei Mühldorf geflüchtet. Es war das Jahr 1945, wenige Wochen vor Kriegsende. Die drei schlugen sich nach Emmerting durch. "Aber sie hatten kein Glück", beschreibt es Michael Kammergruber in seinen Erinnerungen. "Wo sie anklopften, wurden sie abgewiesen."

Und schlimmer: Im unteren Dorf verriet sie ein Bauer an die SS. Zwei der drei Flüchtenden wurden gefasst und von der SS "wie üblich auf offener Straße niedergeschlagen und abtransportiert." Der dritte aber entkam und erreichte das Karreranwesen. Zwei Wochen blieb Leo Leczycki bei den Kammergrubers, versteckt im Strohstadel. Er wurde verpflegt und einigermaßen zu Kräften gebracht. Die SS war tagelang hinter dem Geflüchteten her, bis bekannt wurde, dass die Amerikaner kurz vor Neuötting auf der anderen Seite des Inn standen. "Leo tauschte sein Sträflingsgewand gegen Kleidung unseres Vaters und verschwand in der Dunkelheit der Nacht. Wie die beiden Frauen es schafften, dass wir Kinder nichts ausplauderten, weiß ich nicht mehr. " Leo Leczycki überlebte. Er war zunächst in Altötting und wurde dann später als Rosshändler in Eggenfelden bekannt.

− cts

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