Grafenau
Über Grenzen hinweg

28.10.2022 | Stand 19.09.2023, 4:34 Uhr

Waren bei der Ausstellungseröffnung im Landgraf-Leuchtenberg-Gymnasium in Grafenau: Pressesprecher Karl Matschiner (v.l.), MdB Muhanad Al-Halak, Dr. Stefan Hundsrucker, Schulleiter Christian Schadenfroh, Zusana Jonova, Franz Brunner, Lída Rakusanova und Ivan Falta. −Foto: Landratsamt

Gemeinsam mit den Verantwortlichen der tschechischen und bayerischen Seite wurde am Landgraf-Leuchtenberg-Gymnasium Grafenau in den Räumen der ehemaligen Kreisbibliothek die Ausstellung mit dem Titel "Kein Durchkommen – Geschichte des Eisernen Vorhangs" eröffnet. Stellvertrenter Landrat Franz Brunner, Oberstudiendirektor Christian Schadenfroh und Zusana Jonova, Kuratorin der Ausstellung, stellten das Projekt vor und riefen nicht nur die Geschichte dieser dunklen Jahrzehnte wieder in Erinnerung, sondern warfen auch einen Blick auf die aktuelle Politik in Europa, sodass der Grundgedanke der Ausstellung und die Lehren daraus ganz aktuell wurden.

"Über dreißig Jahre ist es nun her, dass der Eiserne Vorhang sprichwörtlich und auch in der politischen Realität gefallen ist. Wir haben heute ganze Generationen, die in einem vereinten Europa aufgewachsen sind. Ganze Generationen, die nicht mehr wissen, wie bedrückend und ernst eine Grenze ist – besonders in den grenznahen Regionen in Deutschland, Österreich und Tschechien", sagte Franz Brunner eingangs .

Zuvor konnte Schulleiter Schadenfroh zahlreiche Gäste aus den verschiedensten Bereichen und aus dem Nachbarland begrüßen.

"Für mich hat diese Ausstellungseröffnung heute gleich eine dreifache Bedeutung", leitete Schadenfroh seine Gedanken zur Ausstellung ein. Zum einen aus ganz persönlicher Sicht, da auch ein Teil seiner Verwandten tschechische Wurzeln habe, zum anderen werde er als Geschichtslehrer auch selbst fachlich von der präsentierten Ausstellung angesprochen. "Das Thema ist ganz bewusst im Lehrplan verankert, den Jugendlichen unserer Zeit aber – wenn überhaupt – nur sehr wenig bewusst. Die Ausstellung ist also gerade in der Grenzregion ein guter Anlass, sich dieses Thema wieder bewusst zu machen."

Gerade in der Grenzregion ein wichtiges Thema

Dass die Räume nun wieder genutzt würden, freue ihn zudem. "Der gemeinsame Wunsch von Schule und Landkreis ist es, diese wunderbaren Räumlichkeiten, die in den letzten Jahren zum modernen Lern- und Präsentationsort umgerüstet wurden, in Zukunft wieder stärker zu nutzen", so der Schulleiter.

Landratsamt-Sprecher Karl Matschiner, der durch die Eröffnung moderierte, brachte dann auch die Geschichte der Ausstellung in Erinnerung. Vor 30 Jahren ist die Mauer gefallen, und im Rahmen einer in Zwiesel gezeigten Ausstellung habe er Zusana Jonova kennengelernt – und beide hätten vor diesem Hintergrund die Idee zur Grafenauer Ausstellung entwickelt. Vor zwei Jahren habe man sich dann bei den Nachbarn in Bučina getroffen und erste Ideen ausgetauscht. "Eigentlich", so Matschiner, "hätte die Ausstellung ja schon früher der Öffentlichkeit präsentiert werden sollen, doch dann kam Corona."

Corona verzögerte Eröffnung

In sehr persönlicher Art und Weise vermittelte anschließend Zusana Jonova den Gästen die Ausstellung und ihre Geschichte. Ihre Rede hielt sie bewusst, wie sie sagte, auf Tschechisch, um auch dadurch die Kooperation und den Austausch zu vermitteln. Sie blickte auf die Ursprünge der Ausstellung zurück, die die Themen des Eisernen Vorhangs in vielfältiger Weise in den Fokus rücken lässt: Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzen die Ausstellungstafeln inhaltlich ein, nehmen die Aufstellung der Grenzpolizei auf beiden Seiten in den Blick und präsentieren eindrucksvoll Erinnerungsmomente und Meilensteine aus den Jahrzehnten des Eisernen Vorhangs, bis hin zu dessen Fall. Aber auch moderne Grenzschließungen wie die Corona-Grenze zwischen den beiden Nachbarn Bayern und Tschechien werden dabei nicht ausgespart. So werden Zeitzeugen lebendig und Fotos belegen und dokumentieren den politischen Willen der Grenzschließung und der Abtrennung Osteuropas vom Westen.

Jonovas Ausführungen zufolge gehe es bei der Ausstellung eben auch darum, das Leben mit dem Eisernen Vorhang darzustellen, greifbar zu machen für eine Generation, die diese Wirklichkeit nur noch aus den Geschichtsbüchern kenne. "Wir sehen in der Ausstellung auch die schlimmste und strengste Zeit, die 1950er Jahre, in denen Stromzäune und Todesstreifen das Alltagsbild der Grenze prägten."

Schilderung persönlicher Erlebnisse

Gleichzeitig ließ Jonova auch die "Stimme" des Falls des Eisernen Vorhangs zu Wort kommen, Lída Rakusanova, die damals beim Radio "Freies Europa" tätig war und jetzt auch in Grafenau bei der Ausstellungseröffnung ihre ganz eigenen Erlebnisse schilderte. "Wir haben den Menschen damals im Radio eine Alternative geboten, eine Alternative der Freiheit!"

Den Gedanken der Freiheit nahm auch stellvertretender Landrat Franz Brunner zum Anlass, in seinen Grußworten das damalige Geschehen mit dem aktuellen in Europa zu vergleichen. "Wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Aber die Grenze hat uns viel zu lange getrennt. Wenn ich heute auf den Dreisessel gehe, dann sehe ich das Verbindende, dann sehe ich so viele Menschen aus den benachbarten Ländern. Aber diese Freiheit müssen wir auch und vor allem den jungen Menschen bewusst machen", so Brunner. Wie schwierig und gleichzeitig skurril teilweise die Vorgänge während des Eisernen Vorhangs waren, verdeutlichte Brunner anhand einer Anekdote, wonach beim Besuch des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt extra bei der tschechischen Seite angefragt werden musste, ob denn die Kanzlerlimousine auf dem Dreisessel umdrehen dürfe, weil ein kleines Stückchen der Wendefläche eben schon tschechisch gewesen sei.

Auch die 1968er Jahre führte Brunner vor Augen: "Damals hatten wir alle schon die Hoffnung, dass sich etwas ändert, und dann kamen die Panzer." All diese Erinnerungen aber seien wertvoll für heute, gerade auch mit Blick auf die Ukraine. "Und dazu braucht es auch Symbolbilder", so Brunner, wie etwa die Grenzöffnungen, das Durchschneiden des Zauns oder heute auch die vielen Partnerschaften, etwa zwischen den Nationalparks Bayerischer Wald und Šumava.

Als Abschluss der stimmungsvollen Eröffnung konnte zur Ausstellung dann auch noch ein erster Blick in den begleitend angebotenen Dokumentarfilm "Vergessene Grenze" geworfen werden. Eindrucksvoll blickt dieser auf Familienschicksale, erzählt von Fluchtversuchen und lässt Zeitzeugen zu Wort kommen.

Infos zur Ausstellung

Die Ausstellung ist bis zum Beginn der Weihnachtsferien in der ehemaligen Kreisbibliothek zu sehen und kann nach Voranmeldung und Terminbuchung im Sekretariat des LLG mit Schulklassen besucht werden. Gleichzeitig kann dabei auch der ca. 45-minütige Dokumentarfilm gesehen werden. Auch für Öffentlichkeit wird die Ausstellung zugänglich sein, genaue Termine werden durch das Landratsamt noch bekanntgegeben. In den Jahren 2023 und 2024 wird die Ausstellung dann jeweils im Zeitraum zwischen September und Ende Dezember in Waldkirchen und abschließend in Freyung zu sehen sein.

− sth