Freyung-Grafenau
Mit dem Schmerz leben lernen

Zwei Betroffene berichten, wie ihnen der Hospizverein FRG nach einem Todesfall geholfen hat

19.10.2021 | Stand 21.09.2023, 3:56 Uhr

Weinen und seine Wut rauslassen kann man bei den Treffen des Hospizvereins FRG. Das schildern (von links) Silvia Wagner-Meier, Trauerbegleiterin Hospizverein Freyung-Grafenau sowie die Mitglieder Hans-Jürgen Klose und Christiane Bannöhr. −Foto: Schumergruber

Soll ich reingehen oder nicht? Das hat sich Hans-Jürgen Klose nach eigenen Angaben gefragt. Fünf Minuten ist er vor der Tür des Hospizvereins in Freyung gestanden, wie er sich erinnert. Gott sei Dank hat er sich für’s Reingehen entschieden. Denn im geschützten Raum konnte er über den Suizid seiner Frau reden. Die Schuldgefühle wurden im Laufe der Jahre von den schönen Erinnerungen abgelöst. Besser mit ihrem Schmerz kann auch Christiane Bannöhr umgehen, seitdem sie die Treffen des Hospizvereins besucht. Ihr Mann hatte Krebs und verstarb nach einer Hirnblutung in ihrem Arm, wie die 71-Jährige erzählt. Sie und Klose blicken auf ihren schweren Verlust zurück und betonen, wie ihnen der Hospizverein geholfen hat.

"Ich habe mich selbst angeklagt"

Im Jahr 2012 ist für Klose eine Welt zusammengebrochen. Seine Frau nahm sich das Leben. "Ich habe mich selbst angeklagt", erzählt er. Seine Frau habe schwere Depressionen gehabt. Warum konnte ich ihr nicht helfen? Warum hat sie nicht gesagt, wie schlecht es ihr wirklich ging? Solche Gedanken plagten den heute 65-Jährigen nach dem Todesfall. Die Schuldgefühle seien das Schlimmste gewesen. Er sei alleine nicht mehr damit fertig geworden und habe seine Familie über Dauer nicht damit strapazieren wollen.

Ähnlich ging es Bannöhr. Ihr Mann kämpfte ein Jahr lang gegen den Krebs. Nach einer Gehirnblutung sei er auf die Palliativstation am Klinikum Traunstein gekommen. Bannöhr war in seiner letzten Woche "jede Minute" bei ihm. Sie habe ihrem Mann, der in einer "Art Wachkoma" gelegen habe, von früher erzählt. In dieser intensiven Zeit habe sie stets Angst gehabt, dass ihr keine Zeit mit dem Partner mehr bleibe. Ihr Herz habe "bleib, bleib" gesagt, erinnert sich die Frau. "Lass mich noch erzählen", habe sie gehofft – doch vergebens.

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2017 sei sie wie erstarrt gewesen. Sie habe lange gebraucht, bis sie es überhaupt realisiert habe. Ihr entscheidender Gedanke sei dann gewesen: "Wenn ich jetzt nichts tue, falle ich noch tiefer." Und so ging sie zu einem Treffen des Hospizvereins – wie Klose.

Das erste Mal habe Überwindung gekostet, gibt der ehrlich zu. Aber in der lockeren Runde habe er sich Sitzung für Sitzung stärker öffnen können. Es sei einfach etwas anderes, mit jemandem zu reden, der das Gleiche durchgemacht habe. "Ich habe mich verstanden gefühlt. Man kann so was nur nachvollziehen, wenn man es selber erlebt hat", betont der Mann.

Sie sei weinend hinein und mit einem Hoffnungsschimmer hinaus gegangen, sagt Bannöhr ebenfalls. Wie unter einer "schützenden Glocke" habe sie sich gefühlt. "Bei einem Treffen kannst du sein, wie du magst", erzählt sie. Man könne weinen, aber auch seine Wut rauslassen. Dabei gilt immer der Grundsatz: Alles bleibt in der Gruppe.

Während man beim Hospizverein Verständnis bekommt, ist das bei Freunden, Bekannten und Nachbarn nach einer bestimmten Zeit aufgebraucht. "Ein halbes Jahr lang trägt die Gesellschaft die Trauer mit", weiß Silvia Wagner-Meier, Trauerbegleiterin im Hospizverein Freyung-Grafenau. Dann müsse man sowohl im Job als auch im privaten Umfeld wieder funktionieren. Wer sich schwer tue, nach einer so kurzen Zeit einfach weiterzumachen, als wäre nichts gewesen, bekomme das Unverständnis der Leute zu spüren – und viele gut gemeinte Ratschläge.

Nach kurzer Zeit muss man wieder funktionieren

Sie solle sich einen neuen Lebenspartner suchen, das sagte eine Nachbarin zu Bannöhr. Das sei nur einer von vielen Vorfällen gewesen, die dazu geführt hätten, dass sie sich zurückgezogen habe. Zum gemeinsamen Kaffeetrinken wollte sie zum Beispiel nicht mehr gehen – zur Gruppe des Hospizvereins aber schon. Denn dort wird Trauernden – im Gegensatz zur Leistungsgesellschaft – kein Zeitlimit gesetzt.

"Mit Trauer will keiner was zu tun haben", betont Klose. Außer an Allerheiligen habe sie keinen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung. Sie sei nach einem Todesfall aber etwas ganz Normales. Solange man seinen Alltag bewältigen könne, sei sie nicht krankhaft. Klose beschreibt den Umgang mit der Trauer als "schwierigen Prozess". Zwei bis drei Jahre habe es bei ihm gedauert, bis die Schuldgefühle nicht mehr so schlimm waren. Nun denke er bei seiner Frau nicht als Erstes an ihren Tod, sondern an die gemeinsame Zeit. Die schönen Erinnerungen stünden nun im Mittelpunkt.

Nach etwa einem Jahr ist bei Bannöhr aus Schmerz Wut geworden. Ihr Mann sei ein starker Raucher gewesen. Sie habe sich geärgert, dass sie ihn nicht stärker zum Aufhören gedrängt habe. Die Erinnerung an ihren Mann sei noch immer schmerzhaft, sagt die Frau. Aber: Sie habe ihr "Selbsterhaltungsgefühl" wieder. Beim Hospizverein habe sie gelernt, dass sie "da durch" müsse und, dass sie es auch allein schaffe.

Ihre positiven Erfahrungen wollen Bannöhr und Klose an andere weitergeben. Beide haben eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Hospizbegleiter gemacht. Und Klose weiß heute: Wenn man den ersten Abend mit der Gruppe hinter sich hat, wird es leichter.

DIE GRUPPEN

Einzelgespräche für Trauernde sind auf Anfrage jederzeit möglich. "Lichtblick in der Trauer – ein Treffpunkt": jeden ersten Dienstag im Monat von 15 bis 16.30 Uhr, Gasthof zur Post (Freyung), ohne Anmeldung. Trauergruppe für Erwachsene "...und die Liebe bleibt": Dauer des Gesprächskreises und Termine kann man im Hospizbüro erfragen. Gesprächskreis für Trauernde um Suizid im geschützten Raum: nächstes Treffen am Donnerstag, 2. Dezember, 18 bis 20 Uhr. Kinder- und Jugendtrauer auf Anfrage jederzeit möglich. Gesprächsabende für Mütter und Väter – verwaiste Eltern: jeden ersten Montag im Monat von 18.30 bis 20.30 Uhr.

Aufgrund der derzeitigen Situation können die Treffen nur mit vorheriger Anmeldung per Telefon oder E-Mail stattfinden.
So erreicht man den Hospizverein (Stadtplatz 1, Freyung): ✆08551/9176183 oder (mobil) 0171-4836819; E-Mail: hospizverein-frg@web.de.