Recherche in der Wüste
Mit Hitzlsperger in Katar: Bayerwald-Keeper dreht Doku zur Fußball-WM

14.11.2022 | Stand 25.10.2023, 11:06 Uhr

Hinter die Hochglanz-Kulisse des Emirats Katar am Persischen Golf blickten für die ARD (v.l.) Nick Golüke und Robert Grantner mit Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger. −Fotos: NGLOW Film

Von Werner Schötz

Gemeinsam mit Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger hat der aus dem Bayerwald stammende TV-Journalist Robert Grantner eine Doku im WM-Gastgeberland Katar gedreht. Das Ziel: Den Ausrichter kritisch zu hinterfragen. Zu sehen ist die Doku von Grantner, der immer noch für seinen Heimatverein, den SV Zenting kickt, in der ARD.





Es ist eine spannende Gänsehaut-Mischung aus Faszination und Kopfschütteln, aus Neugier und Ekel, aus Staunen und Abscheu, die einen überkommt, wenn Robert Grantner erzählt, was ihm in den vergangenen sechs, sieben Monaten bei seiner Arbeit so widerfahren ist – oder kurz: Man sollte sich nicht entgehen lassen, was Grantner zusammen mit Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger (40) sowie Co-Autor/Regisseur Nick Golüke bei der Recherche zur kritischen Fußball-WM-Doku „Katar – warum nur?“ erlebt und herausgefunden hat.

Zu sehen am Montagabend um 20.15 Uhr als Auftakt zu einem ARD-Themenabend rund um die historisch umstrittenste Vergabe eines sportlichen Mega-Events an den kleinen Wüstenstaat am Persischen Golf.

Als Amateurkicker bei seinem Heimatverein SV Zenting („Da helfe ich gelegentlich noch im Tor aus“) ist der mit Ehefrau Julia und zwei kleinen Töchtern mittlerweile in Vilsbiburg lebende, freischaffende TV-Redakteur (BR, ARD, ZDF) nie über Kreisliga-Niveau hinausgekommen. Umso globaler interessieren den studierten Politologen – und ehemaligen PNP-Praktikanten in der Redaktion Deggendorf – inzwischen die geopolitischen Verstrickungen und Abhängigkeiten des Sports gerade mit autokratisch regierten Staaten. So zeichnete Grantner bereits für die vielbeachtete ARD-Doku mit Felix Neureuther zu Winter-Olympia 2022 in Peking mitverantwortlich. „Daraus ist bei uns dann die Idee zum Blick hinter die Kulissen der Winter-Fußball-WM entstanden“, so Grantner, „und der SWR als federführender ARD-WM-Sender brachte mit Thomas Hitzlsperger das Gesicht der Doku ein.“

Ab und zu kickt er noch für seinen SV Zenting

Die Vorzüge des 52-fachen Nationalspielers und Bundesliga-Managers – einst ob seiner Weitschüsse als „The Hammer“ in Stuttgart und England (West Ham United) gefeiert – für die kritische TV-Rolle: „Thomas ist ein blitzgescheiter Kopf – und er ist schwul“, bringt Grantner es auf den Punkt. Gerade die offen homophobe Haltung im muslimisch geprägten Katar ist ein Riesenthema für Fußballfans, Spieler und Funktionäre aus demokratischen Ländern. Hitzlsperger spricht daher in der Doku mit Betroffenen und Menschenrechtler*innen vor Ort über Repressalien und die alltägliche Angst vor Verfolgung. „Dort werden Leute, die sich offen zu ihrer Homosexualität oder einer anderen sexuellen Orientierung bekennen, einfach gekidnappt und weggesperrt, für liberale Gesellschaften einfach unvorstellbar“, erzählt Grantner von den aufwendigen Dreharbeiten für den 45-Minuten-Film – nicht nur in Katar, sondern auch in Nepal bei Angehörigen der quasi auf WM-Baustellen versklavten Gastarbeiter. Oder in Gesprächen von Ex-Nationalspieler Hitzlsperger mit aktuellen DFB-Akteuren wie Kapitän Manuel Neuer oder dem türkischstämmigen Ilkay Gündogan.

Grantners Schlüsselerlebnisse in Sachen Entlarvung des WM-Gastgebers passen auf keine Kamelhaut – hier nur ein paar kleine Auszüge:

-„Erst in Nepal in Sachen WM-Sklaven recherchieren und dann vor Ort in Katar nachhaken? Ganz schlechte Idee!“ Also musste das ARD-Team erst ins Emirat zum Recherchieren – und dort gleich mal die Hosen runterlassen: „Sofort nach der Landung musst du zwingend eine App runterladen, mit der du von Regierungsseite auf Schritt und Tritt verfolgt werden kannst.

- „Filmen in privaten Räumen ist natürlich verboten“, so Grantner. Trotzdem schaffte es sein Team über ein paar Recherche-Umwege, sogar von einer katarischen Frau zu sich nach Hause eingeladen zu werden. „Unsere Gesprächspartnerin Noof Alabdulla sprach Englisch, war relativ open minded, weitgereist – aber halt auch naiv in Sachen Missstände wie tote Gastarbeiter. Das tut sie, medial auf Regierungslinie, als Fake News ab.“

- „Wir fühlten uns zwar vor Ort nie unwohl oder bedroht“, erinnert sich Grantner, „haben aber zur Sicherheit von allen Drehs drei bis vier Kopien gemacht und sie im Team aufgeteilt, falls es zu Festnahmen oder Beschlagnahmungen gekommen wäre.“

- Und last but not least dieser unfassbare Reichtum, diese gedankenlose Verschwendungssucht – rein statistisch kommt auf jeden der 300000 katarischen Staatsbürger (bei 2,7 Millionen Gastarbeitern im Emirat!) ein geschätzter Erdgas-Besitz von 120 Millionen Dollar: Energiesparen? Fehlanzeige! Strom oder Benzin kosten nichts, da laufen die Klimaanlagen auf Dauerbetrieb − sogar an jedem Freiluft-Tisch am Markt, im Restaurant.

Und dann der mega-krasse Kulturschock beim Dreh im bettelarmen Süden Nepals, wo das ARD-Team u.a. einen jungen Überlebenden der WM-Baustellen trifft, der in sengender Hitze zwölf Stunden täglich arbeitet, sich ein Zimmer mit 16 Leidensgenossen teilen muss – und am Ende pleite nach Hause kommt, weil er von seinen Arbeitgebern nur ein Drittel des versprochenen Lohns erhält. Noch beklemmender das Schicksal einer Arbeiter-Witwe, deren Mann auf einer Baustelle verschüttet wurde und erstickte, und die jetzt wie im Mittelalter in einer Hütte ohne fließend Wasser, und Strom hausen muss – ohne jegliche Hinterbliebenen-Versorgung von katarischer Seite.

Grantners spannendes Fazit: „Katar hat als absolutistische Monarchie keinerlei Reformdruck. Man kauft sich sportliche Groß-Events wie die WM fürs internationale Image. Das Bescheißen bei der Vergabe ist halt nur ein bissl schwieriger geworden.“