Freyung-Grafenau
Ist Jagen Männersache?

Wenn Frauen ein Hobby haben, das in den Augen der Gesellschaft als typisch männlich gilt – Porträt von zwei jungen FRG-Jägerinnen

02.11.2022 | Stand 19.09.2023, 4:35 Uhr

Im Einklang mit der Natur: Die Jägerin passt sich mit ihrer Kleidung farblich an.

Der Heilige Hubertus gilt als Schutzpatron der Jäger. Am 3. November ist sein Gedenktag. Bei der Hubertusmesse würdigen viele Jägerinnen und Jäger die Tiere, die sie erlegt haben und drücken ihre Dankbarkeit aus. Dieses Jahr werden an diesem Tag einige zum Jäger oder zur Jägerin geschlagen. So auch Simone Uhrmann. Für sie ist es nicht nur ein emotionaler, sondern auch ein sehr wichtiger Moment. Mit dem Jäger wird bis heute eher das männliche Geschlecht assoziiert. Dabei gibt es immer mehr Frauen, die sich zur Jagdprüfung anmelden.

Langsam steigt der Nebel immer höher und erschwert gemeinsam mit der einsetzenden Dämmerung die Sicht nach Rehen immer mehr. In der Kanzel ist es ganz ruhig. Das einzige Geräusch sind die Wassertropfen, die vom Regenschauer kurz zuvor von den Blättern der Buche des angrenzenden Waldes tropfen. Und dann bewegt sich plötzlich etwas. Verena Hirsch schaut konzentriert durch ihr Fernglas. Es ist ein Rehkitz, das sich aus der Deckung des Waldes vorsichtig auf den schmalen Streifen Wiese traut, der an einen Acker angrenzt. Langsam und ohne ein einziges Geräusch visiert die Jägerin das junge Reh durch das Zielfernrohr an ihrem Gewehr an und zielt. Doch der Schuss kommt nicht. Das Kitz steht falsch. Und wenn Hirsch die Waidgerechtigkeit nicht garantieren kann, schießt sie auch nicht.

Sind Frauen dasschwächere Geschlecht?

Verena Hirsch, 34, ist eigentlich Innenarchitektin. Doch sie wollte schon immer irgendwann mal den Jagdschein machen. Nicht weiter verwunderlich, wenn der Partner aus einer Jägerfamilie stammt, der Opa schon Jäger war und auch der Papa und die Tante Jäger sind. Was den ein oder anderen aber stutzig machen könnte, ist die Tatsache, dass die 34-Jährige eine Frau ist und somit das Geschlecht, das in der Gesellschaft noch immer als das schwächere gilt – in vielerlei Hinsicht.

Seit 2016 hat Verena Hirsch ihren Jagdschein. Damals war sie eine von sieben Frauen unter insgesamt 24 Teilnehmern. Ihre Freundin Simone Uhrmann, 29, hat ihn erst seit kurzem. Sie arbeitet eigentlich als Ergotherapeutin, ist daheim aber ebenfalls von Jägern umgeben: Bruder, Papa, Opa und Onkel. In einem knapp 1000 Hektar großen Revier mit insgesamt 15 Jägern sind die beiden zwei der insgesamt vier Frauen.

Die Reaktionen darauf, dass sie in ihrer Freizeit als Jägerinnen unterwegs sind, reichen von Erstaunen bis hin zu Ungläubigkeit. "Was, du bist Jägerin?", ist eine Frage, die besonders Männer den beiden Frauen öfter stellen. In ihren Augen scheint das weibliche Geschlecht immer noch das körperlich unterlegenere, emotionalere und weichere zu sein. Doch das täuscht. Hirsch und Uhrmann sind mindestens so tough wie ihre männlichen Kollegen. Das kann Jagdprüfer Josef Nußer, Vorsitzender der Wolfsteiner Jägerschaft, bestätigen. "Die Jagdkurse werden immer weiblicher. Früher war mal eine Frau dabei – jetzt sind es im Schnitt vier bis fünf. Dabei sind alle Altersklassen vertreten."

Nußer sagt, dass in dem jetzigen Kurs von 14 Teilnehmern fünf weiblich sind. "Die Frauen beleben den Kurs. Und stecken die Männer manchmal sogar in die Tasche." Und auch wenn sich Simone Uhrmann bei den ersten beiden Malen, als sie auf einem Hochsitz saß und einen Rehbock gesehen hat, nicht dazu überwinden konnte, tat sie es beim dritten Mal: sie schoss. Und sie traf.

Acht Monate dauert es, bis man den Jagdschein hat. Hört sich einfach an, ist es aber nicht. "Es sind acht harte Monate", wissen die beiden Frauen aus Erfahrung. Neben einer schriftlichen müssen zusätzlich eine mündliche und eine praktische Prüfung abgelegt werden. Das sogenannte "grüne Abitur" absolvierten die beiden bei der Wolfsteiner Jägerschaft. Was viele nicht wissen: Zur Aufgabe des Jägers oder der Jägerin zählt nicht nur das Erlegen der Tiere, sondern unter anderem auch das Wissen über den Land- und Waldbau, den Naturschutz, das Waffenrecht und die Wildhege. Weshalb die Jägerinnen auch viel über die Natur gelernt haben, was sie sich bei der Revierarbeit, aber auch im Privaten zunutze machen können. Das Gesetz, das für Verena Hirsch und Simone Uhrmann in dem Revier, das sie für den Pächter bejagen dürfen, gilt: Wald mit Wild. Denn für sie hat das Wild dieselbe Daseinsberechtigung wie der Wald auch.

Zwei bis drei Mal in der Woche – je nachdem, wie sie es zeitlich schafft – sitzt Hirsch nach der Arbeit auf einer der Kanzeln oder einem der Hochsitze. Die Jagd ist für sie das, was für viele andere der "Tatort" am Sonntagabend ist. Das muss man mögen. Und auch die nächtlichen Anrufe, die Hirsch erreichen, wenn es einen Wildunfall gab. Vielen fehlt für diese Passion das Verständnis. Ihr Partner jedoch unterstützt sie, wo er kann. "Das ist nichts für jemanden, der nur bei schönem Wetter draußen ist und die Sonntage auf der Couch verbringt", sagt die Jägerin lachend.

Zur Jagd gehört nichtnur das Schießen

Im ersten Moment erscheint dieses Hobby oder vielmehr dieser "Teilzeitberuf", wie es die beiden Frauen nennen, als grausam. "Wir hören oft, dass wir Jäger Mörder seien", sagt Hirsch. Das sieht sie anders. Es gibt stärkere und schwächere Tiere. Letztere würden früher oder später krank werden, eventuell sogar leiden oder Wildkrankheiten übertragen. "Ziel ist es, einen artenreichen, ausgewogenen, gesunden und waldverträglichen Wildbestand zu haben. Sowas geht natürlich nicht von heute auf morgen... Wenn man es genauer betrachtet, ist die Jagd eine Dienstleistung an den Wald. Und hier ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Jäger und Jagdgenossen unausweichlich", sagen die beiden Frauen. Wenn sich die 34-jährige Jägerin also entscheiden muss, fällt ihre Wahl auf das schwächere Tier. "Wie schon Charles Darwin gesagt hat: survival of the fittest", zitiert Verena Hirsch den Naturforscher.

"Wenn ich mir nicht zu 1000 Prozent sicher bin, dass ich einen sicheren, waidgerechten Schuss antragen kann, schieße ich nicht", sagt die Jägerin. Und genau das, denkt Hirsch, ist etwas, was sie eventuell von ihren männlichen Kollegen unterscheidet. "Ein Jäger würde jetzt vielleicht trotzdem schießen." Für die 34-Jährige – mag es an ihrem Geschlecht oder schlichtweg an ihrem Gewissen liegen – ist ein Schuss, der zwar trifft, aber nicht sofort tötet, keine Option.

Wer jetzt denken mag, dass damit die Arbeit getan ist, der täuscht sich. Um das Tier zu würdigen, legt der Jäger oder die Jägerin ihm einen Zweig in den Äser, der sogenannte "letzte Bissen". Der Schützenbruch oder Erlegerbruch kommt an den Hut des Jägers und bedeutet Anerkennung für den erfolgreichen Jäger. Im Anschluss an eine erfolgreiche Nachsuche bekommt auch der Hund einen Teil vom Schützenbruch an die Halsung angesteckt. "In der Regel holt man das Auto so nah wie möglich ran, bringt die Wildwanne zum erlegten Stück, legt das Stück rein und fährt es in die Wildkammer. In unwegsamen Gelände oder bei Einbruch der Dunkelheit kann das durchaus sehr anstrengend sein – Brombeeren, Brennnesseln etc. lassen grüßen", sagt die Jägerin und lacht. In der Wildkammer, einem Raum voll mit weißen Kacheln, machen die Jägerinnen das, was auch jeder Metzger tut. Bei der Erstversorgung, dem sogenannten Aufbrechen, werden innere Organe wie Herz, Niere, Lunge, Leber und Milz entfernt. Dann hängt das Tier mehrere Tage in der Wildkammer und wird küchengerecht zerwirkt.

Heute ist diese Arbeit für Hirsch Routine. Sie erinnert sich allerdings noch gut daran, welche Hemmungen sie beim ersten Mal hatte, als sie eine Trophäe, den Schädel eines Rehbocks, vorbereitet hat. "Wenn dich dann die Augen beim Herrichten so anschauen..." Doch auch das gehört dazu und wird irgendwann Normalität. So wie die Tatsache, dass die Familien der beiden Frauen hauptsächlich Wild essen. Fleisch aus dem Supermarkt, bei dem die Jägerinnen nicht wissen, was drin ist, ist keine Option. "Eine Metzgerei sehe ich keine fünf Mal im Jahr", sagt Hirsch. Der Weg des Fleischs vom Revier auf den Teller der Frauen ist nicht nur der kürzere, sondern auch der nachhaltigere. Und weil die beiden Jägerinnen Frauen sind, können sie es sogar selbst kochen.