Gottfrieding
Mann reißt am Lenkrad im Taxi und verursacht Unfall: Verhandlung am Landgericht

17.11.2023 | Stand 17.11.2023, 5:00 Uhr

Die Verhandlung wegen „vorsätzlichem Vollrausch“ hat am 16. November begonnen.

Eine wortwörtliche Schneise der Verwüstung hat ein Gottfriedinger hinterlassen, als er von einer Sauftour in München heimkehren wollte. Mit dem Zug hat er es gerade mal nach Feldmoching geschafft. Dort beauftragt er einen Taxi-Fahrer. In seinem Vollrausch bildet er sich aber dann ein, dass ihn der Fahrer entführen und verkaufen möchte. „Ich hatte Todesangst“, lässt er am Landgericht von Verteidiger Patrick Schladt verlesen. Also sah er keinen anderen Ausweg und provozierte einen Unfall – um so vor dem angeblichen Entführer zu flüchten.

Der Taxi-Fahrer wird dabei schwer verletzt. Deshalb muss sich der 36-Jährige nun vor dem Landshuter Landgericht verantworten, nicht aber etwa wegen eines Körperverletzungsdelikts. Weil am Tattag 2,55 Promille im Blut des Beschuldigten gemessen werden, lautet die Anklage „vorsätzlicher Vollrausch“.

Die Tat, die der Gottfriedinger bereits am ersten Verhandlungstag der Schöffensitzung vollumfänglich gesteht, hat bittere Folgen. Die kann man auch schon erahnen, als er von Polizisten in den Sitzungssaal geführt wird – und zwar mit Fußfesseln. Seit der Tat am 16. April befindet er sich erst in Untersuchungshaft, danach, seit 6. Mai, im Bezirksklinikum Straubing.

Taxi-Fahrer erlitt Wirbelsäulenfraktur

Viel schlimmer dran ist der Taxi-Fahrer. Als ihm der Angeklagte auf der Autobahn 92 auf Höhe Postau bei einer Geschwindigkeit von 160 Stundenkilometer das Lenkrad nach rechts verreißt, sodass die beiden ungebremst von der Fahrbahn schießen und dabei einen Wildzaun durchbrechen, kommt das Taxi erst auf dem nebenan gelegenen Feld zum Stehen. Der Taxi-Fahrer kann sich noch alleine aus dem Auto befreien, bricht dann aber vor Schmerz zusammen, kann nicht mehr aufstehen. Zum Glück hat er sein Handy griff bereit und kann den Rettungsdienst alarmieren. Später stellt sich heraus, dass er an einer Wirbelsäulenfraktur leidet. Er muss mehrere Operationen über sich ergehen lassen. Und trotzdem kann er sich heute nur schwer auf den Beinen halten.

Vor Gericht erscheint er mit einer Gehhilfe. Setzen könne er sich nicht, weil ihm dann die Hüfte zu sehr schmerzt. Ihm geht es „ganz schlecht“, wie er Richterin Michaela Wawerla erklärt. Er muss täglich starke Schmerzmittel nehmen, sei bereits zwei Mal auf Reha gewesen. Auch mit psychischen Folgen habe er zu kämpfen. Er leide an einer Posttraumtische Belastungsstörung und Schlafstörungen. „Ich wollte nicht sterben“, denkt er die ganze Zeit, als er am Boden liegt und auf den Rettungsdienst wartet, erzählt er der Richterin und bricht in Tränen aus. Seit dem Unfall könne er nicht mehr arbeiten. Dadurch fehlen ihm monatliche Einnahmen von ungefähr 7000 Euro. Sein Taxi ist ein Totalschaden. Kosten: 32000 Euro. Aktuell lebe er von Verletztengehalt.

Der Angeklagte blickt während der Aussage des Taxi-Fahrers beschämt zu Boden. Die Tat tue ihm leid. „Ich mache mir unendliche Vorwürfe“, lässt er über seinen Anwalt aussagen. Deshalb sei er auch bereit, Schmerzensgeld in Höhe von 20000 Euro zu bezahlen. Wie es zu der Tat kommen konnte, ist ihm selber ein Rätsel. Seitdem er wegen Corona in Kurzarbeit sei, trinke er zwar mehr – drei bis vier Mal wöchentlich. „Da können schon zehn Bier zusammen kommen.“ Auf solch derartige Ideen sei er bisher aber noch nie gekommen. Er werde auch nicht aggressiv, wenn er betrunken ist. Auch am Tattag ist er ursprünglich ruhig, bis er dann im Taxi auf einmal Panik bekommt. Er fordert den Taxi-Fahrer auf, bei einer Raststätte bei Freising Halt zu machen.

Mann hat Todesangst und bittet Lkw-Fahrer um Hilfe

Dort bittet er sogar einen Lkw-Fahrer um Hilfe, wie auch der geladene Sachbearbeiter der Polizei, der für den Fall zuständig ist, vor Gericht so bestätigen kann. Der Lkw-Fahrer setzt nämlich einen Notruf bei den Beamten ab. Eine bedrohliche Situation können diese nicht feststellen, sondern „eher eine lustige“, beschreibt der Sachbearbeiter. Ähnliches berichtet die Streife, die zur Raststätte gerufen wird. „Sie hielten das also für Quatsch?“, fragt die Richterin den Polizisten. „Ja, er hat ja immer dabei gelacht“, erwidert dieser. Also fährt das Taxi weiter.

Der betrunkene Fahrgast bittet um eine weitere Zigarettenpause. An der Tankstelle Altdorf hält das Taxi abermals. Dort kauft der Angeklagte ein Bier und erklärt auch der Kassiererin vor Ort, dass er Angst vor seinem Taxi-Fahrer habe, wie der Sachbearbeiter berichtet.

16 Minuten vor der Ankunft – so schätzt das Opfer vor Gericht – legt der Beschuldigte dann seinen Kopf auf die Schulter des Fahrers. Statt wie üblich hinten, nimmt dieser nämlich vorne neben dem Fahrer Platz. „Ich dachte, dass er einfach schlafen wollte“, sagt der Fahrer. Plötzlich reißt der Angeklagte mit einer Hand das Lenkrad nach rechts rüber. Nach dem Unfall flüchtet er sogar vom Einsatzort – immer noch voller Panik vor einer Entführung oder einer Vergewaltigung, wie zwei Polizisten und ein Feuerwehrler vor Gericht bestätigen. Sie finden den Angeklagten damals zwei Kilometer weit weg vom Unfallort. „Er war sehr durch den Wind“, erinnert sich einer der Beamten, der bei der Vernehmung dabei war. Auch die anderen Polizisten beschreiben ihn als ängstlich. Sogar im Krankenhaus hat er immer noch Panik davor, dass der Taxi-Fahrer ihm was antun will. „Die Angstzustände kamen immer wieder, das war ein Auf und Ab“, sagt einer der Beamten vor Gericht aus. „Ich will nicht mehr leben, weil ich scheinbar nicht mehr ganz sauber bin“ habe der Angeklagte auch in der Klinik gesagt.

Am 21. November und 8. Dezember wird die Verhandlung fortgesetzt. Es sollen noch weitere Zeugen vernommen werden. Auch ein Gutachten eines Sachverständigen soll noch verlesen werden. Schließlich habe der Angeklagte eine Vorgeschichte: Wegen Drogenhandels sei er schon mal verurteilt worden, auch seinen Führerschein habe er als 18-Jähriger schon mal abgeben müssen, weil er betrunken hinter dem Lenkrad erwischt worden sei. Und auch zum Ende der Sitzung am ersten Verhandlungstag berichten zwei geladene Beamten, dass der Beschuldigte im Krankenhaus erzählt habe, dass er bereits seit seinem 13. Lebensjahr härtere Drogen konsumiere. Ob der Gottfriedinger ein Suchtproblem hat, und inwiefern ein solches sich auf das Urteil auswirken könne, darüber wird der Sachverständige in seinem Bericht informieren. Erst danach wird ein Urteil fallen.