Dingolfing/Landshut
Wegen Totschlags vor Gericht

Angeklagter soll 36-Jährigen erstochen haben – Er gibt an aus Todesangst gehandelt zu haben

15.01.2021 | Stand 19.09.2023, 6:48 Uhr

Wegen Totschlag steht ein Dingolfinger vor Gericht. −Foto: Symbolbild

Was im Juni letzten Jahres mit einem Trinkgelage im Garten eines Hauses in Dingolfing begann, endete am Abend mit einer tödlichen Messerstecherei. Dabei wurde ein 36-Jähriger so schwer verletzt, dass er noch an Ort und Stelle verstarb. Seit gestern muss sich der mutmaßliche Täter Timur Z. (Name geändert) vor der als Schwurgericht tagenden 1. Strafkammer des Landgerichts Landshut wegen Totschlags verantworten.

Der durch Staatsanwalt Johannes Plutz vertretenen Anklage zufolge stach der gebürtig aus Kasachstan stammende 38 Jahre alte Beschuldigte am 11. Juni 2020 gegen 20 Uhr ohne rechtfertigenden oder entschuldigenden Grund mit mindestens zwei Messern insgesamt sechsmal auf den 36-jährigen Geschädigten ein. Dieser erlitt unter anderem Stiche an Hals, Brust und am Bauch. Dadurch kam es zu einem massiven Blutverlust. Er starb vermutlich an dem durch die Kreislaufdepression ausgelöstem Erbrechen und nicht ausschließbar auch unmittelbar an dem Blutverlust. Wie Staatsanwalt Plutz erklärte, war bei der Tatbegehung die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert. Dessen maximale Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug 1,76 Promille. In der Blutprobe des Angeschuldigten wurden auch Kokain, Opiate und Methadon nachgewiesen.

Zu den Tatvorwürfen selbst wollte sich der drogenabhängige Timur Z. am ersten Prozesstag nicht äußern. Allerdings hatte er zuvor bereits bei der psychiatrischen Sachverständigen Dr. Mirela Pascu Angaben zur Tat gemacht, die von der Kammer als Zeugin vernommen wurde. So habe er sich am Tattag mit Bekannten im Garten getroffen und Wodka getrunken. Er sei zunehmend "berauscht" gewesen als gegen 19.30 Uhr ein weiterer Hausbewohner, das mutmaßliche Opfer, und dessen Freundin im Garten erschienen. Diese habe Timur Z. plötzlich angeschrien, er habe den Gartenstuhl kaputt gemacht, und ihm eine Ohrfeige verpasst, woraufhin er ruhig geblieben sei. Nachdem die beiden verschwanden, ging auch der 38-Jährige in seine Wohnung als er bemerkte, dass mit Messern auf seine Tür eingestochen wird. Er habe erst seine Bekannten im Garten vom Fenster aus um Hilfe gerufen und dann vor seiner Wohnungstür ein Messer gesehen, zwei weitere sollen in der Decke gesteckt haben und eins im Türrahmen. Erst habe er alle vier Messer eingesammelt und sei dann zum mutmaßlichen Opfer gegangen, um ihn deswegen zur Rede zu stellen.

Doch dieser habe ihm mit einem Messer in der Hand die Türe geöffnet und Stichbewegungen in seine Richtung ausgeführt. In "Todesangst" habe auch Timur Z. Stichbewegungen gegen seinen Kontrahenten gemacht. Dabei sei es wohl zu den Verletzungen gekommen, so die Schlussfolgerung von Dr. Pascu. "Er erklärte mir, dass er berauscht war und das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen", fügte die Sachverständige hinzu. So sei wohl auch der kaputte Stuhl der Anlass für die Auseinandersetzungen gewesen. Bezüglich Anzahl der Stiche, wo und ob er den 36-Jährigen überhaupt getroffen habe, dazu habe Timur Z. der Sachverständigen gegenüber allerdings keine Angaben gemacht. Bei der tödlichen Messerstecherei sei auch der Angeklagte selbst verletzt worden.

Laut der ermittelnden Polizeibeamtin leugnet die Freundin des Verstorbenen den Streit mit Timur Z. . "Die Hauptaggression ist zunächst von dem Paar ausgegangen", erklärte die Beamtin. Zeugen wollen zudem beobachtet haben, wie das Paar kurz vor der Tat diskutierend auf der Straße entlang gelaufen sei, was die ehemalige Lebensgefährtin und Verlobte des verstorbenen Mannes ebenso leugnet, obwohl es davon sogar Überwachungsvideo gibt.

Für Verwunderung sorgte auch, dass die Verlobte nicht direkt den Notarzt alarmierte, sondern erst die beste Freundin des 36-Jährigen. Wie diese im Zeugenstand aussagte, erhielt sie von ihr per WhatsApp einen hysterischen Anruf mit den Worten "(...)Messer, komm schnell". Daraufhin fuhr sie mit ihrem Freund zu deren Wohnung. Dort habe sie den 36-Jährigen am Boden liegend vorgefunden. "Er war ganz blass, der ganze Pulli war voller Blut", erklärte die Zeugin. Nachdem dessen Freundin ihr kurz mitgeteilt habe, "der Scheiß Russe von unten hat es gemacht", habe sie diese nur angeschrien, warum sie nicht gleich einen Rettungswagen gerufen habe und es schließlich selbst erledigt. Als Entschuldigung gab die Lebensgefährtin an, dass ihr Handy leer war, sie die Nummer nicht wusste und schließlich, dass ihr sterbender Freund ihr die falsche Nummer nannte.

Bezüglich des Umgangs mit der mutmaßlichen Tatwaffe legten die Zeugin und ihr Freund allerdings ein "auffälliges Verhalten an den Tag", wie es der Vorsitzende Richter ausdrückte. Nachdem der Mann das gefunden Messer zweimal wegen vermeintlicher Fingerabdrücke abgewischt hatte und sie es erst im Kofferraum "vor dem Mörder" verstecken wollten, besinnten sich die Beiden ihren Erklärungen zufolge und deponierten es in einem Spalt im Hausflur. Auf die Frage der Schwurgerichtskammer, ob sie vielleicht das Messer verschwinden lassen wollten, um einen eventuellen Streit zwischen dem Paar zu vertuschen, sagte die Zeugin: "Ich würde keinen schützen, der meinen besten Freund töten will!" Der Prozess geht am 21. Januar weiter.

− mr