Nächste Gefahr für den Frieden
Vortrag in Reichenhall wirft Blick auf Bosnien

08.04.2023 | Stand 16.09.2023, 23:52 Uhr

Der ehemalige Kabinettschef im Büro des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina, Alexander Rhotert, präsentierte im Offiziersheim Lehren der Balkan-Kriege für die Ukraine. −Fotos: Florentin Fischer

Unter anderem in Traunstein ruft die Friedensinitiative heute zum Ostermarsch unter dem Motto „Verhandeln statt Schießen“ auf. Klar im Fokus steht dabei der Krieg in der Ukraine. Doch auch in einem anderen Teil Europas ist Krieg nicht ausgeschlossen: Nicht einmal 500 Kilometer südöstlich von Bad Reichenhall entfernt, kann sich ein kalter Konflikt schnell entzünden. Daher wird der Politikwissenschaftler Alexander Rhotert nicht müde, die Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger und auch der Öffentlichkeit in Deutschland auf die angespannte Lage in Bosnien und Herzegowina zu lenken. Denn: „Bosnien liegt eben nicht an der Peripherie der EU, sondern in deren Innenhof.“

Gebirgsjägerbrigade trägt Weltpolitik in die Kurstadt

Auch wenn „eine unmittelbare Kriegsgefahr in Bosnien und Herzegowina durch Wladimir Putins Niederlagen in der Ukraine erst einmal gebannt scheinen“, sei dies keineswegs Anlass zur Zurückhaltung der europäischen Gemeinschaft, sagt Rhotert. Er lobt zwar die Entscheidung der EU, die EUFOR-Friedenstruppe Althea auf 1100 Soldaten zu erhöhen, doch er hält es für nicht genug.

Im Mai vergangenen Jahres stimmte der Bundestag dem Antrag „Bosnien und Herzegowina beim Aufbruch in eine bessere Zukunft unterstützen“ zu, seit August ist deshalb auch die Bundeswehr, vorerst mit 38 Soldaten, wieder dort vertreten. Die Gebirgsjäger aus dem Berchtesgadener Land sind dieses Mal nicht dabei, doch sie kennen den brodelnden Balkan gut, unter anderem durch ihre Einsätze bei der Friedenssicherung im Kosovo – wo die Spannungen zwischen Serben und Albanern immer wieder aufflammen.

Bad Reichenhall als Standort der Gebirgsjägerbrigade 23 sowie des Gebirgsjägerbataillons 231 und der Landkreis Berchtesgadener Land mit insgesamt zwei Kasernenstandorten tragen durch den Kosmos Bundeswehr immer wieder die große Weltpolitik in die beschaulichen Orte. So war es auch in der Kurstadt, als der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg beim Neujahrsempfang von Stadt und Brigade erstmals von Krieg im Zusammenhang mit Afghanistan sprach.

Großserbischer Traum ist nicht ausgeträumt

Und jetzt warnt der ehemalige Politische Berater der EU und OSZE in Bosnien-Herzegowina Alexander Rhotert auf diesem Boden eindringlich und fordert ein größeres Kontingent von insgesamt 3000 Soldaten, auch im Brčko-Distrikt. „Damit wäre der großserbische Traum ausgeträumt“, so Rhotert. Der großserbische Traum bezeichnet die Vereinigung aller Gebiete mit einer nennenswert serbischen Bevölkerungszahl.

Rhotert wünscht sich grundsätzlich eine klare Kante der EU gegenüber der serbischen Regierung, allen voran gegenüber Serbiens Präsidenten Aleksander Vucic, einem der größten Verfechter des großserbischen Raums: „Es kann nicht sein, dass Serbien vom Handel mit der EU und der erheblichen finanziellen Unterstützung Brüssels massiv profitiert, gleichzeitig aber die Werte der EU mit Füßen tritt und sich als Außenposten Moskaus positioniert.“

Unterstützung Putins für spalterischen Kräfte nicht unterschätzen

Die Ampelkoalition ist sich der Gefahren des russischen Einflusses im Balkan durchaus bewusst. So dürfen „die mit Nachdruck betriebene Unterstützung seitens der russischen Führung unter Präsident Wladimir Putin für die spalterischen Kräfte in der Region nicht unterschätzt werden“, heißt es in dem Antrag im Bundestag vom Mai 2022. Russland habe ein „unverhohlenes Interesse, die Westbalkanregion und damit die Europäische Union zu destabilisieren“. Und doch richtet sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine oder auf innenpolitische Debatten.

Im Schatten des Ukrainekriegs agiert Aleksander Vucic, gemeinsam mit dem bosnischen Serbenführer Milorad Dodik, Präsident der Republik Srpska mit Sitz in Banja Luka. Dodik will diese an Serbien anschließen. Die Republik Srpska ist eine von zwei Entitäten – so etwas wie föderale Landesteile – von Bosnien und Herzegowina, die 1995 aus dem Abkommen von Dayton hervorgingen. Die andere ist die bosniakisch-kroatisch dominierte Föderation Bosnien und Herzegowina.

200 Minister für knapp drei Millionen Einwohner

Dazu gibt es noch den Brčko-Distrikt, für den Rhotert militärische Präsenz fordert. Der Distrikt ist ein de facto selbstverwaltetes Gebiet, der die Republik Srpska in Ost und West teilt und damit die „serbische Achillesferse“ darstellt.

Das politische System Bosnien-Herzegowinas ist aufgrund dieser Umstände äußerst kompliziert. Der Friedensforscher Thorsten Gromes sagt, es sei „das komplizierteste Regierungssystem der Welt“. Es gibt eine Staatsregierung, zwei Regierungen der Entitäten und den Präsidenten der Republik Srpska. Insgesamt gibt es sage und schreibe knapp 200 Minister für knapp drei Millionen Einwohner.

In diesem Konglomerat mischt auch ein CSU-Politiker mit. Christian Schmidt, zuletzt bis 2018 Bundeslandwirtschaftsminister, in seiner 30-jährigen Bundestagszeit unter anderem von 2005 bis 2013 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung – in einer Zeit als, die Gebirgsjäger große Kontingente für die Kfor stellten.

Hoher Repräsentant Schmidt in der Kritik

Seit August 2021 ist Schmidt der sogenannte „Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina“. In dieser Funktion kann er in dem Westbalkanstaat demokratisch gewählte Amtsträger entlassen, Gesetze erlassen und neue Behörden schaffen und: das Wahlgesetz ändern. Was er am 2. Oktober vergangenen Jahres auch tat, kurz nachdem die Wahllokale für die Wahlen des komplizierten Regierungsapparates geschlossen wurden.

Das politische Berlin und Brüssel waren wenig begeistert. Einige Ex-Diplomaten und Balkanexperten forderten im Februar seine Abberufung. Weil er durch sein Verhalten dem Friedensprozess in Bosnien und dem Ansehen der Bundesrepublik „nachhaltigen Schaden“ zufüge, wie es hieß. Wie etwa durch einen Ausraster im August 2022 vor laufenden Kameras, als er auf die Wahlrechtsform angesprochen wurde. Oder als im Juli Tausende Bürger vor Schmidts Büro in Sarajevo gegen ihn und eben jene Wahlrechtsreform demonstrierten; die zweitgrößte Demonstration der Nachkriegszeit in Bosnien-Herzegowina, die erste gegen einen Hohen Repräsentanten.

Dennoch ist er immer noch im Amt. Die Ampel-Koalition scheint froh zu sein, dass der heikle Posten des Hohen Repräsentanten mit einem CSU-Mann besetzt ist. Viel Kapital lässt sich innenpolitisch aus der Position nicht schlagen. Zudem steht die US-Botschaft hinter Schmidt, weiß Rhotert. Der Politikwissenschaftler hält allerdings die Annahme der USA für falsch, in Serbiens Präsidenten Vucic einen Stabilitätsanker im Balkan zu sehen. Für ihn sind Belgrad und Banja Luka „Moskaus Außenposten auf dem Westbalkan“.

USA wollen „Störenfriede“ nicht an Russland verlieren

Die andere Sichtweise: Der Kurs Washingtons erklärt sich im Zwiespalt, der sich auch am Beispiel Ungarns zeigt: Entweder man kommt den „Störenfrieden“ entgegen und hält sie im Einflussfeld des Westens oder aber man sanktioniert sie und läuft Gefahr, dass sich diese Länder Russland noch mehr annähern. Einmal droht der Balkan wie ein Brennglas in der der Auseinandersetzung unterschiedlicher Interessen zu wirken. Heute der Westen auf der einen, Russland auf der anderen Seite.

Eine Lösung sieht Rhotert kurzfristig in einer erhöhten militärischen Präsenz, um einen heißen Konflikt abzuwenden. Langfristig müsse überlegt werden, ob nicht neue Grenzen, die auf historischen und sozioökonomischen Grundlagen basieren, die einzig realistische Möglichkeit für ein tragfähiges Land Bosnien-Herzegowina seien.

Entscheidend aber sei die Bevölkerung im Westbalkanstaat. „Ein Sinneswandel kann nicht durch Geld geschehen, sondern durch die Einstellung“, sagt Rhotert,und dies stelle einen generationsübergreifenden Prozess dar.