Bad Reichenhall
Ayurveda trifft heimische Küche: Reichenhaller schreibt Kochbuch

01.02.2023 | Stand 17.09.2023, 4:11 Uhr

Andreas Hollard richtet den Hauptgang in der Küche der Grund- und Mittelschule an.

Von Annabella Angerer-Schneider

Ghee zischt in der Pfanne, Fenchel und Senfsamen fliegen hinein und platzen. Ihr Duft erfüllt die Schulküche der Grund- und Mittelschule St. Zeno. Hier hält Andreas Hollard normalerweise seine Kochkurse ab. An diesem Samstag im Januar steht er jedoch ohne Publikum am Herd.

Der Raum ist bunt. Gelber Ingwer, rote Chilis, erdige Rote Beete, und grüne Zucchini liegen auf der Arbeitsfläche. Sonnenlicht fällt durch die Fenster in den Keller, ins Schulhaus ist übers Wochenende Stille eingekehrt. Nicht nur die Welt rundherum ruht in sich: Hollard steht vor einem Holzbrett und zerkleinert konzentriert eine Karotte von oben, wendet dabei einen meditativen tibetischen 6/8-Schnitt an. Letzte Handgriffe fürs Mittagessen.

Selbstständig seit 2011

Vor 15 Jahren sah sein Arbeitsplatz noch anders aus: Glänzendes Edelstahl, überdimensionierte Kessel und Wurstspalten mit Essiggurke. Zehn Jahre lang war der gebürtige Reichenhaller in der Großküche des Salzburger Landeskrankenhauses angestellt und musste mit ansehen, wie auf Kosten der Patienten eingespart wurde, was ging. Bis er die Reißleine zog. „Ich bin von Montag bis Freitag jeden Tag nach Salzburg gefahren und habe günstige Produkte kochen müssen. Irgendwann hab ich das vom Kopf her nicht mehr geschafft.“ Erst recht, nachdem ihm die ayurvedische Lehre zeigte, dass es auch anders geht. Er kündigte und folgte dem, „was meine Bestimmung ist“.

Diese Bestimmung fand er im Jahr 2007. Seine Exfrau, die damals eine Ausbildung zur Ayurveda-Therapeutin machte, brachte ihn auf die Idee, einen Kochkurs zu besuchen. „Ich habe schnell gemerkt, wie die Gewürze wirken.“ Sie sind es, die ihre heilenden Kräfte in den Organen entfalten. Aus dem Hobby wurde Ernst, und Hollard ließ sich zum „Ganzheitlichen Zertifizierten Ayurveda Kochspezialisten“ ausbilden. 2011 startete er dann in die Selbstständigkeit. Seitdem gibt er in Kursen, bei Weiterbildungen und in Fachzeitschriften sein Wissen weiter.



„Bayurvedische“ Kochkunst als Steckenpferd


Hollard ist gelernter Koch. Seine Ausbildung begann er im Hotel Residenz Bavaria, beendet hat er sie in der Bundeswehrküche in Bad Reichenhall. Nebenbei half er unter anderem im Kirchberger Schlössl aus, um sich in der „feinen Küche“ weiterzubilden. Nach zehn Jahren kehrte er der klassischen Gastro wegen der Arbeitszeiten den Rücken, später dann der Salzburger Großküche – und fand sein „Steckenpferd“: Die „Bayurvedische Kochkunst“, in der heimische und indische Strömungen verschmelzen.

Ayurveda kennt keine Verbote. Im Gegenteil, „es lässt alle anderen Systeme zu“. Eine Einstellung, die Hollard auch für sich in Anspruch nimmt. Ob Gemüsecurry auf Pizzateig, eine Kombination, die im Austausch mit einem italienischen Koch entstand, oder ein Käse mit ayurvedischen Gewürzen und Kurkuma, den er gemeinsam mit der Firma Berg Bauer entwickelte – er und seine Gerichte sollen offen für andere Impulse und Nationen sein.

Liebe geht durch den Magen

Der 48-Jährige selbst ist der Kurstadt sein Leben lang treu geblieben. „Ich habe zwar hier gearbeitet und gelebt, dabei aber immer Menschen getroffen, die meinen Blick erweitert haben. Viele davon habe ich übers Essen kennengelernt.“ Auch die Liebe zu Lebensgefährtin Bettina Edenhuber ging durch den Magen: Beim Markt am Traunsteiner Stadtplatz besuchte die Heilpraktikerin das Küchenmobil von Hollard. „Wir haben einen Deal gemacht und Essen gegen eine Behandlung eingetauscht.“

Die Vorspeise ist fertig, eine Karottensuppe mit Kokosmilch, ohne Päckchenbrühe, dafür mit einem Kilo Karotten, heimischen Lorbeerblättern und Wurzelgemüse. Hollard schöpft sie auf die Teller und streut Kresse obendrauf.

Auch das Auge isst mit. Hollard schaut die Suppe, als sie auf dem Tisch steht, für einen Moment bewusst an, bevor er seinen Löffel hineintunkt. Und bedankt sich im Stillen. Klingt fanatisch? Nein, bei alledem sei er kein Dogmatiker, sagt der zweifache Vater. „Ich esse auch mal eine Tiefkühlpizza und trinke Bier, Schnaps oder Wein.“ Er lacht. „Man sieht mich auch in den Reichenhaller Kneipen.“

Schulmedizin und Ayurveda vereinen

Er glaubt an das Gleichgewicht, auch das von Extremen, die vermeintlich nicht zueinander passen. Sein großer Wunsch ist es, die ayurvedische und die Schulmedizin in Einklang zu bringen. Sein Augenmerk liegt dabei auf der Ernährung. 40 Prozent aller chronischen Volkskrankheiten könnte man „ayurvedisch wettmachen“. Dabei geht es ihm nicht darum, alternative Methoden über wissenschaftliche zu stellen. „Jedes System hat seine Vor- und Nachteile. Jemand, der sich das Bein gebrochen hat, muss ins Krankenhaus, das steht außer Frage.“ Sondern darum, das Beste aus beiden Welten im Sinne des Menschen zu vereinen.

Ingwer und Zucchini brutzeln in der Pfanne. Daneben dampft es aus zwei Töpfen: Zitronenreis und Linsen-Dal. Er zählt auf, was drinnen ist. Davon seine Küchengeheimnisse nicht preiszugeben, hält er nicht viel. „Wenn man mich fragt, gebe ich alles weiter.“ Hollard rührt um, der Ärmel seines Kochkittels rutscht hoch, auf seinem rechten Handgelenk ist das Wort Ayurveda auf Indisch tätowiert. Für ihn ist die Lehre mehr als eine ausgewogene Mahlzeit. Sie ist eine Lebenseinstellung, die für ihn einen Wendepunkt markierte, und die er deshalb auf der Haut trägt. Und diese Erfahrungen will er teilen – in seinem neuen Buch und auch sonst.


Das Buch „Ayurveda für zuhause“ widmet sich dem „heimischen Ayurveda“. „Die Gesundheitslehre hat ihre Wurzeln in Indien und ist deshalb geprägt von den dortigen klimatischen Bedingungen“, erklärt Hollard. Viele der verwendeten Zutaten seien aber nicht in der europäischen Genetik verankert. Der Körper brauche einen erhöhten Energieaufwand, um sich auf die fremden Lebensmittel einzustellen. Deshalb will Hollard – wo möglich – regionale und saisonale Kräuter- und Gemüsesorten in seine Rezepte integrieren. „Mit einer Karotte kann der Körper mehr anfangen als mit einer Okraschote.“ Die Symbiose der jahrtausendealten Ernährungsweise mit regionalen Kochtraditionen hat er sich im Selbststudium angeeignet und nennt sie das „bayurvedische Kochen“.

Sein Buch soll ayurvedisches und heimisches Wissen paaren und dabei alltagstauglich sein. „Man kommt mit den acht Grundgewürzen zurecht. Die Frischware in den Rezepten kriegt man vor Ort, die Gerichte sollen praktisch und umsetzbar sein. Der Großteil ist in 30 Minuten fertig.“ Das Buch steckt voller Lokalkolorit. Gänseblümchen, Bärlauch, Brennnessel – gesammelt und fotografiert im Nonner Oberland. Die Bilder sind rund um Bad Reichenhall entstanden, Hollard und seine Lebensgefährtin Bettina Edenhuber haben sie selbst aufgenommen. Ihnen war wichtig, dass die Abbildungen einfach und realistisch sind. Leser sollen sich denken „Das kann ich auch“ und nicht von perfekt angerichteten Tellern abgeschreckt werden.

Brennnesselknödel im Frühjahr, Erdbeer-Holunder-Mus im Sommer, Kürbis-Safran-Suppe im Herbst und Lamm-Gulasch im Winter – die Rezepte orientieren sich am Rhythmus der vier Jahreszeiten. Circa 60 Stück sind in dem Buch gesammelt, außerdem gibt es eine kurze Einführung mit Grundwissen und Übersichtstabellen zur Wirkung von Obst, Gemüse und Kräutern.

Doch wie kam Hollard dazu, unter die Autoren zu gehen? „Ich bin gefunden worden.“ Eine Mitarbeiterin seines Verlags nahm zufällig an einem seiner Kurse teil und fragte ihn, ob er nicht Lust hätte, ein Kochbuch zu schreiben.