Freilassing
Corona: Stadtrat appelliert an 32810 Kollegen in ganz Bayern

25.03.2021 | Stand 22.09.2023, 3:09 Uhr

Mit einem flammenden Appell im Freilassinger Stadtrat wendete sich Thomas Ehrmann an seine Kollegen in ganz Bayern. −Foto: Johannes Geigenberger

Er möchte "Druck von der Basis", um Lockerungen der Corona-Einschränkungen zu erreichen: Der Freilassinger Stadtrat Thomas Ehrmann hat sich mit einem flammenden Appell an seine 32810 Kollegen in ganz Bayern gewandt – so viele Gemeinde- und Stadträte gibt es. Er schreibt:

(...) Was haben die Kommunalpolitiker, was haben wir, bisher für unsere Bürger, für die Gewerbetreibenden, für unsere Wirte, für Eltern, die ihre Kinder zuhause unterrichten, für unsere Vereine, für die Kulturschaffenden und so weiter, getan? Wenn wir ehrlich sind, wahrscheinlich zu wenig. Warum? Natürlich! Viele von uns fragen sich: "Was können wir schon tun? Welche Möglichkeiten haben wir?" Ein Brandbrief vom Landrat, die dringenden Aufrufe der Interessensverbände – alles verhallt ungehört und hat, wie es scheint, nichts genützt.

Natürlich unterstützt der eine oder andere die regionalen Aktivitäten der Wirtschaftsverbände. Klar, jeder holt sich am Wochenende beim Wirt seiner Wahl etwas zu essen. Aber können wir nicht mehr bewegen?? Vielleicht doch mehr als wir zunächst denken.

Allein der Gedanke, dass es nächste Woche doch langsam wieder leichter wird, dass wir wieder zum Stammtisch gehen dürfen, oder uns endlich vom nackenlangen Haupthaar trennen können, dass wir vielleicht doch wieder zur Musikprobe zusammenkommen und unseren Kindern beim Sport zuschauen können – all das hat oftmals gereicht, um viele Bürger und letztendlich auch viele von uns, etwas lethargisch, vielleicht auch eine Spur gleichgültig, den zum Teil nicht mehr nachzuvollziehenden Maßnahmen, nicht entschlossen und mit Vernunft entgegenzutreten.

Es werden unzählige nicht verstehen, warum wir nach Mallorca fliegen dürfen, der Wirt um die Ecke aber nicht öffnen darf, obwohl er schon letztes Jahr umfangreiche Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt hat. Wer kann nachvollziehen, dass Aldi, Lidl und wie sie alle heißen, ihr gesamtes Sortiment verkaufen dürfen, der Sporthändler in der Nachbarschaft aber, oder auch das Bekleidungsgeschäft in der Innenstadt wenn überhaupt nur "Click & Collect" anbieten dürfen und das auch nur, wenn von jedem Abholer, Namen und Telefonnummer dokumentiert werden.

Warum müssen Oma und Opa zum Einkaufen in die vorgenannten Geschäfte gehen, um ihre Enkel zu sehen und können sich an Ostern nicht mit der Familie treffen? Was passt da noch? Wo wird hier noch mit Augenmaß und Menschenverstand gemessen? Welchen Sinn haben diese Maßnahmen? Gelten die Einschränkungen nur diese Woche, oder ist es gar am nächsten Tag schon wieder anders? Haben die Vereine noch Mitglieder wenn es irgendwann wieder weitergeht?
Welche Händler, welche Wirte werden das finanziell überstehen? Wie macht sich das für die Gemeinde, für die Stadt finanziell und vor allem in der Lebensqualität in Zukunft bemerkbar? Können wir unsere geplanten Maßnahmen noch umsetzen? Die Einzelhändler vor Ort sind doch die, die ihre Steuern in Bayern bezahlen, die Wertschöpfung vor Ort generieren und nicht irgendwo in Deutschland oder gar der Welt. Fragen über Fragen, aber keine wirkliche Antwort.

Hier zeigen sich die Ohnmacht und ein Stück weit auch die Unfähigkeit, vielleicht sogar auch die Gleichgültigkeit unserer Regierung gegenüber der aufgezeigten Probleme. Nach 15 Stunden Verhandlungen festzulegen, dass der Gründonnerstag ein Ruhetag wird, ist gelinde gesagt, ein Witz, vor allem aber eine Kapitulationserklärung der Bundes-, aber auch unserer Landesregierung.

Das Ganze tags darauf wieder zurückzunehmen zeigt leider mehr als deutlich, die tatsächliche, gänzlich fehlende Kompetenz und Souveränität, im Umgang mit der aktuellen Situation.

Laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik gibt es in den 2056 bayerischen Gemeinden und kreisfreien Städten insgesamt 32.810 ehrenamtliche Mandatsträger in Gemeinde- und Stadträten. 32.810 Frauen und Männer, die eine nicht zu unterschätzende Zeit und ihr persönliches Engagement in den Dienst ihrer Stadt oder Gemeinde, letztendlich aber auch unserem Freistaat und der Landesregierung zur Verfügung stellen. Ohne diese Freiwilligen, ohne uns geht es nicht und die politische Mitbestimmung, geht "vor die Hunde".

Es ist an der Zeit, dass wir unter Einhaltung aller Hygienemaßnahmen unseren Gewerbetreibenden eine Perspektive, unabhängig von Inzidenzzahlen, von R-Werten, oder sonstigen Parametern aufzeigen und uns positionieren.

Ohne Frage. Keiner möchte sich, oder einen anderen gefährden. Keiner möchte, dass sich Eltern oder Großeltern, Arbeitskollegen und Freunde infizieren und im schlimmsten Fall auch wirklich krank werden, Keiner will, dass sich irgendjemand ansteckt. Aber trotz mehr als 20 Wochen Lockdown in Bayern und zwei Wochen mehr im Berchtesgadener Land, haben sich die Inzidenzen nicht nachhaltig verändert oder haben diese massiven Einschränkungen für viele, zu einer immer wieder prognostizierten Erleichterung der Maßnahmen beigetragen. Wen wundert´s da, dass die Akzeptanz deutlich schwindet.

Deshalb ist es an der Zeit andere Maßnahmen, mit einer wirklich nachvollziehbaren Perspektive umzusetzen. Vor allem die Gleichberechtigung für den Handel und die Gastronomie. Verständliche Konzepte für die Vereine.

Alles was möglich ist und vor allem Sinn macht, ist zu tun. Seien es Impfungen, Schnelltests oder auch die Verwendung von elektronische Hilfsmittel, wie Apps. Nichts darf unversucht bleiben. Aber nicht nur eine Verlängerung des Lockdowns ohne Ende für die ohnehin geschundenen Gewerbetreibenden und alle anderen.

Aus diesem Grund bitte ich alle Bürgermeister, alle Gemeinde- und Stadtratskolleginnen und Kollegen im Berchtesgadener Land und in ganz Bayern, alle Bezirks- und Kreisräte: "Geben wir unseren Bürgerinnen und Bürger, allen Gewerbetreibenden, allen Wirten, allen Vereinsvorständen, allen anderen die uns gewählt haben, die Unterstützung, die sie mit unserem Mandat verbinden. Stehen wir auf, geben wir unsere Meinung kund. Kontaktieren wir unsere Landesvorsitzenden. Schreiben wir an die Regierung. Tun wir alles, was den Menschen vor Ort helfen kann, ab besten alle gemeinsam. Nochmals zur Erinnerung! 32.810 Gemeinde- und Stadträte, dazu noch Kreis- und Bezirksräte werden anders wahrgenommen, als ein Einzelner.

Wir sind die Basis der Politik und das müssen wir beweisen. Wir können und werden, ohne Blick auf die Fraktion, etwas bewegen. Man muss nur sofort damit beginnen. Und ich denke, um die dieses Mal die Worte von Fr. Klinger aufzugreifen, es ist wirklich schon 5 nach 12!