Weltberühmt in Mauerberg

Erinnerungen an Josef Zehetbauer, genannt Joe Jagger

29.01.2016 | Stand 29.01.2016, 5:00 Uhr

In Rockerpose auf dem Mokick: Einen Führerschein soll Josef Zehetbauer dem Vernehmen nach nie besessen haben, trotzdem düste er auf zwei Rädern durch die Gegend. − Fotos: ANA

Tüßling. Er nannte sich Jagger, wie der Rolling Stone. Jagger war der Name, der ihm am besten gefiel. Er wurde für die Bühne geboren, wie Mick Jagger. Joe Jagger war aber kein Sänger. Joe Jagger war Schwertschlucker.

Mit bürgerlichem Namen hieß er Josef Zehetbauer, doch als Joe Jagger wurde er zum "Most Famous Man Of Mauerberg" und somit zum berühmtesten Mann in seiner Gemeinde.

Die Kreisstadt Altötting hatte die Wallfahrer, Tüßling einen Baron mit Schloss und den Menschen zwischen Mauerberg und Mörmoosen wurde 1947 Joe Jagger geboren.

An den Heckflossenantennen der Fordmodelle, die er als Heranwachsender in den fünfziger und sechziger Jahren auf den Straßen sah, waren die Fuchsschwänze gehisst, geparkt waren stets die Vorderräder eingeschlagen und auf den lauten Kreidler-Mopeds saßen die milchgesichtigen Rocker mit ihren Schlaghosen.

Die schwarzen Hosen waren maßgeschneidert und die Leopardenweste, die Joe Jagger auf nackter Haut trug, die war es auch. Dazu passte sein lässig wippender, schulterzuckender Gang, mit immer derselben Frage, bevor er ein Wirtshaus verließ: "Zahlst mir noch a Halbe?"

Niemand wusste, wie und wo er seine Kunst erlernt hatte, doch als er im Edinger Land nach langer Zeit wieder auftauchte, war der Joe kein Schnorrer mehr, sondern Joe Jagger, der Schwertschlucker.

Immer wenn er unterwegs war, wussten wir, Joe muss arbeiten, irgendwo im Norden oder sonst wo auf der Welt. Auch ich sah ihn arbeiten. Das erste Mal auf einem Biertisch in einem Münchner Biergarten. Nach seinen Vorführungen erhielt er mehr Applaus als die Mauerberger und Mörmoosner sich das vorstellen konnten und mit einem langstieligen Klingelbeutel, den er sich wer weiß wo ausgeliehen hatte, sammelte er reichlich Münzen und Scheine ein.

Immer wieder wechselte er die Tische, auf denen er seine Kunst präsentierte. Joe Jaggers Performance war professionell und das Honorar für seine Kunst war beachtlich. Auch auf der Reeperbahn gastierte er mit seinem Schwert im Schlund. Sogar in Las Vegas wurde er engagiert. Als Beweis für seine Kunst zeigte er Röntgenbilder, und sein Schwert ließ er vor den Auftritten vom Publikum prüfen. Es war aus einem Stück geschmiedet.

Als er nach längerer Abwesenheit in der Region wieder auftauchte, lehnte er mit einer Flasche Bier an der Wirtshauswand, zuckte mit den Schultern und schrie: "Hey Wirt, i komm grad aus Las Vegas! Bring an Karton Whiskey und an Arm voll Schampus!" Das war zu seinen besten Zeiten.

Jahre später, als sein Ruhm schon verblasst war, wurde in Festzelten ein Tisch platziert, worauf er seine Kunst zelebrierte. Hätte ihn der Kapellmeister nicht festgehalten, er wäre total betrunken von der Bühne gefallen, mitsamt seinem Schwert im Schlund.

Als Jagger um die vierzig Jahre alt war, begann er wieder zu trinken. Er trank mehr als er vertragen konnte und irgendwann blieben die Engagements aus. Sein Marktwert fiel ins Bodenlose und schon für eine Maß Bier machte er sich zum Affen.

Übrigens, einen Affen und eine Pythonschlange hatte der Mauerberger auch mal. Das Leben des Primaten fand aber ein jähes Ende. Die Schlange schnappte den Affen und verschlang ihn. Dumm gelaufen. Der Affe hatte den Python füttern wollen, so wie er es immer tat, wenn Jagger auf Tournee war. Joe verdiente gutes Geld und wäre noch lange erfolgreich gewesen, wenn er disziplinierter gelebt hätte.

Während seiner letzten Jahre spielte das Schwertschlucken keine Rolle mehr. Man sah ihn nur noch geschminkt, in Frauenkleidern, Nylons, High-Heels, mit Fahrrad und einem Anhänger, auf dem ein Sarg befestigt war. So präsentierte er sich auf ländlichen Volksfesten. Zeitweise war ein alter Wohnwagen seine Bleibe, ehe der irgendwann ausbrannte.

Warum er am 31. Mai 2007, gerade 60 Jahre alt, am Mühldorfer Stadtgraben in einem flachen Parkweiher ertrank, dafür gibt es bis heute keine schlüssige Erklärung.

Joe Jagger war nicht weltberühmt, aber weitbekannt. Manchmal wirkte er furchterregend, doch in seinem Innersten war er ein friedlicher Mensch. Er war bekannter als alle, die jetzt neben ihm liegen, und noch heute hört man den einen oder anderen sagen: "Der Jagger hat es geschafft! Der hat uns in Las Vegas berühmt gemacht!"