Waging am See
Schneiderin schreibt Sorgen-Brief an "sehr geehrten Landesvater"

Linda Babl: "Wenn einem was stinkt, dann muss man den Mund aufmachen!"

20.03.2021 | Stand 21.09.2023, 2:56 Uhr

Bau- und Gartenmärkte seien zu "Freizeitparks" geworden, kritisiert Linda Babl. Der Einzelhandel mit seinen Beschäftigten bleibe jedoch auf der Strecke. −Foto: Johanna Richter

Ihren Sorgen und dem Ärger über den Dauer-Lockdown macht eine Schneiderin aus Waging am See (Landkreis Traunstein) in einem Brief an Ministerpräsident Markus Söder Luft.

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Am Donnerstag hat sie ihn eingeworfen, den Brief an den "sehr geehrten Landesvater". Ob ihn Markus Söder schon in Händen hat – fraglich. "Helfen wird’s eh’ nicht", seufzt Linda Babl. "Aber wenn keiner was macht, was dann?"



Die Damenschneidermeisterin rechnet mit dem "typischen Gummibrief", der zurückkommt. Ihre Sorgen hat sie sich aber dennoch von der Seele schreiben wollen. So heißt es in dem Brief:

"Die Situation, in der wir uns alle im Moment befinden, ist bald nicht mehr erträglich. Einzelne Lichtblicke, die uns wieder etwas Hoffnung gaben, sind von heute auf morgen wieder wie eine Seifenblase geplatzt.

Viele Prognosen für die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie sind eher negativ, und wir können es erwarten, dass uns bald alles um die Ohren fliegt, leger ausgedrückt."

"Ich möchte nicht in der Haut der Einzelhändler stecken", sagt Linda Babl gegenüber der Redaktion. Aber auch nicht in der des "Landesvaters", wie sie diesem freimütig schreibt. "... da es ja, wie wir wissen, nicht möglich ist, es jedem recht zu machen. Jedoch kann ich einige Entscheidungen, die getroffen werden, nicht nachvollziehen."

"Kann ich nicht mehr nachvollziehen"

Die Wagingerin betont, dass sie nicht der Gruppe von Coronaleugnern angehöre. "Ich habe mich bisher immer an die nötigen Regeln und Beschränkungen gehalten, da ich der Meinung bin, dass wir damit weitestgehend auf dem richtigen Weg waren. Die erneute Schließung des Einzelhandels, also kleine Ladengeschäfte mit Bekleidung und dergleichen, kann ich jedoch nicht mehr nachvollziehen!"



Als sie am Wochenende ihren Einkauf erledigt habe, habe sie wirklich aufpassen müssen, die nötigen Abstände zu den anderen Kunden einhalten zu können. Auch in vielen Bau- und Gartenmärkten habe man den Eindruck, es gäbe kein Corona, kritisiert Linda Babl. "Hier gibt es offensichtlich keine Beschränkungen, wie viele Personen gleichzeitig im Geschäft erlaubt sind. Die Einzelhändler jedoch sind verpflichtet, Termine zu vergeben, um den Kundenstrom im Geschäft optimal zu lenken. Ich habe beobachtet, dass das für alle Beteiligten, Händler wie Kunden, eine temporär befriedigende Lösung darstellt, zwar etwas umständlich, jedoch eine Alternative zur Schließung der Läden!"

Die Reise nach Jerusalem

Linda Babl arbeitet für eine Trachtenzulieferfirma. "Keine Events seit Monaten, die Lager sind voll, so langsam wird es in der Branche bedenklich." Aber natürlich hätten überall die Chefs ihre Fixkosten. Und dann...? Die Reise nach Jerusalem? Das Kämpfen um das Stühlchen? "So kann man es sagen", meint die 55-Jährige. Dabei sei sie noch einigermaßen gut weggekommen. "Meine Freundinnen arbeiten im Einzelhandel, die eine in der Hotellerie, da schaut es nicht so rosig aus."

Was Linda Babl auch sauer aufstößt, "ist die Tatsache, dass das Sortiment in Discountern viele Produkte beinhaltet, die normalerweise vom Einzelhandel angeboten werden. Da der Bedarf ja da ist, und die Kunden bei den Ladengeschäften, bei denen man durch die vielen Auflagen sicherer einkaufen könnte, vor verschlossenen Türen stehen, werden diese Artikel im Discounter gekauft." Die Einzelhändler, bei denen die Lager überquellen mit Ware, blieben hier "ganz krass auf der Strecke, viele werden eine erneute Schließung ihrer Läden leider nicht verkraften".



Natürlich müsse die Versorgung der Mitbürgergesichert sein, aber warum werde bei den anderen Gewerben mit zwei Messlatten gemessen? "Baumärkte versus Einzelhandel", heiße es da. "Es ist hier doch wie bei den alten Römern", meint die Wagingerin, "Brot und Spiele!" Linda Babl hat hier auch eine Vermutung, die sie ganz offen ausspricht beziehungsweise schreibt: "Sollen sich die Leute mit Renovierungen beschäftigen, dann haben wir noch etwas Zeit, uns weiter was zu überlegen." "Diese Denkweise unterstelle ich Ihnen ganz frech", heißt es in Richtung Staatskanzlei.

Bitte an Söder: "Versetzen Sie sich doch mal in die Einzelhändler"

Ihre Bitte an den Ministerpräsidenten: "Versetzen Sie sich doch mal in die Einzelhändler und in alle davon abhängigen Branchen, und überdenken Sie die Koppelung der Öffnung dieser Geschäfte an die Inzidenz."
"Ich bin wirklich nicht bei denen, die jeden Samstag demonstrieren", sagt Linda Babl. Aber irgendetwas müsse jetzt passieren. "Wenn einem was stinkt, dann muss man den Mund aufmachen!" Das Ganze sei eine "Riesenwatschn" für die Arbeitnehmer. Und diejenigen, die sich an alle Regeln halten würden, schlichtweg "die Deppen".