Michael Emmer – Polizist und Schiedsrichter

09.06.2020 | Stand 09.06.2020, 4:00 Uhr

Klare Ansprache: Bei seinen rund 180 Einsätzen in der Bundesliga hat Michael Emmer auch im Umgang mit den Stars, wie hier Schalkes Breel Embolo, Souveränität bewiesen. −Foto: imago images

Fußball-Schiedsrichter und Polizeibeamter: Wie gut passt diese Kombination zusammen?
Michael Emmer: Aus meiner Sicht ideal. In beiden Bereichen sind unter anderem Gerechtigkeitsempfinden, das viel zitierte Fingerspitzengefühl und Diplomatie gefragt. Tatsächlich kann man oftmals von seinen Erfahrungen aus der Hobby-Tätigkeit auch im beruflichen Alltag profitieren. Und umgekehrt.

Wie kam es zum Interesse am Schiedsrichter-Job?
Emmer: Ich war ja bis zum B-Jugendalter als Torhüter bei Eintracht Passau aktiv. Dann hatten wir mal ein Spiel, bei dem der Schiri aus meiner Sicht echt einen Krampf zusammengepfiffen hat. Ich sagte mir: Das könnte ich besser machen. Kurz darauf habe ich mich mit 16 Jahren zum Schiedsrichter-Kurs angemeldet. Auch weil ich der Meinung war, dass ich als Referee möglicherweise mehr erreichen kann.

Im Nachhinein wohl keine schlechte Entscheidung.
Emmer: Das kann man so sehen. Natürlich war es in den Anfängen nicht immer leicht. Aber bei den ersten Einsätzen in C- oder A-Jugendspielen habe ich schnell gemerkt, dass es unheimlich Spaß macht. Die erste Herren-Partie war in der damaligen B-Klasse zwischen Thyrnau und Batavia Passau. Im Seniorenlager stellt man bald fest, dass einen routiniertere Fußballer immer wieder austesten wollen. Da lernt man dann, sich konsequent durchzusetzen. Ich hatte zunehmend das Gefühl, gut akzeptiert zu werden. Das hat richtig motiviert.

Wie schafft man es als junger Schiri, mit Autorität aufzutreten, ohne gleich arrogant zu wirken?
Emmer: Das ist freilich ein Prozess. Ganz wichtig ist die Ansprache gegenüber den Fußballern. Ich hatte das Glück, auch früh mit erfahrenen Kollegen wie Ludwig Höcker oder Erich Siegharter im Gespann bei Bayernligaspielen eingesetzt zu werden. Wenn man dann, wie beim Duell zwischen Lohhof und Jahn Regensburg, vor 4500 Zuschauern erstmals an der Linie steht, ist die Nervosität riesig. Aber genau das sind die Erfahrungen, die einen weiter bringen.

Ist auf dem sportlichen Weg nach oben immer alles glatt gelaufen?
Emmer: Keineswegs. Beispielsweise habe ich 1989 bei einem Hallenturnier in Eggenfelden wirklich schlecht gepfiffen. Entsprechend vernichtend waren die Kritiken von Spielern und Fans. Das war einer der wenigen Momente, wo ich schon den Ausweis abgeben wollte.

Aber es kam anders.
Emmer: Tatsächlich habe ich mich dann für die Kreisliga qualifiziert. Das erste Match zwischen Hauzenberg und Kötzting war schwierig, ich habe es aber mit wenigen persönlichen Strafen durchgebracht und so allmählich auf höherer Bühne Fuß gefasst. Über die Bezirksebene ging es 1996 in die Landesliga. Damals gab es ein Förderprogramm. Bei meinem vierten Spiel war Manfred Amerell in Großhadern Beobachter – im Dezember, bei dichtem Schnellfall. Sein einziger Kritikpunkt war, dass ich bei dieser Saukälte im kurzärmeligen Trikot gepfiffen habe.

Das bedeutete den Sprung in die Bayernliga, mit einer kuriosen Premiere.
Emmer: Ja, so ein erstes Spiel vergisst man nicht. Mit den erfahrenen Kollegen Georg Huber und Bernhard Enzesberger an der Linie wurde ich für die Begegnung Weiden gegen Bayreuth eingeteilt. Nach zwei berechtigten Elfmetern und daraus resultierenden roten Karten gegen Bayreuth haben wütende Gästefans den Platz gestürmt. Sie wurden zwar von Ordnern und Spielern aufgehalten, wir hatten uns aber alle massiv bedroht gefühlt und das Spiel unterbrochen. Als wir dann aus der Kabine Massenschlägereien beobachten mussten, haben wir uns zum Abbruch entschlossen. Am Ende die richtige Entscheidung, wie auch das Sportgericht bestätigte.

Wie kam es dann zum Aufstieg in Richtung DFB-Ebene?
Emmer: Durch die baldige Qualifikation für die Regionalliga durfte man ja auch im Profibereich an der Linie stehen. Hier wurde im Laufe der Jahre immer deutlicher, dass eine Spezialisierung von Vorteil ist – und für mich war der Job des Assistenten überaus reizvoll. Der erste Zweitliga-Einsatz war 1997 im Spiel Mainz gegen Gütersloh im Gespann von Helmut Fleischer. Hier war übrigens Jürgen Klopp noch als Mainzer Spieler aktiv. Interessanterweise war ich auch bei meinem letzten Auftritt 2018 in der Bundesliga in Mainz, bei der Partie gegen Bremen. Dazwischen lagen knapp 180 Partien in der 1. und 250 in der 2. Liga. Und internationale Einsätze wie in Paris, Aserbaidschan, Moldawien oder Ägypten. Das alles war natürlich mit enormem zeitlichen Aufwand verbunden. Die Vergütung war zwar ordentlich, man musste jedoch oft den kompletten Jahresurlaub opfern. Aber es war’s wert: Eine spannende Zeit mit zahlreichen Highlights.

Gibt es spezielle Erinnerungen?
Emmer: Oh, ja. Beispielsweise an Jürgen Klopp. Beim Spiel HSV gegen Dortmund hatte ich nach einem Hamburger Angriff die Fahne unten gelassen – aus meiner Sicht kein Abseits. Daraus resultierte das 2:2, der Endstand. Klopp lief nach dem Schlusspfiff stinksauer auf mich zu und protestierte heftig – da kamen auch bei mir Zweifel hoch. Später, nach Sichtung der TV-Bilder, kam er aber in unsere Kabine, klopfte mir auf die Schulter und zog entschuldigend sein Käppi. Es war doch gleiche Höhe. Oder an Mario Basler, der als Trierer Trainer nach der Partie im Schiri-Zimmer aufkreuzte, um ungestört eine zu rauchen. Oder an Manuel Neuer, der beim Traumspiel in Passau das Trikot mit mir getauscht hat, um es seinem Bruder, ebenfalls ein Schiedsrichter, zu schenken.

Und die fatalste Fehlentscheidung?
Emmer: Die passierte mir wohl in Freiburg. Ich war fixiert auf die Freiburger Abwehrlinie. Man versucht dann, das Abspielgeräusch beim finalen Pass wahrzunehmen. Und bei dem war für mich ein Dortmunder Stürmer klar im Abseits. Fahne hoch. Blöd nur, dass der Ball von einem Freiburger kam. Schiri Günter Perl hatte es richtig gesehen und ließ weiterlaufen. Die Abwehrspieler blieben aber nach meiner Reaktion stehen, der Dortmunder lief allein auf den Kasten zu und netzte ein – das Tor zählte. Das war weniger schön für mich, so etwas gehört halt auch dazu.

Bedauern Sie, nicht selbst mal in der Bundesliga gepfiffen zu haben?
Emmer: Das stimmt so nicht ganz. In der Partie Hertha BSC gegen Schalke wurde Referee Günter Perl von Raul unabsichtlich gerempelt und verlor seine Pfeife. Während er noch danach suchte, gab es 25 Meter vor dem Tor eine Foulsituation. Wir haben ja als Assistenten stets ein Notfall-Pfeiferl dabei. Das habe ich kurzerhand benutzt und den Freistoß gepfiffen. Meine einzige Schiri-Entscheidung in der Bundesliga, und die war hundertprozentig richtig (lacht).

Aktuell müssen sich die Unparteiischen ihrer Aufgabe in Geisterspielen stellen. Sie haben da ja zumindest teilweise schon Erfahrung gesammelt.
Emmer: Das stimmt. Bei einem Dortmunder Heimspiel war die imposante Südtribüne aufgrund von DFB-Sanktionen gesperrt. Tatsächlich war die Akustik plötzlich ganz anders. Man konnte Dinge wahrnehmen, die ansonsten bei 80000 Zuschauern nie zu hören gewesen wären. Für die Kollegen in der Bundesliga ist es im Moment gar nicht einfach. Sie erzählen, die Atmosphäre sei zum Teil wie sonst in Freundschaftsspielen. Umso wichtiger ist es, hier die Spannung und Konzentration aufrecht zu erhalten.

Im Hintergrund wirkt ja mittlerweile der vieldiskutierte Video-Schiedsrichter VAR im Kölner Keller. Segen oder Fluch für die aktiven Spielleiter?
Emmer: Ich hatte bereits Gelegenheit reinzuschnuppern. Es ist faszinierend, welche technischen Möglichkeiten hier mit 21 Kameras rund um das Spielfeld zur Verfügung stehen. Man muss immer berücksichtigen, dass diese Neuerung letztlich der Wunsch der Profi-Vereine war. Sicher gab es Anlaufschwierigkeiten. Aber die Vorgabe des VAR ist eindeutig: Er soll nur bei offensichtlichen Fehleinschätzungen des Schiedsrichters unterstützend eingreifen. Klar, bei Handspiel ist das oft knifflig. Aus meiner Sicht entwickelt sich das aber in eine gute Richtung.

Hat bei Ihnen durch die lange Zugehörigkeit zur nationalen Gilde der Top-Schiedsrichter der Kontakt zur Basis gelitten?
Emmer: Auf keinen Fall. Für mich war es immer wichtig, auch daheim den stetigen Austausch mit den Kollegen zu suchen. Zusammen haben wir beispielsweise die Fusion der Schiedsrichter-Gruppen Passau und Pocking in die Wege geleitet. Und es waren gerade auch Spiele in der Region, die bei mir als Schiedsrichter hängen blieben. Wie das Relegationsmatch zwischen Grainet und Auerbach in St. Oswald. Das musste nach einem Gewitter unterbrochen werden. Am Ende war es in der Verlängerung schon so finster, dass ich im Mondschein prüfen musste, ob ein Spieler schon Gelb gesehen hatte und den erst dann mit der Ampelkarte runterschickte. Zum Glück blieb uns hier ein Elfmeterschießen erspart. Das hätten wir wohl am nächsten Tag austragen müssen – und übrigens auch dürfen.

Das aktive Pfeifen ist vorbei, was bleibt beim Blick zurück?
Emmer: Ich kann mit Stolz behaupten, dass ich bei den zahlreichen Reglements-Änderungen der letzten Jahrzehnte live dabei war. Von der Zeitstrafe über die Einführung der gelb-roten Karte, vom Fähnchen mit Holzstab bis zum Funksystem mit Headset, die Neuerung mit dem vierten Offiziellen bis hin zum VAR. Der Fußball hat sich gravierend verändert. Eines aber bleibt: Je weniger ein Schiedsrichter auffällt, desto besser hat er seinen Job gemacht.

Apropos Job: Wie geht es weiter mit dem Polizei-Hauptkommissar Michael Emmer?
Emmer: Ich bin seit mittlerweile 30 Jahren in diesem Beruf, der mich von Anfang an fasziniert hat. In jeweils zehn Jahren in München, Landshut und Straubing konnte ich Einblicke in fast alle Bereiche der Polizeiarbeit gewinnen. Ich bin sehr dankbar, dass ich aktuell an einem Förderprogramm für Personalentwicklung teilnehmen und seit 1. Juni die Dienststelle in Waldkirchen leiten darf.

Laut jüngsten Statistiken kommt es zu immer mehr Übergriffen gegen Polizisten. Macht Ihnen das Sorgen?
Emmer: Tatsächlich ist diese Entwicklung beunruhigend. Meistens stehen diese Vorkommnisse aber im Zusammenhang mit Alkohol- und Drogenmissbrauch seitens der Aggressoren. Dem überhand nehmenden Alkohol- und Drogenkonsum muss man ohnehin konsequent und mit allen zur Verfügung stehenden Maßnahmen entgegen wirken. Zudem bin ich sehr dafür, verstärkt in das Equipment der Beamten zu investieren. Mit Bodycams beispielsweise haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.

Corona hat unser aller Leben entscheidend verändert. Wie beurteilen Sie die Lage?
Emmer: Ich persönlich habe keine Angst vor dem Virus. Freilich ist jeder Krankheits- und Todesfall tragisch. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern haben aus meiner Sicht konsequent gehandelt und die richtigen Entscheidungen getroffen. Andere Nationen hat es ja leider viel schlimmer erwischt. Den gewählten ,Fahrplan‘ für Deutschland finde ich ok. Ich hoffe sehr, dass es bei uns auch für die schwer getroffenen einzelnen Branchen wirtschaftlich bald wieder aufwärts geht.
Interview: Helmut Heininger