Berchtesgadener Land
Kampf dem Fichten-Killer

26.05.2021 | Stand 20.09.2023, 6:01 Uhr

Totholz ist wichtig im Schutzwald: Lawinen und Murenabgänge haben dann weniger Chancen. Außerdem ist es Lebensraum etlicher Kleintiere. −Fotos: Kilian Pfeiffer

Die Schneise, die den Wald teilt, ist Hunderte Meter lang, mehrere Meter breit. 1000 Festmeter vom Borkenkäfer befallenes Schadholz haben die Waldarbeiter vom Südhang des Hochstaufens bei Bad Reichenhall im Berchtesgadener Land per Seilbahn nach unten gebracht und abtransportieren lassen. "Die Zeiten, in denen bayerische Bergwälder weitestgehend vom Borkenkäfer verschont blieben, sind vorbei", sagt Forstrat Tassilo Heller, Forstabteilungsleiter am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Traunstein. Der Käfer könnte dieses Jahr noch einen Gang zulegen, zur regelrechten Plage werden. Heller rät zur regelmäßigen Kontrolle sowie zum "raschen Handeln". Andernfalls drohten Waldbesitzern Zwangsmittel und der Eingriff in den Privatwald.

Nur ein paar Millimeter groß sind die Buchdrucker, so heißt die Gattung der Borkenkäfer, die Fichten befällt. Warme Sommer spielen den kleinen Insekten in die Karten. Fichten, die es gerne kühler mögen und auf viel Wasser angewiesen sind, können dann kaum Harz ausbilden, um dem Käfer in der Rinde zu begegnen. Für Waldbesitzer können die Schäden riesig sein. Wenn sich die Krone der Fichte rötlich verfärbt, hat der Käfer seine Arbeit bereits getan. "Dann ist es zu spät", sagt der Forstrat.

Tassilo Heller hat vier Gläser mitgebracht. Darin zeigt sich ansehnlich die Vermehrungsbereitschaft: Borkenkäferdynamik über drei Generationen hinweg. Ein Käferpaar hat rund 60 Nachkommen, etwa 30 davon sind weiblich. In der zweiten Generation werden daraus 1800, in der dritten bereits 54000 Tierchen. "Der Inhalt des Glases bringt 20 Fichten zum Absterben", sagt Heller, der aus Breitbrunn am Chiemsee stammt. Rund 300 Waldbesitzer hat das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten kürzlich in einem Brief angeschrieben. Deren Wälder liegen in Befallsschwerpunkten, darunter die Nord- und Südseite des Hochstaufens, der Grünstein in Schönau am Königssee sowie der Silberg und das Söldenköpfl in Bischofswiesen. "Das Massenvermehrungspotenzial des Borkenkäfer ist gewaltig", sagt Forstrat Heller. Er befürchtet Schlimmstes, sollte der Sommer warm werden.

Ein Brutbaum kann hundert Fichten schaden



Kollege Anton Ernst ist der Revierleiter in Berchtesgaden. Die Wälder, die unter seiner Obhut liegen, befinden sich in den fünf Talkessel-Gemeinden, in Berchtesgaden, Schönau am Königssee, Bischofswiesen, Ramsau und Marktschellenberg. Er sagt: "Ich stelle immer wieder fest, dass sich Waldbesitzer der Thematik Borkenkäfer nicht vollumfänglich bewusst sind." Seit dem Schreiben an die Waldbesitzer erreichen ihn nun vermehrt Anfragen. Ernsts zu betreuendes Gebiet ist riesig, 13500 Hektar Wald. Am Silberg, dort, wo auch die Gebirgsjäger der Bundeswehr einen Übungsplatz haben, musste kürzlich und mit hohem Aufwand ein hektargroßer Fichtenbestand entfernt werden, durchlöchert vom Buchdrucker. Ein nicht aufgearbeiteter Brutbaum kann in der Theorie einen Befallsherd von einigen hundert Fichten nach sich ziehen.

Christian Rauscher ist seit vergangenem Jahr Revierleiter des Revieres Bad Reichenhall. Der Hochstaufen ist sozusagen sein Wohnzimmer. Mit dem Auto geht es über Forststraßen durch den Wald nach oben: "Der Buchdrucker schaffte es in den vergangenen Jahren immer wieder, zwei bis drei Generationen auszubilden – selbst in den hohen Lagen." Häufig sei der dynamische Befall der Fichtenbestände besorgniserregend.

Nach dem Entrinden die Borke abgedeckt

An einem steilen Hang im Schutzwaldgebiet des Hochstaufen-Südhangs hat ein Waldbesitzer 20 Festmeter Schadholz aufgearbeitet, entrindet. Beim Entrinden, dem Schepsen, wird von einem Baumstamm die Borke sowie die Saft führende Schicht, das Kambium, entfernt. Die Rinde wurde daraufhin unschädlich gemacht, mit schwarzer Folie abgedeckt. Dabei entstehen hohe Temperaturen, die noch lebende, ausflugbereite Käfer abtöten. Das Holz ließ der Waldbesitzer liegen. "Das schaut nicht immer gut aus, ist aber in einem Schutzwald wichtig", sagt Revierleiter Christian Rauscher. Das Holz dient zum Schutz vor Steinschlag, vor Murenabgängen und Lawinen. Mit der Vermehrung des Buchdruckers steht die heimische Fichte, weit verbreitet und häufig als Bauholz verwendet, vor großen Herausforderungen. Zwei Drittel des Baumbestands im Landkreis sind Fichten, der Rest Buche, Bergahorn, Tanne und Lärche. Waldbesitzer sind in den Gefährdungs- und Befallsgebieten zur laufenden Borkenkäferkontrolle und Bekämpfung gesetzlich verpflichtet, weiß Tassilo Heller. In der gemeinsamen Bekanntmachung der Regierungen von Oberbayern und Schwaben heißt es, Waldeigentümer müssten ihre Wälder in der Zeit von 1. April bis 30. September "mindestens im Abstand von vier Wochen auf Käferbefall kontrollieren".

Anton Ernst, gebürtiger Ruhpoldinger und Revierleiter im Berchtesgadener Talkessel, sagt, dass die Suche nach dem Käfer in eigene Zuständigkeit falle. Rund 70 Prozent des Borkenkäferbefalls würden mittlerweile als Anzeige eingehen. Die Waldbesitzer kontrollieren sich gegenseitig, "um nicht selbst Opfer des Käfers zu werden", sagt Rauscher. Doch wie sieht so eine Borkenkäferkontrolle aus? "Bohrmehl", sagt Tassilo Heller, zu einem Holzpolter eilend. Polter wird in der Forstwirtschaft gesammeltes Rundholz bezeichnet, das nach der Holzernte zur Abfuhr bereitliegt. Gemeinsam mit Christian Rauscher untersuchen die beiden Waldexperten die Rinden auf eingebohrte Käferlöcher. Das Bohrmehl erinnert an Schnupftabak, gibt aber Aufschluss darüber, dass ein Käfer am Werk war. Als waldschutzwirksame Borkenkäferbekämpfung kommt in einem solchen Fall nur noch die Aufarbeitung der befallenen Stämme infrage. Sollte eine sofortige Abfuhr des Holzes logistisch nicht möglich sein, müssen Waldbesitzer das Borkenkäferholz abtransportieren – in eine Entfernung von mehr als 500 Metern von Nadelwäldern. Andernfalls gilt es, die Käfer vor Ort unschädlich zu machen. Dies kann durch Entrinden der befallenen Stämme oder Hacken geschehen, so wie am Südhang des Hochstaufen. "Der Einsatz von Insektiziden ist nur nach Ausschöpfung aller anderen mechanischen Maßnahmen in Erwägung zu ziehen", betont Heller. In der Region seien Insektizide nie zum Einsatz gekommen, bestätigt Revierleiter Anton Ernst. Es sei das letzte Mittel.

Nicht alle Waldbesitzer kommen ihrer Verpflichtung zur Borkenkäferaufarbeitung nach: "Dann droht aber die Massenvermehrung – und das ist zu unterbinden", sagt der Forstrat, der dieses Jahr ernst machen will. Beliebt macht ihn das nicht bei jedem, doch die Konsequenzen eines sich verbreitenden Borkenkäfers seien einfach zu groß. In Fällen, in denen Waldbesitzer nicht handeln , sei ein Eingreifen der unteren Forstbehörde mit Zwangsmitteln nötig.

Fördermöglichkeiten für Waldbesitzer

Rauscher und Ernst dürfen dann das Eigentum anderer betreten, den Privatwald, und Forstarbeiter beauftragen, das Holz und damit den Borkenkäfer zu entfernen – die teils erheblichen Kosten bleiben an den Waldbesitzern hängen: "Kostenpflichtige Ersatzvornahme" nennt sich der Vorgang in bestem Amtsdeutsch. "Die Bayerische Forstverwaltung steht den Waldbesitzern immer beratend zur Seite", hebt Ernst hervor. Zudem gibt es finanzielle Fördermöglichkeiten für die Borkenkäferaufarbeitung, ergänzt Rauscher. Im Endeffekt, sagt Forstrat Heller, wolle man nur das Beste für den multifunktionalen Schutzwald, gerade vor dem Hintergrund des steten Klimawandels: "Wir sind zum Schutz unserer Wälder kompromisslos konsequent."