Serbien
In Westserbien ticken die Uhren anders

21.07.2018 | Stand 20.09.2023, 2:08 Uhr

Mit dem Kajak kann man wunderbar den Fluss Uvac befahren. Rücksicht nehmen muss man allerdings auf die Gänsegeier, die am Ufer brüten. − Fotos: Magdalena Naporra

Westserbien ist touristisches Neuland – noch. Die Gegend kann mit versteckten Naturschönheiten punkten und mit der Gelassenheit der Serben, für die eine halbe Stunde auch mal länger dauern kann.

Es müssen Dutzende sein. Geier kreisen über uns. Gänsegeier. Wir paddeln erst seit einer halben Stunde auf dem hellgrün schimmernden Wasser des Flusses Uvac entlang und sind in den Gummi-Kajaks noch weit davon entfernt, Aas zu werden. "Fahrt nicht zu nah ans Ufer", warnt Ivan Nastic, unser Guide. An den Kalksteinfelswänden, die steil über dem westserbischen Strom aufragen, hat man ein Schutzgebiet für die Geier errichtet. Etwa 400 haben sich hier niedergelassen, sagt Ivan.

Immer wieder sieht man ein Exemplar mit dem langen weißlichen Hals und dem braunen Federkleid stolz auf einer Klippe sitzen. Sie werden extra gefüttert und müssen gar nicht erst auf verunglückte Touristen spekulieren. Trotzdem haben sie sich an Menschen gewöhnt und fliegen über uns hinweg. Bei der Brutpflege und den ersten Flugversuchen des Nachwuchses sollte man aber dennoch nicht stören. Also leise sein und nur an den markierten Stellen an Land klettern.

Wir wollen zur Aussichtsplattform Molitva. Von dort hat man einen atemberaubenden Blick über den Uvac, der weit unten zwischen den Felsen mäandert.

Für Serben gehört der Kosovo noch dazu

Internationalen Tourismus gibt es noch kaum in Serbien. Immerhin ist es weniger als zwei Jahrzehnte her, da fielen über Wochen Bomben auf Belgrad. Die NATO intervenierte gegen das Regime Slobodan Milosevics, um die Gewalt gegen die Kosovo-Albaner zu stoppen. Den Kosovo betrachten die Serben heute noch als Staatsgebiet, auf allen Karten Serbiens ist er so eingezeichnet. "Sehen Sie es mal so, man bekommt zwei Länder für eins", sagt Aleksandra Dolapcev vom Tourismusverband Serbiens.

Sie hat ihr Büro im Herzen Belgrads, mittlerweile eine hippe Stadt zwischen Jugendstil-Prunkpalästen, Plattenbauten und Wolkenkratzern. Das Berlin des Balkans. Für Partytouristen wie für einen schicken Wochenendtrip interessant. Sie nimmt uns aber mit nach Westserbien, wohin bisher kaum ein westlicher Tourist seine Sandale gesetzt hat. Allerdings empfiehlt sich aufgrund der Wege, Schlangen und Ameisen auch festeres Schuhwerk.

In der Ovcar-Kablar-Schlucht ist unsere Fahrrad-Gruppe die einzige auf der Strecke. Nur ein kleiner Hund des Klosters Nikolje begleitet uns eine Weile. Im Klosterladen verkauft eine hutzelige Nonne Ikonen und Gebetsketten. Von dort aus fahren wir mit dem Boot weiter über den Fluss Westmorava, an dessen Ufer sich kleine Datschas schmiegen.

Westserbien hält einige spektakuläre Naturwunder bereit. Da überrascht erstmal die charmelose Hässlichkeit Zlatibors. Der Luftkurort ist ein beliebter Trainingsort für junge Fußballspieler. Leider kann es die Architektur an Schönheit auch bestenfalls mit einem Vereinsheim aufnehmen, idyllisches Bergdorf Fehlanzeige. Die Serben stört das nicht, sie kommen gerne, weil es hier in den Sommermonaten kühl ist und im Winter kann man Skifahren.

Nur zum Frühstück gibt’s keinen Slivoviz

Am Markt ist neben geschnitzten Andenken Slivoviz zu kaufen, der Pflaumenschnaps, den es hier zu jeder Mahlzeit außer dem Frühstück gibt. Außerdem ist Zlatibor Ausgangspunkt für viele Tagesausflüge. Eine kurze Tour geht zur Aussichtsplattform Sumatno Brdo. Hier tummeln sich Schulklassen an einer Gedenkstele für die Tito-Partisanen. Spektakulärer wären die Stopica-Höhle, oder Supljica, eine mächtige Steinbrücke. Wir müssen aber weiter. Vielleicht beim nächsten Mal.

Die Schwierigkeit ist oft, die Attraktionen überhaupt zu finden. Mit dem Bus hoppeln wir oft stundenlang über enge Schotterpisten. Der Busfahrer kennt den Weg, für uns Reisende aus Deutschland ist es manchmal verwunderlich, dass der Feldweg die beste Route sein soll. "Vertrauen Sie lieber Ihrem GPS, nicht den Einheimischen", rät aber Marko Niklic, ein Bergführer am Beljanica. An dessen Fuß liegt der Lisine-Wasserfall, einer der schönsten Serbiens. Hierhin haben es etliche Besucher geschafft, die eifrig vor den herabstürzenden Wassermassen Selfies machen.

Auf den Gipfel sind wir zuvor mit Jeeps gefahren, durch unberührten Urwald hindurch und an Kuhwiesen vorbei. Zehn bis 15 Minuten würde es dauern, hatten die Fahrer gesagt. Es dauert eineinhalb Stunden. Eine halbe Stunde, behaupten die Fahrer dagegen und schieben hinterher: "Natürlich eine russische halbe Stunde, da steckt mehr Zeit drin als in einer europäischen halben Stunde."

"Russische halbe Stunde": 90 Minuten

Immerhin, aufgrund der langen russischen halben Stunde zeigt uns unser Fahrer Radovan Stojanovic, der am Fuß des Berges ein Hotel hat, einen Bergbauernhof mit Ferkeln, Kälbern und Schafen. "Wollt ihr Käse kaufen? Er ist wirklich sehr gut", sagt er. Aleksandra treibt uns aber zur Eile an. Sie hat für uns in europäischer Zeit geplant. Dann staksen wir ihr unbeholfen den Pfad durch den Urwald aus Buchen hinterher. Manchmal kreuzt ein dicker Käfer oder eine Ringelnatter unseren Weg. Wir müssen uns beeilen, denn der Himmel donnert und wir müssen bald zurück nach Belgrad. Das nächste Mal bitte mehr russische halbe Stunden in Serbien.

Serbien liegt im Balkan und gehört zum ehemaligen Jugoslawien. Bezahlt wird mit Dinar. Landessprache ist Serbisch, das eng mit slawischen Sprachen wie Kroatisch, Mazedonisch oder Bulgarisch verwandt ist. Meist kann man sich leicht auf Englisch verständigen, besonders junge Serben sprechen es fließend. Oft kommt man auch mit Deutsch oder Französisch weiter.

ANREISEN

Lufthansa fliegt mehrmals die Woche von München nach Belgrad. Von dort empfiehlt sich die Weiterreise mit dem Mietwagen. Ein GPS ist dabei dringend zu empfehlen. Die Straßenschilder sind in Kyrillisch geschrieben, mittlerweile häufig auch in lateinischer Schrift.

ÜBERNACHTEN & ESSEN
In Zlatibor bietet das Hotel Mona einen idealen Ausgangspunkt für zahlreiche Ausflüge. Zum Hotel gehört ein Wellnessbereich und das Restaurant Peron mit typischen Speisen der Region.

Nahe am Wasserfall Lisine liegt das Hotel Lepo Mesto, frischen Fisch von der Forellenzucht gibt es im Restaurant Izvor Lisine.

PNP-Volontärin Magdalena Naporra flog auf Einladung der Nationalen Tourismus Organisation Serbiens (NTOS) nach Belgrad und reiste von dort aus weiter nach Westserbien.