Ab 1. Oktober im Kino
In "Jim Knopf und Die Wilde 13"sucht Waise Jim nach seiner Herkunft

30.09.2020 | Stand 20.09.2023, 4:53 Uhr
Martin Schwickert

Henning Baum (r) als Lokführer Lukas und Solomon Gordon als Jim Knopf versuchen in "Jim Knopf und die Wilde 13" das Rätsel um Jims Herkunft zu lösen. −Foto: Joe Albas/Warner Bros./dpa

Bei Kinderfilmen geht das deutsche Kino gern auf Nummer sicher. Richtig Geld bekommen hier nur Stoffe, die sich zuvor als Bestseller bewährt haben. Die Verfilmung von Michael Endes Kinderbuchklassiker "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" dürfte in dieser Hinsicht Investoren und Fördergremien wenig Kopfzerbrechen bereitet haben. Seit seinem Erscheinen im Jahre 1960 gehört der fantasiereiche Abenteuerroman hierzulande zur literarischen Grundausstattung eines jeden Kinderzimmers. Die Augsburger Puppenkiste sorgte mit zwei TV-Serien in Schwarz-Weiß (1961/62) und Farbe (1976/77) für die audiovisuelle Verewigung des Stoffes samt unsterblichem Titelohrwurm. Im letzten Jahr reiste dann Regisseur Dennis Gansel mit seiner fast 25 Millionen teuren Realverfilmung nach Lummerland, die 1,9 Millionen Zuschauer in die deutschen Kinos lockte. Nun folgt mit "Jim Knopf und die Wilde 13" der zweite Teil, der sich erneut sehr streng an die literarische Vorlage hält.



Die Insel Lummerland mit ihren zwei Bergen, einer Eisenbahn, einem König und vier Untertanen ist ein sorgenfreier Ort, an dem es sich gut leben lässt. Aber für Jim (Solomon Gordon), der mit seinem väterlichen Freund Lukas (Henning Baum) und der Lokomotive Emma um die Welt gereist ist, wird dieser Miniaturkosmos langsam zu eng. Der Waisenjunge sehnt sich nicht nur nach weiteren Abenteuern in fernen Ländern, sondern auch danach das Rätsel seiner Herkunft zu lösen. Untrennbar ist dieses Geheimnis mit der Piratenbande "Die Wilde 13" verbunden, die ihn als Baby entführt und mit dem Paket verschickt hat. Und so machen sich Jim und Lukas mit ihrer flugfähigen Lok auf zum barbarischen Meer.

Regisseur Dennis Gansel kann auch hier wieder, was Ausstattung und visuelle Gestaltung angeht, in die Vollen greifen. Beim Start des ersten Teils attestierten Kritiker ihm diesbezüglich einen gewissen Übereifer, der durch digitale Effekte die Poesie der Vorlage zunichte mache – ein Generalvorwurf, der gerade bei der Adaption von fantastischer Literatur und geliebten Kindheitsromanen stets bei der Hand ist. Der überpräsente Soundtrack ist sicherlich auch in Teil 2 zu aufdringlich geraten. Aber die Mischung zwischen visuellen Schauwerten, von denen das Kino nun einmal lebt, und dem philosophischen Gehalt von Endes Roman gehen hier bestens auf.

Der lummerländ’schen Idylle werden als düstere Locations der "Große Gurumusch-Magnetfelsen", der sein Meeresleuchten verloren hat, und schließlich die in der Windhose eines Taifuns versteckte Piratenheimat "Das Land, das nicht sein darf" entgegengestellt. Und gerade hier im finalen Kampf gegen die finstere Wilde 13 zeigt sich erneut die eigentliche Qualität von Endes humanistischer Grundhaltung. Denn anders als üblich wird das Böse in "Jim Knopf" nicht niedergerungen und ausgemerzt, sondern transformiert. Genauso wie der Scheinriese Tur Tur (Milan Peschel), der – je näher man ihm kommt – immer kleiner wird, oder das furchterregende Ungeheuer Frau Mahlzahn, das sich in einen "Goldenen Drachen der Weisheit" verwandelt, ergeht es auch der Piratencrew. Statt sie in den Kerker zu werfen, gibt Jim den anonymisierten Bösewichten individuelle Namen und kann sie als treue Freunde gewinnen.

Noch symbolischer wird die Umwandlung des Bösen, wenn das "Land, das nicht sein darf" durch die Öffnung der Schleusen im Meer versinkt und dadurch auf der anderen Seite des Meeres neben Lummerland das untergegangene Königreich Jimballa aus den Fluten emporsteigt. Das ist ein großes, effektbeladenes Kinobild – aber eben auch eine tragfähige Metapher für die Herzensbildung eines Kindes.