Vilshofen
Eritreer wollte sich nach der Tat umbringen

22.05.2019 | Stand 19.09.2023, 23:02 Uhr

Der Eritreer Abdulrahman M. sitzt in einer Verhandlungspause allein vor dem leicht erhöhten Richterplatz. −Foto: Rücker

Was hat den 26-Jährigen aus Eritrea nur dazu gebracht, sich mit einem Küchenmesser auf einen damals 11-jährigen Buben in der Mietswohnung unter ihm zu stürzen und ihn schwer zu verletzen? Das war auch am dritten Verhandlungstag am Landgericht Passau die zentrale Frage. Das Motiv ist wichtig, schließlich lautet die Anklage auf versuchten Mord.

Der Eritreer macht keine Aussagen zum Tathergang. Also versucht das Gericht, über Zeugen herauszubekommen, was am 25. Juli vorigen Jahres im abgelegenen Haus in Reifziehberg passiert ist. Gestern sagten zwei Kripobeamte, zwei Betreuer aus dem Heim, in dem er einst untergebracht war, die Haftrichterin und auch das Opfer (heute zwölf Jahre alt) aus. Bei der Vernehmung des Burschen war nicht nur die Öffentlichkeit ausgeschlossen, sondern auch der Angeklagte, weil das Opfer bei einer Begegnung mit ihm erneut traumatisiert werden könnte. Dem Buben geht es nach Aussage der Mutter (34) "überhaupt nicht gut". Er hat seit dem Vorfall die Schule nicht mehr besuchen können, musste Monate lang ambulant in der Kinderklinik behandelt werden. Gelegentlich findet er Freude am Fußballspielen – einst seine große Leidenschaft.

Ein Kripobeamter sagte aus, was ihm der Bub nach der Tat erzählt hatte, ein anderer, wie der Angeklagte bei der zeitnahen Vernehmung die Messerattacke geschildert hatte. Die Aussagen stimmten überein: Der Eritreer hatte am Spätnachmittag den Buben an der Wohnungstür angesprochen und gefragt, wo die Mutter sei. Das wisse er nicht, lautete die Antwort. Der Eritreer gab an, zwar nicht verstanden zu haben, was der Bub gesagt hatte, dies aber trotzdem als Beleidigung aufgefasst. Das hatte er sowohl der Kripo, als auch der Richterin erzählt.

Der Afrikaner gab seinerzeit bei den Vernehmungen an, er habe eigentlich die Mutter stechen wollen. Eine Rolle spielt dabei ein ominöses Video. Der junge Mann, der nach Einschätzungen der Betreuer, die mit ihm zu tun hatten, einen ruhigen, manchmal in sich gekehrten Eindruck machte, muss in einem schwachen Moment bei sexuellen Handlungen an sich selbst ein Video gedreht haben. Dabei will er bekifft gewesen sein. Später, im nüchternen Zustand, scheint ihm das schrecklich peinlich gewesen zu sein. Dem Rechtspsychologen gegenüber sprach er von großer Scham.

Hat er aus diesem Gefühl heraus, etwas Schlimmes getan zu haben, sich eingebildet, auch andere hätten dieses Video gesehen? Möglicherweise sogar die Nachbarin? Der Psychologe sprach von "wahnhaften Vorstellungen". Jedenfalls tauchte dieses Video nie auf. Das Landeskriminalamt, das das Smartphone des Angeklagten überprüft hatte, konnte es nicht finden. Keiner der Zeugen hat es gesehen.

Nach der Tat soll Abdulrahman versucht haben, sich umzubringen, erzählten der Kripobeamte und die ihn damals vernehmende Richterin. Der Grund: Der Eritreer ging davon aus, dass der Bub nach der Messerattacke tot war. Der 26-Jährige glaubte, sich einen Stromschlag versetzen zu können, indem er ein unter Strom stehendes Verlängerungskabel durchschnitt. Die Sicherung sprang heraus.

Der Prozess wird am 6. Juni fortgesetzt. Das Urteil soll am 17. Juni verkündet werden.

− hr

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