Parteiübergreifend haben die Länder dem Bund bei der Ministerpräsidentenkonferenz einen verantwortungslosen Alleingang in der Corona-Politik vorgeworfen.
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat der Ampel-Koalition vorgeworfen, zwei Jahre Gemeinsamkeit im Kampf gegen die Corona-Pandemie einseitig aufzukündigen. Der Stil der ehemaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei es immer gewesen, einen gemeinsamen Weg mit den Ländern zu finden und dann erst Gesetze zu ändern, sagte Söder nach einer Schalte von Bund und Ländern am Donnerstag in München. Die neue Bundesregierung habe sich dagegen für einen Corona-Alleingang entschieden - das sei schlechter Stil. "Zwei Jahre gemeinsame Wegstrecke sind vorbei", klagte der CSU-Vorsitzende.
"Die Länder konnten nichts mehr beschließen, weil der Bund schon allein entschieden hat", sagte Söder. Damit komme nach dem Auslaufen einer Übergangsfrist am 2. April tatsächlich der von der FDP durchgeboxte "Freedom Day". Und das, obwohl Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Videoschalte eindringlich vor neuen, gefährlichen Virusvarianten gewarnt habe. Söder erinnerte daran, dass die Ampel sich schon einmal habe korrigieren müssen, nämlich beim Auslaufen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Herbst.
Hohen Inzidenzen unter Schülern machen Sorgen
Söder fügte hinzu, angesichts des neuen Corona-Kurses der Bundesregierung müsse man sich nun auch überlegen, ob die Quarantäne-Regeln überhaupt noch praktikabel seien. Am meisten Sorge machten ihm aber derzeit die hohen Inzidenzen unter Schülern.
Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) betonte den Angaben zufolge: "Einen solchen Umgang mit den Ländern hat es noch nie gegeben." Eine gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit stelle er sich anderes vor. Er verstehe das Vorgehen der Bundesregierung nicht. "Bisher haben wir über zwei Jahre gut zusammengearbeitet. Es gibt keine rationale Gründe, warum es zu diesem Bruch von Seiten des Bundes kommt."
"Halte das nicht für vertretbar"
Ähnlich äußerte sich demnach Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Sein hessischer Kollege Volker Bouffier (CDU) sagte: "Ein Zusammenwirken mit den Ländern hat es nicht gegeben."
Auch aus den SPD-Ländern hagelte es Kritik: "Ich halte das nicht für vertretbar", zitierten Teilnehmer Niedersachsens Landeschef Stephan Weil. Er erwarte nun, dass der Bund die Verantwortung übernehme. "Die Pandemie ist eben nicht vorbei. Das ist kein guter Weg, der hier eingeschlagen wird." Die rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte: "Ich kann den Frust der Kolleginnen und Kollegen gut verstehen." Das Vorgehen sei gegen die Empfehlungen des Expertenrates und "falsch." Aus dem SPD-regierten Mecklenburg-Vorpommern hieß es ebenfalls, dass man kein Verständnis für das Vorgehen habe.
Streitpunkte Maskenpflicht und Hotspot-Regelung
Konkret störten sich die Länder daran, dass der Bund beinahe in allen Bereichen des Alltags die Maskenpflicht abschaffen will, die Hürden für die Einführung der sogenannten Hotspot-Regelung halten sie in der Praxis für kaum umsetzbar. "Bayern hat 1400 Kilometer Außengrenze und soll den Landtag bei jedem einzelnen Hotspot-Landkreis einbinden", sagte Söder. Weil monierte außerdem, dass die Begrifflichkeit der "konkreten Gefahr" für strengere Infektionsschutzmaßnahmen nur schwer belegbar sei: "Halte es für ausgeschlossen, dass wir auf so einer Grundlage in den Herbst hineingehen können."
Kanzler Olaf Scholz ging dem Vernehmen nach nicht auf die massive Kritik - auch von seinen Parteifreunden - ein. Er wurde vor der Ausrufung des nächsten Tagesordnungspunktes von Teilnehmern nur mit dem Satz zitiert: "Ich danke für die Diskussion. Wir werden noch viel zu arbeiten haben."
Neue Phase der Pandemie
In der anschließenden Pressekonferenz verteidigte Scholz das geplante Auslaufen vieler Corona-Maßnahmen. Die Corona-Pandemie sei nicht vorbei, darüber sei man sich einig. Aber die Lage in den Krankenhäusern entwickele sich nicht so dramatisch, wie das früher bei solch hohen Corona-Zahlen der Fall gewesen wäre. Wer geimpft und geboostert sei, könne auf einen eher milden Verlauf hoffen.
"Nun treten wir auch in eine neue Phase der Pandemie ein, in der wir, wie fast alle unsere Nachbarländer auf die meisten Schutzmaßnahmen verzichten werden." Es sei klar, dass die Bundesländer sich mehr wünschten. Trotzdem sei das eine rechtliche Grundlage, auf der für die Zukunft aufgebaut werden könne, sagte Scholz mit Blick auf die entsprechenden Änderungen des Infektionsschutzgesetzes, die ab Sonntag nur noch bestimmte Corona-Maßnahmen erlauben. Scholz bedankte sich für eine "sehr konstruktive Diskussion" während der Beratungen mit den Ländern.
Wird der Bundesrat zustimmen?
Das neue Gesetz für das Corona-Management soll an diesem Freitag vom Bundestag beschlossen werden und kommt dann direkt in den Bundesrat - zustimmungspflichtig ist es dort aber nicht. Für einen möglichen Antrag auf eine Anrufung des Vermittlungsausschusses wäre eine Mehrheit von 35 Stimmen in der Länderkammer nötig. Zugleich besteht Zeitdruck für eine schnelle Anschlussregelung, da sonst ab Sonntag gar keine Rechtsgrundlage für Corona-Maßnahmen mehr bestünde.
Die Gesetzespläne sehen nur noch wenige allgemeine Vorgaben zu Masken und Tests in Einrichtungen für gefährdete Gruppen vor. In Bussen und Bahnen soll weiterhin Maskenpflicht gelten können. Für regionale "Hotspots" sollen jedoch weitergehende Beschränkungen möglich sein, wenn das Landesparlament für diese eine besonders kritische Corona-Lage feststellt. Zahlreiche Länder wollen aber noch eine vorgesehene Übergangsfrist nutzen und aktuell geltende Schutzregeln bis zum 2. April aufrechterhalten.
− dpa
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