Doppelt so viele Heilpraktiker wie Hausärzte

Zahl in Bayern auf mehr als 23 000 gestiegen – Zuspruch von Patienten, aber Kritik von Ärzten – "In Österreich ist das Kurpfuscherei"

23.01.2020 | Stand 23.01.2020, 4:00 Uhr

Der Schrank in der Praxis eines Heilpraktikers ist mit Fläschchen mit homöopathischen Präparaten gefüllt. Bei den Patienten sind Heilpraktiker immer beliebter. In Fachkreisen wird deren Arbeit jedoch in Zweifel gezogen. −Foto: dpa

München. Aller Kritik zum Trotz erlebt der Heilpraktikerberuf einen Boom, gerade in Bayern. Nach Daten des Landesgesundheitsamtes hat sich die Zahl der Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker im Freistaat in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdoppelt, auf zuletzt 23283. Damit liegt ihre Zahl mehr als doppelt so hoch wie die der Hausärzte. Bundesweit gibt es keine genauen Zahlen, Berufsverbände gehen von 60 000 Beschäftigten in Heilpraktiker-Praxen aus. Private Schulen werben für eine Ausbildung in einem "Traumberuf".

Gestern jedoch hat der Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer, Andreas Botzlar, scharfe Kritik geübt: "Wenn man es genau nimmt, gibt es für Heilpraktiker keine wirkliche Existenzberechtigung." Er habe kein Verständnis dafür, dass es einen Gesundheitsberuf mit einem großen Handlungsspielraum gibt, ohne dass für diesen Beruf eine geregelte Ausbildung vorgeschrieben wäre.

Die Berufsverbände der Heilpraktiker sehen sich aber durch den Zuspruch vieler Patienten bestätigt. Nach einer Umfrage des Bunds Deutscher Heilpraktiker aus dem Jahr 2017 gehen jeden Tag rund 128000 Deutsche in eine Heilpraktikerpraxis. Viele private Krankenversicherer übernehmen die Behandlungshonorare. Bei einem Großteil der Beamten beteiligt sich auch die staatliche Beihilfe an den Kosten. Auch einige gesetzliche Krankenkassen erstatten Heilpraktikerrechnungen, obwohl das im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung eigentlich nicht vorgesehen ist.

Der Vorsitzende des Heilpraktikerverbandes Bayern, Wolfgang Hegge, weist die Warnungen vor einer Gefährdung der Patientensicherheit zurück. Seiner Ansicht nach bemühen sich die Berufsverbände um möglichst hohe Qualität. So betreibt sein Verband in München eine eigene Schule, die eine dreijährige Ausbildung mit 3000 Stunden anbietet. Kostenpunkt: rund 12000 Euro. Anders als bei anderen Instituten würden Lehrpläne der Josef-Angerer-Schule vom bayerischen Kultusministerium kontrolliert, betont Hegge: "Das ist auch ein Qualitätskriterium der Ausbildung."

Kritiker des Heilpraktikerberufs wie Christian Weymayr vom Münsteraner Kreis halten es aber für abwegig, von Qualität zu reden, wenn Methoden wie die Iris-Diagnostik auf dem Stundenplan stehen, bei der aus der Netzhaut von Patienten Rückschlüsse auf die Gesundheit gezogen werden. Weymayr kritisiert, die deutsche Gesundheitspolitik messe mit zweierlei Maß. Auf der einen Seite werde in der gesetzlichen Krankenversicherung bei Medikamenten und Therapien berechtigterweise immer stärker auf Wirksamkeitsnachweise gepocht, gleichzeitig werde der Alternativmedizin in solchen Fragen aber großer Spielraum gelassen. "Kein Wirtschaftspolitiker dürfte eine Wahrsagerin beschäftigen, um Entscheidungen zu treffen. Im Gesundheitswesen dürfen das Politiker aber schon", ärgert sich Weymayr.

Und Botzlar von der Landesärztekammer findet, Deutschland könnte sich beim Thema Heilpraktiker durchaus an Österreich orientieren: "Da ist das Kurpfuscherei und strafbar." Er erwartet aber keine einschneidenden Änderungen durch die Gesundheitspolitik. Denn die Angebote von Heilpraktikern seien bei vielen Patienten beliebt. – lby