Der lange Weg zum Café am Waldrand

24.04.2021 | Stand 02.04.2024, 9:26 Uhr

Bei Melanie Weissingers Wohnwagen-Waldcafé lässt sich in idyllischer Umgebung eine Kaffeepause einlegen. Für die vierfache Mutter ist es ein Neuanfang. −Foto: Trs

Jeder hat sein Päckchen zu tragen, klar, aber wenn das Schicksal Dauergast ist, musst du eine Kämpferin werden, um nie den Mut zu verlieren und immer wieder aufzustehen." So lautet die Lebensphilosophie von Melanie Weissinger aus Winzer. Die Frau ist 39 Jahre alt und hat vier Kinder, Stiefsohn Patrik (20 Jahre), Adrian (15), Marcel (9) und Kevin (3). Trotz Schicksalsschlägen gibt sie nicht auf und findet einen Weg – aktuell mit einem kleinen Café am Waldrand in Thannolz.

Melanie erzählt der DZ ihren Werdegang: "Gelernt habe ich Apothekenhelferin, nach der abgeschlossenen Lehre bin ich auf den Bau gegangen, als Malerin und Gerüstbauerin. Es folgten noch fünf Jahre Rotes Kreuz und verschiedene Tätigkeiten wie Altenpflegerin, Putzfrau, Bedienung, Stallgehilfin." Sie betont: "Ich habe immer darauf geachtet zu arbeiten, es aber mit der Erziehung der Kinder vereinbaren zu können."

2017 heiratete sie, und die Familie zog auf einen Einödhof. Melanie Weissinger beschreibt ihre Motivation: "Natur und Garten haben mich immer schon fasziniert. Daher hat sich das Thema Selbstversorgung natürlich auf dem Hof schnell in meinen Kopf festgesetzt." Als Einödbäuerin sei sie ehrgeizig dabei, immer mehr Produkte durch Selbsthergestelltes zu ersetzen.

Der Weg bis zu dieser gerade unter Pandemie-Bedingungen eher privilegierten Lebensführung war von schweren Schicksalsschlägen geprägt. Die dynamische Mutter berichtet von tragischen Ereignissen: Als 2016 Marcel kurz vor der Schuleinschreibung stand, wurde festgestellt, dass er rechts taub ist. Er wurde daraufhin links mit einem Hörgerät und rechts mit einem Implantat versorgt. Kurz nach der Hochzeit 2017 kam Kevin per Notkaiserschnitt zur Welt, mit einem Gewicht von 580 Gramm. Bei ihm mussten zwei Reanimationen durchgeführt werden. Er litt außerdem an einer schweren Hirnblutung und kam erst nach einem dreimonatigen Aufenthalt auf der Intensivstation mit neurologischen Schäden und einer Halbseitenlähmung nach Hause.

Diese Nackenschläge setzten die junge Familie nicht nur psychisch enorm unter Druck, sondern verursachten außerdem hohe wirtschaftliche Belastungen. "Um meinen Mann zu unterstützen, da die zahlreichen Fahrten ins Krankenhaus die Selbstständigkeit und zwei Autos gefressen hatten. Und die finanziellen Probleme waren natürlich auch noch da. Deshalb suchte ich bald wieder Arbeit, um die Kosten einigermaßen zu senken." Als Busfahrerin fand sie die Chance, mit Kevin am Beifahrersitz Geld zu verdienen. "Und das klappte ganz gut."

Das sollte allerdings nicht von langer Dauer sein. Im März 2020 brach sie in der Arbeit mit starken Bauchschmerzen und Atemnot zusammen und wurde mit dem Rettungswagen nach Dingolfing ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde sie notoperiert. Es wurden ein Loch im Magen und innere Blutungen festgestellt. "Zwanzig Minuten später wäre ich nicht mehr da gewesen", blickt Weissinger zurück.

Danach musste die leidgeprüfte Frau drei Wochen künstlich ernährt werden, wurde aber schon bald darauf wieder aus der Klinik entlassen. "Wieder eine Hürde geschafft, dachte ich damals bei mir. Doch irgendwann, wenn du immer nur kämpfen musst und immer sehen musst, dass es wieder gut wird, rächt sich eines Tages der Körper." So erklärt sie sich den damaligen Zusammenbruch.

Nach der Genesung dachte sie, jetzt ist ja alles wieder gut. Irrtum. Denn im Dezember erreichte Melanie Weissinger die Kündigung der Busfirma. "Wieder stand ich da. Homeschooling, Kevins Behinderung, wo sollte ich arbeiten, um alles koordinieren zu können?"

Überraschend ergab sich aus der ungewöhnlichen Situation plötzlich eine andere Perspektive. "In der Zeit, die ich zu Hause verbrachte, blühte ich auf, der Garten wuchs, die Speisekammer wurde mit neuen Ideen und Kreationen gefüllt, und meine wundervollen Kinder genossen jede Sekunde mit mir, da ihre Mama nun bei ihnen daheim sein durfte."

Wie entwickelte sich das Familienleben der Weissingers auf ihrem Einödhof weiter? Melanie schildert ihren Alltag: "Wenn ich zu Hause im Garten bin, dauert es nicht lange, bis der erste Besucher kommt – auf einen Ratsch, ein liebes Wort oder ein Tauschgeschäft. Ich tausche meine Eier nämlich lieber, als sie zu verkaufen, gegen eine Gemüsesorte, die ich nicht im Garten habe, Wolle, oder irgendetwas Selbstgemachtes." Das sonnige, aufgeschlossene und hilfsbereite Wesen der jungen Einödbäuerin wird aus ihrer Einstellung zum Leben und zu ihren Mitmenschen deutlich. "Helfen war schon immer ganz normal für mich, und ein tröstendes Wort bei einer Tasse Kaffee ebenso."

Ihr ist schon seit langem klar: Ein gutes Herz ist wichtig, wenn man selbst Hilfe braucht. Als vor drei Wochen ihr gesamter Tierbestand von einer Fuchsfamilie gerissen wurde und sie am Boden zerstört war, fackelten ihre Freunde nicht lang und besorgten ihr neue Mitbewohner: Hühner, Hähne und Enten, da sie wussten, dass sie ihr letztes Geld in ihr Caféprojekt gesteckt hatte.

Das Lokal unter dem Namen "Mel’s Waldcafé" eröffnete sie am 15. April. Dazu hatte sie den Wohnwagen, den sie einst von ihrem Bruder geschenkt bekommen hatte, umgebaut. Das Café ist unter der Adresse Thannholz 1 in Winzer zu erreichen und regelmäßig geöffnet von Mittwoch bis Freitag jeweils zwischen 11 und 18 Uhr. Neben Kaffee, Milchshakes, Kuchen und Törtchen, darunter auch Cupcakes beziehungsweise Muffins, verkauft sie nebenbei selbst gemachte Kerzen, Seifen und Naturprodukte. Zu diesen Naturprodukten, die saisonal geprägt sind, zählen etwa Löwenzahnhonig oder Kräuterlimonade.
Das Angebot wechselt täglich. Wegen der Pandemie gibt’s alles erst einmal nur "to go". Die Kunden können sich bei einem Spaziergang durch die Idylle zwischen Reichersdorf, Schlott und Winzer – direkt am "Hengersberger Bierweg" gelegen – am Fenster ihres Wohnwagen-Cafés am Waldrand versorgen.

Melanie Weissinger kombiniert ihr geschäftliches Anliegen mit einem Wohltätigkeitsprojekt. 50 Cent vom Preis einer jeden Tasse Kaffee kommen in eine Kasse und werden der Frühgeborenen-Intensivstation Deggendorf gespendet.

Gerade auch unter den Bedingungen der Pandemie werde die neue Raststation begeistert angenommen: "Das Café ist nicht nur dazu da, um meine Rechnungen zu bezahlen, sondern auch, um zu zeigen, dass man trotz Schicksalschlägen, und, wie in meinem Fall, mit zwei besonderen Kindern seinen Traum verwirklichen kann. Man darf nie den Mut verlieren." Die Hauptmotivation für alle Bemühungen: "Ich habe beschlossen zu kämpfen, weil es sich lohnt, alleine schon, wenn ich das glückliche Lächeln meiner Kinder sehe."

− wet