"Das goldene Los oder der Kampf ums Überleben"

Unterricht und Betreuung in der Corona-Zeit: Eltern geben Schulen sehr unterschiedliche Noten

24.07.2020 | Stand 24.07.2020, 4:00 Uhr

Gerhard Gillhuber

Grundschule"Wir mussten jeden Tag Schule neu erfinden, weil alles ganz neu für uns war", meint Rektor Gerhard Gillhuber von der Grundschule Pfarrkirchen. Über E-Mail und Telefon sei der Kontakt zu den Schülern gehalten worden, Unterrichtsmethoden habe man anpassen müssen. "Der Grundschulunterricht lebt vom persönlichen Kontakt und dem spielerischen Lernen", betont er. Seit Monaten würden die Schwerpunk-Fächer Deutsch und Mathe intensiv behandelt, damit die Kinder im nächsten Jahr vernünftig weitermachen können. Dass die künstlerischen und musischen Fächer dabei auf der Strecke blieben, bedauert Gillhuber. Insgesamt sei das Jahr gut gelaufen.

Völlig anders sieht das allerdings Elternbeiratsvorsitzende Anne Schmallenbach-Ketter: "Es war eine ganz schwere Zeit. Die Schule ist digital nicht gut aufgestellt und deshalb war auch die Kommunikation erschwert." Über private E-Mail-Adressen oder Telefonnummern hätten die Lehrer den Kontakt halten müssen. Doch auch hier habe es große Unterschiede hinsichtlich des Engagements der verschiedenen Lehrkräfte gegeben, kritisiert sie. Manche Eltern hätten lediglich alle drei Wochen einen Umschlag mit Arbeitsaufträgen und Hausaufgaben erhalten, aber ansonsten keine Hilfestellung. Auf der anderen habe es Lehrer gegeben, die vermehrt den Kontakt zu den Schülern und Eltern gesucht und z.B. auch Bastelideen bereitgestellt hätten.

Manche Klassen seien täglich kontaktiert und deren Arbeitsaufträge kontrolliert worden, andere allein gelassen worden. Schmallenbach-Ketter findet klare Worte: "Entweder man hatte das goldene Los gezogen oder es war der Kampf ums Überleben." Bei den Eltern habe sich angesichts der großen Kluft zwischen engagierten und nicht engagierten Lehrern viel Frustration aufgestaut. Sie seien teils sehr überfordert damit gewesen, den Kindern den Schulstoff zu vermitteln, da heute vieles anders wie noch vor Jahren beigebracht werde. Der Zeitaufwand sei wahnsinnig groß, die Motivation der Kinder zu halten schwierig gewesen. Eine zusätzliche Belastung stelle für viele Eltern die fehlende Ferienbetreuung dar, da bei den meisten der Urlaub bereits durch das Home-Schooling aufgebraucht sei.

Für die Elternbeiratsvorsitzende steht daher fest: Im nächsten Jahr muss dringend mehr getan werden, um die Situation zu verbessern. Sie fordert bessere Kommunikation untereinander, mehr Hilfestellung und ein einheitliches System. Und die Schule habe in Sachen Digitalisierung enormen Nachholbedarf. "Dienst-E-Mail-Adressen für die Lehrkräfte wären schon mal ein Anfang, und auch ansonsten muss sich hier viel tun. Jedes Kind benötigt eine unterschiedliche Betreuung, was für die Eltern schwierig ist, wenn sie so im Stich gelassen werden."

GymnasiumPeter Brendel, Chef des Gymnasiums Pfarrkirchen, zieht eine durchaus positive Bilanz, obwohl die Situation nicht immer leicht gewesen sei: "Man befindet sich immer etwas zwischen Zuversicht und Sorge. Trotzdem hat alles erstaunlich gut funktioniert." Vor allem die Erleichterung darüber, dass der Abschlussjahrgang ohne Nachteil das Abitur schreiben konnte, sei groß.

Dass dies alles so gut über die Bühne ging, sei insbesondere der guten technischen Ausstattung geschuldet, die die Schule bereits seit Jahren besitzt. 550 PCs mit allen notwenigen Programmen standen nach seinen Worten bereit und halfen den Schülern durch die Krise. "Unsere digitale Versorgung ist sehr gut. Schon die Unterstufe war das Arbeiten an Laptop und Tablet gewohnt, so dass der Online-Unterricht und Austausch relativ unkompliziert war", so Brendel.

Er bedauert aber, dass Vieles zum Erliegen kam: Berlinfahrten, Sportturniere oder das Sommerkonzert – alles fiel flach. "Solche Veranstaltungen machen das Schulleben nun mal aus. Auch der soziale Kontakt untereinander, seien es Gruppenarbeiten oder die Gespräche in den Pausen."

Von den Schülern sei in dieser Zeit viel Eigenverantwortung gefordert gewesen, was für manche sicherlich auch eine Herausforderung war, meint der Direktor. Doch durch den fehlenden Notendruck habe es erstaunliche Ergebnisse gegeben: "Es hat bei vielen Schülern viel bewirkt ohne Druck und Angst zu lernen."

Über ein Elternportal konnten Hausaufgaben und Arbeitsaufträge der Schüler eingesehen werden. Nicht nur die Eltern seien in dieser Zeit gefordert gewesen. Auch das Lehrerkollegium sei doppelt belastet gewesen, insbesondere während des Schichtunterrichts. "Wir hoffen, dass das nächste Schuljahr besser wird. Allerdings hat der Gesundheitsschutz immer Vorrang", so Brendel. Für alle, die beispielsweise auf Probe vorrücken oder bei denen es Lücken gebe, kündigt er im nächsten Schuljahr Förderunterricht in den jeweiligen Fächern an.

Elternbeiratsvorsitzende Silke Maier-Wochinger konstatiert der Schule, sehr viel unternommen zu haben, damit alles gut läuft. Vereinzelt habe es Probleme gegeben, zumal die Internatversorgung im ländlichen Bereich schlechter ausgebaut sei. Doch die Schüler seien das digitale Arbeiten gewohnt und hätten durch die gute technische Ausstattung des Gymnasiums große Vorteile gehabt.

Es sei manchmal schwierig gewesen, die Schüler ohne Notendruck zu motivieren, doch im Großen und Ganzen sei es zu handhaben gewesen, meint sie. "Natürlich muss jedes Kind unterschiedlich gefördert werden. Und in der Unterstufe war mit Sicherheit ein höherer Zeitaufwand nötig."

Ähnlich sieht Schülersprecher Nick Kelldorfner die zurückliegenden Monate, die für den 18-Jährigen mit dem Abitur endeten. "Es war ein sehr ungewohntes Halbjahr, so hätten wir uns das nie vorgestellt." Auf den Lockdown mit Ende des Präsenzunterrichts sei niemand vorbereitet gewesen. Allerdings habe das Pfarrkirchner Gymnasium schon über eine gute digitale Infrastruktur mit Online-Accounts verfügt, die relativ schnell aktiviert werden konnte. "Wir hatten das System, um Unterrichtsmaterialien online zu übermitteln. Das war ein großer Vorteil."

Der Start sei zwar etwas holprig verlaufen, aber dann hätten sich alle, vor allem auch die Lehrer "reingefuchst", so der junge Pfarrkirchner. "Im Prinzip hat alles gut funktioniert, wenn man bedenkt, wie kurzfristig man reagieren musste. Wir sind glimpflich davon gekommen", meint Kelldorfner mit Blick auf das, was ihm Schülersprecher von der Situation an anderen niederbayerischen Gymnasien erzählt haben: "Wir waren in Pfarrkirchen einen Schritt voraus, Gott sei dank."

Auch der Re-Start habe nach anfänglichen kleineren Problemen gut funktioniert. Hygienesystem, Abstandsregeln und Einbahnsystem, alles sei zunächst Neuland gewesen. "Aber wir waren froh, dass der Unterrichtsbetrieb wieder läuft. Auf diesem Erfolg kann man aufbauen, denn Corona endet ja nicht mit den Ferien", richtet Kelldorfner bereits den Fokus nach vorne. Er ist zwar dann nicht mehr am Gymnasium, weil er im Herbst an der Uni Passau ein Studium beginnt, aber das Pfarrkirchner Gymnasium liegt ihm dennoch weiter am Herzen: "Das letzte Halbjahr war ein Riesenschritt in Sachen Digitalisierung, gerade was Kommunikation und Organisation anbelangt. Die Basis für die kommenden Jahre ist gelegt. Es wäre schade, wenn man aus den Erfahrungen nicht lernen und diese Chance verstreichen lassen würde."

Und das persönliche Finale ohne große Abiturfeier? "Am Ende waren wir froh, dass es überhaupt eine Verabschiedung trotz Corona gab und wir das Zeugnis nicht per Post erhielten."

Realschule"Das letzte Halbjahr war schon eine Herausforderung", sagt Realschuldirektor Franz Griebl. Er wisse nun, was es heißt, "auf Sicht zu fahren". So habe man immer wieder auf die sich ändernden Situationen reagieren müssen. Als Beispiel nennt Griebl den digitalen Unterricht. "In diesem Bereich sind wir bereits gut aufgestellt mit unseren iPad-Klassen." Außerdem habe man vorher schon mit der Lernplattform "mebis" des Kultusministeriums gearbeitet.

Während des Lockdowns habe man jedoch festgestellt, dass den Schülern das Unterrichtsgespräch fehlt. Daher sei Microsoft Teams eingeführt und die Lehrer mit diesem Programm, über das man Video-Konferenzen führen kann, vertraut gemacht worden, erzählt Griebl. "Auf diese Weise haben die Lehrer Kontakt zu den Kindern halten und individuelle Betreuung geben können."

Die befürchteten Defizite auf Grund des Lockdowns haben sich aus seiner Sicht nicht bestätigt. "Die Schüler haben einiges aufgeholt", lobt der Direktor deren Fleiß. Wo trotzdem Nachholbedarf bestehe, werde man im kommenden Schuljahr Förderunterricht anbieten.

"Das Corona-Halbjahr wurde gut gemeistert. Wir fühlten uns nicht alleingelassen und gut betreut", sagt Elternbeiratsvorsitzende Patricia Karlhuber. Bei Problemen habe die Schulleitung immer ein offenes Ohr gehabt. Auch der Kontakt zu den Lehrern sei sehr gut gewesen. "Es war ein Lernprozess, der gut funktioniert hat."

Eines steht jedoch für die Elternvertreterin auch fest: "Es ist zwingend notwendig, dass jeder Schüler mit einem Tablet ausgestattet wird." Sie habe das Glück gehabt, dass ihr Kind eine Tablet-Klasse besucht. "Überhaupt waren die Familien, die über die nötige technische Ausstattung verfügt haben, im Vorteil." Hier sei die Politik gefragt. "Die finanziellen Mittel für die Digitalisierung müssen bei den Schulen ankommen." Sonst gehe die Schere weiter aus einander.

"Es war für uns alle nicht einfach. Weder für die Schüler noch die Lehrer", zieht Schülersprecherin Carolina Winkler Bilanz. Corona habe das Schulleben komplett verändert, unterstreicht die 16-Jährige, die heuer ihre Mittlere Reife an der Realschule gemacht hat. Als die Schule nach dem Lockdown wieder öffnete, "lagen die Nerven blank", erinnert sich die Brombacherin. Das Tragen der Masken und das Halten des Abstands seien sehr belastend gewesen. Mit der Zeit habe man sich aber daran gewöhnt.

Auch der Unterricht während der Homeschooling-Phase war nicht einfach. "Ich bin der Typ, der den Lehrern im Unterricht immer gerne Frage stellt", sagt sie. Das sei leider nicht möglich gewesen. Daher war sie froh über die Lehrer, die Videokonferenzen angeboten haben: "Das war optimal. Jedoch seien nicht alle Lehrer darauf vorbereitet gewesen. Daher ist es ihrer Ansicht nach wichtig, dass die Digitalisierung an der Schule stärker ausgebaut wird und sich auch wirklich alle Lehrkräfte damit beschäftigen.

FOS/BOSWolfgang Schneider, Leiter der FOS/BOS in Pfarrkirchen, hatte bezüglich des Abschlusses eine schwierige Situation: "Von den drei Jahrgangsstufen waren gleich zwei Abschlussjahrgänge da. So war es natürlich schwierig, alle zu beschulen." Die 14 Abschlussklassen seien abwechselnd unterrichtet worden.

Hierfür standen der Schule die Dreifachturnhalle sowie ein Mehrzweckraum in der Hochschule zur Verfügung, was gut funktioniert habe. "Wir hatten ein riesiges Glück mit den Turnhallen, und der Online-Unterricht hat sehr gut funktioniert, auch weil wir eine gute Plattform hatten", erklärt Schneider. Fast 1000 Ersatzprüfungen hat es zwischen Ostern und Pfingsten gegeben. Die Abschlussprüfungen erfolgten dann nach Pfingsten. Deshalb war die Korrekturzeit für die Lehrkräfte sehr knapp. Diesen spricht Schneider seinen Dank aus: Die Zusammenarbeit sei sehr gut gelungen sei. Gemeinsam habe man stets versucht, Nachteile zu kompensieren, auch indem man in den 11. Klassen den Fokus auf relevante Prüfungsfächer gelegt habe, um Lücken nachzuholen. "Zum Glück sind unsere Schüler schon erwachsener und daher vernünftig und technisch begabter. Die Hauptsache ist aber, dass niemand krank geworden ist", so Schneider.

Brigitte Hofer, Elternbeiratsvorsitzende, bekräftigt Schneiders Bilanz: "Anfangs war es zwar etwas holprig bis alles anlief, aber der Schulstoff wurde gut aufbereitet und strukturiert." Für Fragen sei immer jemand erreichbar gewesen. Sie hatte das Gefühl, dass die Schule sich viel Mühe gegeben hat. Zudem sei Kritik immer gut angenommen worden. "Wir haben uns nicht im Stich gelassen gefühlt", betont Hofer. In Familien mit berufstätigen Eltern hätten die Schüler mehr motiviert werden müssen, jedoch seien die meisten aufgrund ihres Alters bereits sehr verantwortungsbewusst und selbstständig.

Gute Noten erhält die FOS/BOS auch von Schülersprecherin Nina Schenk. "Eine Umfrage bei den Schülern hat ergeben, dass alles sehr gut funktioniert hat", sagt die 19-Jährige aus Kirchdorf am Inn. Im Präsenzunterricht sei man zwar in mehrere Gruppen aufgeteilt gewesen, habe aber immer die gleichen Lehrer gehabt. Dies sei gut gewesen.

Das Homeschooling habe reibungslos geklappt. "Über eine Internet-Plattform haben wir Arbeitsaufträge bekommen, die zu Hause bearbeitet werden mussten." In Mathematik gab es auch Videokonferenzen. "Toll war auch, dass über eine App direkt mit dem Konrektor kommuniziert werden konnten. Voraussetzung für all das war, dass unsere Schule digital gut aufgestellt ist", meint Nina Schenk.

Grund- und MittelschuleBad Birnbach"Grundsätzlich ist alles gut gegangen", sagt Rektorin Tanja Maxbauer. "Es war aber natürlich ein Prozess." Alle hätten Hand in Hand gearbeitet: Schule, Marktgemeinde, Busunternehmen und Eltern. Der Unterricht wurde über eine so genannte "Schul-Cloud" organisiert. Jede Klasse erhielt einen eigenen Zugang. Die Lehrer konnten auf diese Weise individuell Material für den jeweiligen Unterricht einstellen. Als die Schüler zurückkehrten, habe man sich mit Lehrkräften und Eltern dafür entschieden, wöchentlich zwischen Präsenz und Unterricht zu Hause zu wechseln, so Maxbauer. Alles habe sich recht positiv eingespielt, aber natürlich habe es das ein oder andere Problem gegeben, auch technischer Natur: Nicht alle Schüler hatten das technische Equipment für den Online-Unterricht. In diesen Fällen wurde Lehrmaterial per Post verschickt oder als Kopien hinterlegt, die abgeholt wurden. Keine Probleme sieht die Rektorin hinsichtlich der Übertritte: "Die beiden vierten Klassen wurden zuletzt in insgesamt vier Gruppen aufgeteilt und intensiv vorbereitet."

Positiv äußerte sich die beiden Elternbeiratsvorsitzenden. Alexandra Kreil-Mayr (Grundschule): "Ich bin super zufrieden". Man habe tolle Lern-Videos erhalten, "und jede Woche gab es von der betreuenden Lehrerin eine eigene Sprachnachricht individuell für jedes Kind". Und von der Rektorin sei man immer auf dem Laufenden gehalten worden. "Alle waren sehr bemüht". Traudl Venus (Mittelschule) sieht das ähnlich und zollt allen Respekt. "Man muss als Eltern aber auch mitkämpfen, sonst funktioniert es nicht."

Redaktionelle Mitarbeit: Christiane Vogl, Markus Schön, Gerhard Huber und Viktor Gröll.