Ronja von Rönne: "Ende in Sicht"
Buchkritik: Wenn ein Teenager vom Himmel fällt

16.02.2022 | Stand 21.09.2023, 0:52 Uhr
Ulrich Steinmetzger


Ihr weißer Passat ist im Inneren eine Müllhalde. Es kommt nicht mehr darauf an. Hella Büttner, die sich in besseren Tagen den platt sprechenden Namen Hella Licht gab, ist mit einem gefälschten Attest unterwegs in die Schweiz zur Sterbehilfe. Sie ist 69, allein und hat alles satt. Verantwortung für andere wollte sie nie übernehmen. Sie ist lustlos, weil es keine Zufälle mehr gibt, die zu Chancen werden. Das war mal so, als sie danach mit diversen Männern in Hotelbars gestrandet ist und die Zeitungen von Sexskandalen, Geldsorgen und Alkoholproblemen schrieben. Nun interessiert das keinen mehr. Es regnet, und als sie auf der A 33 bei Bielefeld so final vor sich hin problematisiert, fällt ein Teenager vom Himmel genau vor ihr Auto, das sie gerade noch kreischend zum Stehen bringt.

Für die fünfzehnjährige Juli Pfingsten war es die logische Konsequenz, von der Autobahnbrücke zu springen. Es war an der Zeit, ihre Panikattacken auf solche Weise zu beenden. Der alleinerziehende Vater wähnt sie mit der Klasse unterwegs nach Prag, und bei der Lehrerin hat sie sich entschuldigt. Doch nun liegt sie etwas verstört mit einer blutenden Platzwunde auf dem Asphalt.

Hella denkt an eventuelle Negativpresse bei unterlassener Hilfeleistung, nimmt Juli und sucht ein Krankenhausn dann macht sie sich mit ihrer Schutzbefohlenen auf den Weg gen Süden. Ein Road-Movie hebt an mit Zweien, die auf vertrackte Weise nicht mehr voneinander loskommen.

Es ist der zweite Roman von Ronja von Rönne (Jahrgang 1992). Die war früh, womöglich zu früh so etwas wie das It-Girl der deutschen Literatur- und Feuilletonszene geworden. Über die sozialen Medien hatte sie vor drei Jahren ihre Depression kundgetan, deretwegen sie in einer Klinik behandelt wurde. Schön anzuschauende Autorinnenbilder mit verhangenem Blick und ein Heer von Followern begleiten seither ihr öffentliches Dasein. In der Danksagung zum jüngsten Roman kommt sie darauf zurück: "Und obwohl dieses Buch sicher nicht ohne meine Erfahrungen mit dem Thema entstanden wäre, gebührt der Depression ganz sicher kein Dank." Sie weiß sich nicht allein mit den Problemen.

Nur leider kann sich ihr neuer Roman nicht entscheiden zwischen Ernst und Slapstick. Die Reise führt zu Rastplatztoiletten und zum Fest der Jugendfeuerwehr im fränkischen Kaff, wo auf den tiefergelegten Autos Aufkleber mit "Heul leiser, Greta" prangen. Weiter geht es in den Saunabereich eines zur Nacht abgeschlossenen Schwimmbads mit freiem Zugang zu den Sektflaschen an der Bar, in eine Seniorenresidenz und zu einem schwäbischen Möchtegerngigolo. Immerfort kommt sich Action mit betrübten Innensichten ins Gehege, nahezu jedes Attribut ist das erwartete und der Humor gewollt, die Wendungen sind platt, die Figuren wie aus dem Setzkasten und die psychologischen Exkurse wie aus der Küche. Und natürlich taumelt das alles einem Happy End entgegen, das von allem Anfang an erwartbar war.

Ulrich Steinmetzger

•Ronja von Rönne: Ende in Sicht, dtv, 256 Seiten, 22 Euro