Jetzt also doch. Nachdem sich Ferrari jahrelang gegen den SUV-Trend gestemmt hat, lassen die Italiener jetzt ihren ersten Sportwagen in die Höhe wachsen. Aber ist der Purosangue noch ein typischer Ferrari? Das verrät eine Testfahrt.
Nach Bentley, Lamborghini, Aston Martín und Rolls-Royce legt nun auch Ferrari sein erstes SUV auf. Zwar meiden die Italiener den Begriff, doch wenn im Sommer ab 380.000 Euro die ersten Exemplare des Purosangue ausgeliefert werden, dann sind Autos wie der Bentayga, Urus, DBX oder Cullinan nur noch zweite Liga. Denn der Ferrari lässt die Konkurrenz nicht nur bei Preis und Prestige weit hinter sich, sondern ist bisher auch der stärkste seiner Art.
Der Name ist Programm
Der Name «Purosangue» (übersetzt «reines Blut») ist nicht zufällig gewählt. Auch wenn er der erste Viertürer der Marke ist, kommt der Neuling doch mit dem Ferrari-Motor schlechthin: Einem selbstatmenden V12. Ohne Turbo oder Kompressoren kommt der 6,5 Liter große Motor auf 533 kW/725 PS und verbreitet dabei einen Klang, der leidenschaftlicher nicht sein könnte.
Und die Fahrleistungen sind eines Ferrari ebenfalls würdig. Denn mit bis zu 716 Nm beschleunigt der Zwölfzylinder den immerhin zwei Tonnen schweren Wagen in 3,3 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 und erreicht bei Vollgas mehr als 310 km/h. Allerdings verbraucht der Wagen schon auf dem Prüfstand 17,1 Liter. Ein CO2-Ausstoß von 389 g/km überrascht da nur wenig. Schade, dass die Italiener eine Elektrifizierung nicht einmal in Aussicht stellen.
Maximales Vergnügen statt minimalem Verbrauch
Statt den Verbrauch zu minimieren, haben sie das Vergnügen maximiert. Das Rezept dafür sind eine ausgewogene Gewichtsverteilung mit der neuen Achtgang-Doppelkupplung an der Hinterachse und ein adaptives Fahrwerk, das einen extrem schnellen Wankausgleich ermöglicht. Hinzukommen bis zu acht Zentimeter Varianz in der Bodenfreiheit, eine fein ausbalancierte Elektronik und eine rasiermesserscharfe Lenkung.
All das macht den Purosangue zum wohl agilsten Viertürer am Markt. Erst recht, weil man tiefer sitzt als in jedem anderen SUV. Ohne auch nur einen Hauch von Seitenneigung stürmt das Vollblut durch engste Kurven, lenkt präzise ein und lässt sich eng an der Ideallinie führen.
Neue Perspektiven für die Passagiere
Während sich der Fahrende deshalb fühlt wie in jedem anderen Ferrari, erleben die Passagiere den Purosangue aus einer ganz anderen Perspektive - und haben zum ersten Mal wirklich Platz. Diesmal müssen sie sich nicht mühsam an den Vordersitzen vorbei auf eine viel zu enge Rückbank manövrieren. Denn nun öffnen sich gegen die Fahrtrichtung zwei elektrische Fondtüren und geben den Weg zu kuscheligen Einzelsitzen frei.
Klar, ein Alfa Tonale ist geräumiger. Und bis man die Rücksitze umgelegt, die Trennwand ausgebaut und im doppelten Boden des Kofferraums verstaut hat, vergeht etwas Zeit. Doch gemessen am Roma oder am 296 GTB ist der Purosangue der Kleinbus unter den Supersportwagen. Selbst einen Träger für Ski oder Bikes haben die Italiener entwickelt. Nie war es deshalb so verlockend, mit einem Ferrari in den Urlaub zu fahren.
Ohne Ziel und Plan
Allerdings nur, wenn man die Strecke kennt oder wenn der Weg das Ziel ist. Denn eine Navigation gibt es trotz des rekordverdächtigen Preises nicht einmal auf der langen Aufpreisliste, die selbst die Lederpolster zu teuren Extras deklariert und Zusatzausgaben von insgesamt 100.000 Euro ermöglicht. Immerhin bieten die Italiener einen kabellosen Anschluss für iPhones und verweisen auf die Online-Karten des Handys.
Auch das, was an Bordtechnik vorhanden ist, macht wenig Freude. Die Anzeigen sind unübersichtlich, die Menüs verschachtelt und die Bedienelemente ungeschickt ums Lenkrad verteilt. Kein Wunder, dass man nach ein paar Minuten frustriert aufgibt und seine Aufmerksamkeit lieber auf die Straße lenkt. Und was hilft einem die serienmäßige Sound-Anlage aus dem Hause Burmester, wenn es kaum gelingt, die Lautstärke zu regeln?
Fazit: Pur, aber alles andere als perfekt
Was für ein Einstand: Der Purosangue ist vielleicht das schönste, auf jeden Fall aber das dynamischste Auto in seinem Segment und ohne Zweifel der praktischste Ferrari aller Zeiten. Doch verglichen mit der Konkurrenz ist das Platzangebot bescheiden, das Bediensystem eine Katastrophe und die Preisliste eine Frechheit. Und ein Bekenntnis zur Elektrifizierung hätte nicht geschadet. Doch der Erfolg des Purosangue scheint jetzt schon sicher: Die Lieferfristen betragen weit mehr als ein Jahr. Auch darin ist der Purosangue ein typischer Ferrari.
Datenblatt: Ferrari Purosangue
Motor und Antrieb | V12-Benzindirekteinspritzer |
Hubraum: | 6496 ccm |
Max. Leistung: | 533 kW/725 PS bei 7750 U/min |
Max. Drehmoment: | 716 Nm bei 6250 U/min |
Antrieb: | Allrad |
Getriebe: | Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe |
Maße und Gewichte | |
Länge: | 4973 mm |
Breite: | 2028 mm |
Höhe: | 1589 mm |
Radstand: | 3018 mm |
Leergewicht: | 2033kg |
Zuladung: | k.A. |
Kofferraumvolumen: | 473 Liter |
Fahrdaten: | |
Höchstgeschwindigkeit: | > 310 km/h |
Beschleunigung 0-100 km/h: | 3,3 s |
Durchschnittsverbrauch: | 17,1 Liter/100 km |
Reichweite: | 580 km |
CO2-Emission: | 389 g/km |
Kraftstoff: | Super |
Schadstoffklasse: | Eu6 |
Energieeffizienzklasse: | k.A. |
Kosten: | |
Basispreis des Ferrari Purosangue: | 380.000 Euro |
Typklassen: | k.A. |
Kfz-Steuer: | 718 Euro/Jahr |
Wichtige Serienausstattung: | |
Sicherheit: | Sechs Airbags, LED-Scheinwerfer, Adaptiver Tempomat, Allradantrieb |
Komfort: | Klimaautomatik, Sitzmassage, Elektrische Heckklappe |
Alle Daten laut Hersteller
© dpa-infocom, dpa:230426-99-461258/6
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