„Cinderella“ an der Waterkant
Vom belächelten Exoten zum Titelfavoriten: Die irre Erfolgsgeschichte des „Dorfvereins“ Bremerhaven

16.03.2024 | Stand 16.03.2024, 7:30 Uhr

Trainer Thomas Popiesch ist seit acht Jahren bei den Pinguins an der Bande und damit der DEL-Cheftrainer mit der längsten laufenden Amtszeit. − Foto: imago images

Die „Cinderella-Story“ im deutschen Eishockey? Vom belächelten Exoten zum Titelfavoriten? Da gehen die Bosse der Fischtown Pinguins nicht mit. „Gleich durchzudrehen, von der Meisterschaft zu reden - das macht in Bremerhaven fast keiner“, behauptet Geschäftsführer Hauke Hasselbring. Das Überraschungsteam der DEL geht als Hauptrundensieger ins Viertelfinale, aber „die norddeutsche Gelassenheit“ bleibt weiter erste Pflicht.

Natürlich sei es „schon irre für so einen kleinen Dorfverein wie uns, mit einem kleinen Budget da ganz oben zu landen“, gibt Hasselbring, bei der Award Show der Deutschen Eishockey Liga (DEL) bei MagentaSport mit einer Glastrophäe ausgezeichnet, zu. Aber abheben, die Ziele neu justieren? Auf keinen Fall.

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Selbst die Statistik der letzten zehn Jahre lockt die Architekten des Erfolgs an der Waterkant nicht aus der Reserve. Seit 2014, als der ERC Ingolstadt, ab Sonntag (14.00 Uhr) der Bremerhavener Viertelfinalgegner, sensationell von Platz neun zum Titel stürmte, hat in den Play-offs stets der Hauptrundensieger triumphiert – mit Ausnahme der verkürzten Coronasaison 2020/21 mit zwei Gruppen.

Doch als krasser Außenseiter geht der Klub, der erst 2016 in die DEL einstieg, anfangs wegen seines denglischen Namens verspottet und später als „Deutschmacher“ kritisiert wurde, längst nicht mehr durch. Die meisten Punkte, die beste Abwehr, das beste Powerplay, die längsten Siegesserien der Saison - Bremerhaven ist das Maß aller Dinge. Vor DEL-Rekordmeister Eisbären Berlin, Titelverteidiger Red Bull München und den hochambitionierten Adlern Mannheim, die seit 2014 alle Titel unter sich ausmachten.

Der Erfolg ist ein Produkt der Kontinuität – und eng mit zwei Personen verbunden: Manager Alfred Prey, seit 35 Jahren im Bremerhavener Eishockey aktiv, und Trainer Thomas Popiesch. Der 58-Jährige, seit acht Jahren bei den Pinguins an der Bande und damit der DEL-Cheftrainer mit der längsten laufenden Amtszeit, ist eher die Ausnahme in der Liga. Während anderswo meist ausländische Headcoaches wirken und deutlich weniger Zeit bekommen, hat Popiesch kontinuierlich eine Mannschaft aufbauen können, die so gar nicht dem gängigen DEL-Modell entspricht.

Slowenen und Dänen in den Schlüsselpositionen



Während ligaweit 75 Prozent der Importspieler aus Nordamerika stammen, setzt Bremerhaven auf Slowenen und Dänen in den Schlüsselpositionen. Der „Karawanken-Express“ mit Jan Urbas, Ziga Jeglic, die die Scorerliste anführen, und Miha Verlic bildet seit Jahren das Prunkstück der Offensive, die Verteidiger Phillip Bruggisser und Nicholas B. Jensen gehören zu den besten ihrer Zunft.

Hinzukommen eingebürgerte Spieler, die mitunter Kritik hervorriefen. „Man hat uns immer vorgeworfen, dass wir die Deutschmacher sind“, sagt Prey, „aber es ist alles völlig legal abgelaufen.“ Inzwischen haben es in Torhüter Maximilian Franzreb sowie den Abwehrspielern Nicolas Appendino und Lukas Kälble aber auch drei Spieler in den erweiterten Kreis der Nationalmannschaft geschafft.

Der kontinuierliche Aufbau „mit überschaubarem Budget, über Jahre mit denselben Protagonisten am Ruder, die die Ruhe behalten haben“, hat, so DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke, zu „dieser Cinderella-Story“ geführt. Doch jetzt endet eine Ära: Prey zieht sich aus der ersten Reihe zurück, Ex-Nationalspieler Sebastian Furchner übernimmt seine Aufgaben. Und Popiesch, zweimal Trainer des Jahres, steht vor dem Abschied - dem Vernehmen nach zum Zweitligisten Krefeld Pinguine.

„Das ist noch nicht in Stein gemeißelt“, behauptet Hasselbring, „das besprechen wir alles in Ruhe nach der Saison.“ Vielleicht mit dem DEL-Silberpokal in der Vitrine.

− sid