Ausmaß und Folgen unklar
Laut Kiew: Großer Staudamm in der Ukraine von Russland gesprengt

06.06.2023 | Stand 06.06.2023, 10:35 Uhr

Dieses Satellitenbild zeigt den zerstörten Kachowka-Staudamm. Kiew und Moskau machten sich am Dienstagmorgen gegenseitig für den Vorfall mit potenziell gravierenden Folgen verantwortlich. −Foto: Uncredited/Maxar Technologies/AP/dpa

Der wichtige Kachowka-Staudamm im Süden der Ukraine scheint zerstört. Präsident Selenskyj macht „russische Terroristen“ dafür verantwortlich. Moskau wiederum beschuldigt Kiew. In der Region drohen Überschwemmungen. Das Ausmaß ist noch nicht absehbar.



Im von Russland besetzten Teil der Südukraine ist nach Angaben beider Kriegsparteien ein großer und wichtiger Staudamm nahe der Front schwer beschädigt worden. Kiew und Moskau machten sich am Dienstagmorgen gegenseitig für den Vorfall in der Region Cherson mit potenziell gravierenden Folgen verantwortlich.

UPDATE: Mittlerweile ist klar, dass das am Staudamm angrenzende Wasserkraftwerk komplett zerstört ist.

Das ukrainische Einsatzkommando Süd teilte mit, die russischen Besatzer hätten den Damm in der Stadt Nowa Kachowka gesprengt. Der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Prokudin, warnte, innerhalb von fünf Stunden könne der Wasserstand eine kritische Höhe erreichen.

Selenskyj ruft nationalen Sicherheitsrat ein – Evakuierungen begonnen



Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief in Kiew den nationalen Sicherheitsrat ein. „Russische Terroristen“, schrieb Selenskyj außerdem auf Telegram. „Die Zerstörung des Damms des Kachowka-Wasserkraftwerks beweist der ganzen Welt, dass sie aus jeder Ecke der Ukraine vertrieben werden müssen.“

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Militärgouverneur Prokudin erklärte, auf der in Flussrichtung rechten Seite des Dnipro - wo auch die von den Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson liegt - sei mit Evakuierungen begonnen worden. „Das Ausmaß der Zerstörung, die Geschwindigkeit und Menge des Wassers sowie die wahrscheinlichen Überschwemmungsgebiete werden gerade bestimmt“, erklärte er.

Ukrainische Videografik zeigt potenzielles Ausmaß



Der Berater des ukrainischen Innenministers, Anton Geraschtschenko, teilte auf Twitter eine animierte Grafik, die das potenzielle Ausmaß der Zerstörung des Staudammes zeigen soll.



Dazu schreibt er: „Viele Menschen werden ihre Häuser verlieren, wenn Siedlungen überflutet werden.“ Zudem seien die Überschwemmungen eine „ökologische Katastrophe“: „Zehntausende Tonnen Fische und eine einzigartige Bisphäre werden sterben“, so Geraschtschenko. Auch die Nester von Millionen Vögeln seien überschwemmt worden. Der Berater befürchtet zudem, dass der Nord-Krim-Kanal austrocknen werde und den Bewohnern im Süden und in der Krim das Trinkwasser ausgehen könnte.

Russland dementiert – und beschuldigt Ukraine



Die russischen Besatzer hingegen machten ukrainischen Beschuss für die Schäden am Kachowka-Staudamm verantwortlich. „Das Wasser ist gestiegen“, sagte der von Moskau eingesetzte Bürgermeister in Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, staatlichen russischen Nachrichtenagenturen zufolge. Von Überschwemmungen betroffen könnten seinen Aussagen zufolge rund 300 Häuser sein, ein „kleiner Teil der Bevölkerung“ müsse möglicherweise in Sicherheit gebracht werden.

Leontjew räumte aber ein, dass es zu Problemen bei der Wasserversorgung auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim kommen könnte, die südlich von Cherson liegt. Diese wird mit Wasser aus dem Kachowka-Stausee beliefert. Die Angaben beider Seiten zu dem Vorfall am Staudamm konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Videos kursieren in sozialen Netzwerken



In ukrainischen Medien und in sozialen Netzwerken wurden Videos geteilt, die dem Anschein nach bereits gestiegenen Wasserstände um die Stadt Cherson zeigten. Außerdem wurden Aufnahmen geteilt, auf denen offenbar die ausströmenden massiven Wassermengen an der Staudammmauer in Kachowka zu sehen waren. Die Echtheit der Videos konnte zunächst nicht unabhängig überprüft werden.



Staudamm unter russischer Kontrolle



Russland hatte das Nachbarland Ukraine vor mehr als 15 Monaten überfallen und im Zuge seines Angriffskriegs auch das Gebiet Cherson besetzt. Im vergangenen Herbst gelang der ukrainischen Armee dann die Befreiung eines Teils der Region - darunter auch die der gleichnamigen Gebietshauptstadt Cherson. Städte südlich des Dnipro blieben allerdings unter russischer Kontrolle, darunter auch die Staudamm-Stadt Nowa Kachowka.

Immer wieder hatten die Ukrainer in den vergangenen Monaten vor einem möglichen Sabotageakt der Russen in Nowa Kachowka gewarnt. Für besondere Beunruhigung sorgte, als die Besatzer im vergangenen November die Evakuierung der Stadt ankündigten.

− dpa/cav